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Weltcup-Start im Oktober: Die kritischen Stimmen mehren sich

Die Kritik am frühen Saisonstart der Alpinen auf dem Gletscher in Sölden wird immer lauter. Die FIS kann die Augen vor dem Klimawandel nicht länger verschliessen. Wegschauen funktioniert nicht mehr.

Agentur
sda
28.10.23 - 04:00 Uhr
Ski alpin

Die Mitteilung von Greenpeace Österreich im September verfehlte ihre Wirkung nicht. Seit April würden Bagger in Sölden Teile des Gletschers zerstören, um Platz zu machen für die Weltcup-Strecke, kritisierte der Umweltschutzverband. Sogar Sprengungen seien «vermutlich» vorgenommen worden.

Auch Zermatt/Cervinia geriet wegen der Bauarbeiten für die visionäre, aber vor dem Hintergrund der Klimaproblematik auch kritisch beäugte Abfahrt im hochalpinen Gebirge zwischen der Schweiz und Italien ins Kreuzfeuer. Wie sich herausstellte, erstreckten sich die Eingriffe in die Natur über die genehmigte Zone.

Das lokale Organisationskomitee von Zermatt/Cervinia versprach zwar Anpassungen und beteuerte, dass es sich um einen unwissentlich unterlaufenen Irrtum handelte. Söldens Bergbahnen-Chef Jakob Falkner bezeichnete die Vorwürfe als «böswillig» und erklärte, dass es sich um «normale Sanierungsarbeiten aufgrund des Rückgangs des Gletschers» handelte. Dass die Arbeiten «ausschliesslich die bestehende Pistenfläche» beträfen und die Sprengungen dazu dienten, «durch die Verkleinerung des Gesteins weniger Schnee für die Piste» zu benötigen. Der Eindruck ist aber: Eine gute Piste ist den Betreibern und Renn-Organisatoren wichtiger als der Schutz der Gletscher.

Auch die FIS bekam von Greenpeace ihr Fett ab. «Die FIS behauptet, klimapositiv zu sein und Nachhaltigkeit gross zu schreiben. Die aktuellen Bilder belegen jedoch einmal mehr, dass hinter solchen Aussagen reines Greenwashing steckt», bemängelte die Sprecherin Ursula Bittner.

Worte statt Taten

Tatsächlich macht der Ski-Weltverband auch in der Gegenwart keine gute Figur, nachdem er jahrelang die Augen vor der herannahenden Problematik verschlossen hatte. Während er sich Nachhaltigkeit auf die Flagge schreibt und der umstrittene Präsident Johan Eliasch bei seiner Antrittsrede vor zwei Jahren davon sprach, die FIS werde 2022 als erster internationaler Sportverband CO2-neutral sein, schmiedet er im Hintergrund Pläne für Skirennen in Dubai, fliegt der alpine Weltcup-Tross im Saisonverlauf unter Eliasch nunmehr zwei- statt einmal über den Atlantik und wurde der Rennkalender auf diese Saison hin von 80 auf 90 Rennen aufgestockt.

Dabei kann sich die FIS spätestens nach diesem Sommer nicht mehr mit Lippenbekenntnissen aus der Affäre ziehen. «Eine Katastrophe für die Glaubwürdigkeit des Sports» seien die Bilder der Bagger aus Sölden, sagte der ehemalige deutsche Rennfahrer Felix Neureuther in einem Podcast - «sehr verstörend und einfach nicht mehr zeitgemäss».

Grund für den frühen Saisonstart im Herbst ist die Ski-Industrie, die damit den Verkauf für den Winter ankurbelt. Für sie ist der Auftakt im Oktober nach wie vor unerlässlich. Und auch Hans Flatscher, der Alpindirektor von Swiss-Ski, stellt sich hinter den jetzigen Kalender: «Wir sollten dann präsent sein, wenn es die Leute am meisten interessiert. Das ist eben im Herbst mehr der Fall als im April.»

Voten aus dem Athletenlager

Dabei hinterfragen auch immer mehr Athletinnen und Athleten den Zeitpunkt des Saisonstarts. Mikaela Shiffrin etwa sinnierte an einer Medienkonferenz ihres Ausrüsters bei 25 Grad Aussentemperatur unlängst: «Ist jetzt Zeit für Skirennen? Vermutlich eher nicht. Bis zu welchem Grad sollen wir unsere Umwelt an einen Zeitplan anpassen, den wir haben wollen? Oder sollten wir nicht unsere Zeitpläne an die Umwelt anpassen?»

Lara Gut-Behrami meinte etwas überzeichnet: «Wenn die Leute im T-Shirt im Zielraum stehen und jene vor dem Fernseher Badehose tragen, ist das nicht logisch. Das weckt bei ihnen keine Lust, selbst zu fahren.» Michelle Gisin findet, dass man «nach wie vor mehr gegen die Natur als mit den Begebenheiten arbeitet».

Worte, die der einst erfolgreiche Skirennfahrer und heute 60-jährige, unternehmerisch im Wintersport tätige Marc Girardelli damit abkanzelte, dass «die Athletinnen und Athleten doch gefälligst damit aufhören sollen, am Ast zu sägen, der sie füttert».

Wegschauen geht nicht mehr. Aber Maul halten und weitermachen wie bisher schon.

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