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Schweizer WM-Enttäuschung: Geheimrezept für schnelle Ski für einmal nicht gefunden

Der Frust dominiert im Schweizer Team im Nachgang zur Biathlon-WM in Nove Mesto. Die Service-Crew fand das Rezept nicht, um einen konkurrenzfähigen Ski zu präparieren.

Agentur
sda
19.02.24 - 09:53 Uhr
Schneesport
Die Schweizer Ski - hier Lena Häcki-Gross im Einzelrennen über 15 km - liefen an der WM in Nove Mesto nicht so gut wie zuvor im Weltcup
Die Schweizer Ski - hier Lena Häcki-Gross im Einzelrennen über 15 km - liefen an der WM in Nove Mesto nicht so gut wie zuvor im Weltcup
KEYSTONE/EPA/MARTIN DIVISEK

«Auf einmal werde ich von Athletinnen überholt, die ich sonst im Griff habe», konstatierte Amy Baserga. Oder Niklas Hartweg sagte: «Im Anstieg kann ich dank der tollen Form das Loch schliessen, und in der Abfahrt geht es wieder auf.» Lena Häcki-Gross kommentierte ihre mässige Leistung mit den Worten: «Es liegt nicht an der Form.» Und Sebastian Stalder dachte sogar laut über eine vorzeitige Heimreise nach.

Die Kritik am Material gilt vor den TV-Kameras als verpönt, und die Biathletinnen und Biathleten von Swiss-Ski hielten sich auch dran. Aber gleichwohl drang fast in jedem Interview der Frust durch. Der Frust über den Nachteil am Start. Der Ski war selten gut genug, um eine Medaille zu gewinnen.

Das Geheimrezept nicht gefunden

Lukas Keel, Chef Biathlon bei Swiss-Ski, gibt seinen Schützlingen recht. «Wir waren in Nove Mesto nicht zu 100 Prozent konkurrenzfähig», bestätigte er auf Nachfrage von Keystone-SDA. Das Gefühl und die Eindrücke der Aktiven kann er auch mit Zahlen belegen: «In der Regel verlieren wir als Team 4 bis 6 Prozent auf die Laufleistung der Besten. Hier waren es 11 bis 14 Prozent».

Die Ursache für diese Misere ist einerseits im Jahr eins der fluorfreien Skibeläge zu suchen und liegt andererseits an den besonderen Schneeverhältnissen von Nove Mesto. Eigentlich hätte all dies ein Vorteil sein können, denn die Service-Crew von Swiss-Ski hat diesen Winter oft bessere Ski hingekriegt als die Konkurrenz. Der langfristig geplante Aufbau des Technologiezentrums in Altstätten zahlte sich an vielen Rennwochenenden aus. Aber ausgerechnet an den Weltmeisterschaften fand man das Geheimrezept nicht.

Schnee vom letzten Jahr

Einer der Gründe: Die Bedingungen in Tschechien hatten im Prinzip nichts mehr mit Winter zu tun. Das weisse Band durch den Wald in Mähren wurde im Dezember mit Schnee aus dem vorangegangenen Winter ausgelegt - die Anlage in Nove Mesto verfügt über eine Lagerkapazität, die ungefähr 25 Turnhallen entspricht. Danach wurde das schmutzige Schneeband mit Bindemitteln wie Salz oder Kunstdünger am Leben erhalten, plus vor den meisten Rennen wieder mit neu produziertem Schnee aus diesem Winter erhöht. Dieses Gemisch stellte die Service-Crew bei Plusgraden und Regen vor sehr schwierige Aufgaben: kein Naturschnee, Schmutz und zwischendurch Regenwasser, das wegen einer Eisschicht im Schneeband nicht ablaufen konnte.

Einen schnellen Ski zu präparieren, das ist eine Wissenschaft für sich. Für die Service-Leute ist Langlauf streng genommen gar kein Schneesport, sondern ein Wassersport. Durch den Druck, der laufend auf den Schnee ausgeübt wird, gleitet der Ski auf einem Wasserfilm. Wäre der Skibelag nun völlig glatt, wäre der Ski wegen der Sogwirkung sehr langsam. Deshalb wird der Belag mit einer Struktur versehen, damit Luft hinzu strömen kann. Und als Imprägniermittel macht ein stark wasserabstossendes Wachs den Ski zusätzlich schnell - bis vor einem Jahr kam das nun verbotene Fluor zum Einsatz.

Silikonbasiert funktionierte nicht

Keel geht davon aus, dass das von Swiss-Ski neu entwickelte und eingesetzte Wachs auf Silikonbasis nicht die gewünschte Wirkung zeigte. Er sagte: «Wir hatten ein grundlegendes Problem: Der Ski liess mit der Zeit nach. Viele unserer Produkte sind silikonbasiert. Silikon weist Wasser ab, nimmt aber Schmutz stark auf. Und wenn Schmutz im Belag ist, lässt die Wasserabweisung nach - weil die Strukturen im Belag verstopft sind.»

Bereits zu Beginn der WM, als die Mixed-Staffel nach einem tollen Rennen die Bronzemedaille nur knapp verpasst hatte und noch niemand vom Material sprach, läuteten bei Keel und Co. die Alarmglocken. Insbesondere die laufstarke Häcki-Gross hätte eigentlich in der Loipe eine noch bessere Leistung erbringen müssen. «Wir hatten zuvor einzig im Sprint von Oberhof ähnliche Bedingungen gehabt wie in Nove Mesto. Und auch in Deutschland hatten wir keinen schnellen Ski hingekriegt», erzählte Keel.

Das Schweizer Team stand mit den Problemen nicht alleine da. Norwegen oder Frankreich hatten von Beginn an einen Vorteil, andere Nationen wie beispielsweise Italien konnten in der zweiten Woche reagieren. Auch Swiss-Ski zog Experten aus der Schweiz hinzu, aber der Durchbruch gelang nicht. Erst im letzten Rennen, dem Massenstart vom Sonntagabend, schlugen Hartweg und Stalder versöhnliche Töne an.

Ruhe bewahren

Unter diesen Umständen war es nicht einfach, die Ruhe im Team zu bewahren. Es galt, die WM mit Anstand und Würde über die Runden zu bringen. «Bei den Athletinnen und Athleten drohte ein Gefühl aufzukommen, dass wir niemand mehr sind», schilderte Keel die Stimmung. Dabei habe das Schweizer Biathlon-Team in den vergangenen Jahren grosse Fortschritte gemacht und gerade in den Mixed-Staffeln im Orchester der grossen Nationen mitgespielt.

«Jetzt hadern wir, weil wir keine Medaille gewonnen haben. Das ist richtig, wir sind im Leistungsport», so Keel. Aber das Hadern sei auch nur möglich, weil man nicht mehr meilenweit hinterher hinke.

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