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Der Spätzünder, dem die Mitspieler vertrauen

Vor vier Jahren war Andrew Rowe noch Stammspieler in einer drittklassigen nordamerikanischen Liga. Jetzt stürmt er erstmals in der Schweiz – und dies gleich als Captain der SC Rapperswil-Jona Lakers.

Bernhard
Camenisch
10.09.19 - 23:30 Uhr
Eishockey
Captain Andrew Rowe (rechts) im Gespräch mit seinem Platznachbarn in der Garderobe, Daniel Vukovic.
Captain Andrew Rowe (rechts) im Gespräch mit seinem Platznachbarn in der Garderobe, Daniel Vukovic.
SILVANO UMBERG

Es ist etwas Aussergewöhnliches, was sich bei den Lakers zugetragen hat: Sie haben einen ihrer Neuzugänge auf Anhieb zum Captain gemacht. Nicht die Coaches, sondern die Spieler mittels anonymer Wahl – und dies mit grosser Mehrheit. Captain ist aber nicht etwa derjenige, der mit den meisten Meriten gekommen ist. Das wäre der mit WM-Gold dekorierte Tscheche Roman Cervenka.

Nein. Captain der SC Rapperswil- Jona Lakers ist Andrew Rowe, 31-jähriger US-Amerikaner, den die allermeisten seiner Mitspieler Anfang August erstmals in ihrem Leben zu Gesicht bekamen. «Es war für mich ein ziemlicher Schock, aber es ist natürlich eine Ehre», sagt der Gewählte. Noch keine drei Wochen war er in der Garderobe der Lakers, als ihm das «C» anvertraut wurde. Warum, verstehe er selbst nicht, sagt Rowe. «Ich war einfach von Anfang an ich selbst. Dazu gehört, dass ich Leidenschaft für das Spiel habe und ich sehr gerne Beziehungen knüpfe.»

Keine Scheu, Klartext zu sprechen

Seine offene, ehrliche Art und seine Einstellung sind bei den Teamkollegen sofort gut angekommen. Rowe scheint tatsächlich der Leader zu sein, den die Lakers nach einer sportlich schwierigen Saison dringend brauchen: «Ich versuche, mit gutem Beispiel voranzugehen, und tue, was ich kann, um auf und neben dem Eis Leistung zu bringen.» Wichtig ist ihm auch, stets ein offenes Ohr zu haben. Dies gilt generell und umso mehr in seinem Amt. «Als Captain bin ich das Bindeglied zwischen Mannschaft und Trainerstab. Wann immer jemand etwas auf dem Herzen hat, soll er zu mir kommen.»

Rowe war schon früher Captain, für die South Carolina Stingrays in der ECHL (vormals East Coast Hockey League). Bei Mora IK war er in der vergangenen Saison Assistenzcaptain. Er sei nicht der Lauteste in der Kabine, sagt der Stürmer über sich. «Ich mache dann das Maul auf, wenn ich es für nötig halte. Und ich scheue mich nicht Klartext zu sprechen.» Gesprächiger – und das ist Rowe ganz recht so – ist Daniel Vukovic. Der Schweiz-Kanadier ist wie Roman Schlagenhauf Assistenzcaptain.

«Ich hatte endlich die Überzeugung, dass ich der Spieler bin, der ich immer glaubte, sein zu können.»

In der Garderobe sitzen Rowe und Vukovic nebeneinander. Für die Michigan State University spielten die beiden schon in der Saison 2007/08 gemeinsam. Rowe war damals in seiner ersten College-Saison, der zwei Jahre ältere Vukovic in seiner vierten. Auch mit Danny Kristo ist Rowe wieder vereint. Ihre Wege hatten sich in der Saison 2013/14 kurz in der American Hockey League (AHL) bei den Hartford Wolf Pack gekreuzt. Ansonsten hatte Rowe in seinen ersten Tagen in Rapperswil-Jona einige neue Namen zu lernen. «Das war bereits das Schwierigste. Denn es wurde mir leicht gemacht, mich zu integrieren.»

Der in Muskegon im US-Bundesstaat Michigan aufgewachsene Andrew Rowe hat in seiner Karriere viele Mitspieler kennengelernt. «Es war ein langer Weg», sagt er über die vergangenen neun Jahre. 2010 war Rowe nach Beendigung seiner Universitätszeit seinem Traum NHL ein grosses Stück näher gekommen, als er bei den Philadelphia Flyers einen Einstiegsvertrag unterzeichnete. Wegen einer Schulteroperation und weiteren Verletzungen kam er in zwei Jahren nicht über 89 AHL-Spiele für das Flyers-Farmteam Adirondack Phantoms hinaus.

Lange für den Durchbruch gekämpft

Als der Vertrag ausgelaufen war, ging es für Rowe eine Stufe tiefer in die ECHL. Sportlich mag dies ein Abstieg gewesen sein, für die persönliche Entwicklung war es aber ein Segen. «In der ECHL verbesserte ich meine Physis und meinen Hockeyverstand», blickt der 1,88 Meter grosse Stürmer zurück. Und er fand auch sein Selbstvertrauen und seine Freude am Eishockey wieder, denn beides hatte gelitten – nicht nur wegen der Verletzungen, wie er sagt. «Ich war damals sehr enttäuscht, dass das Politische über dem Sportlichen stand und ich nicht die Chance bekam, die ich verdiente.»

Geschenkt wurde Rowe weiterhin nichts. Während dreier ECHL-Saisons wurde er zwar immer wieder in die AHL hinaufberufen. Die Gelegenheit, sich zeigen zu können, erhielt er dennoch nicht. In der vierten Linie musste er sich mit fünf bis sechs Einsatzminuten pro Spiel begnügen. «Egal, wie gut man ist, man ist Lückenfüller, weil einer verletzt ist. Und wenn dieser zurück ist, nimmt er wieder deinen Platz ein und du wirst weggeschickt», erzählt Rowe vom harten Alltag in den Minor Leagues. «Ich brauchte drei, vier Jahre, um mich zu etablieren und in der AHL zu zeigen, dass ich viel besser bin, als meisten gedacht hatten.»

«Ich erwarte von mir, dass ich derjenige bin, dem der Coach in jeder Spielsituation vertrauen kann.»

Festbeissen konnte sich Rowe gegen Ende der Saison 2015/16, als er wieder einmal in die AHL befördert wurde, diesmal von den Bridgeport Sound Tigers, dem Farmteam der New York Islanders. In elf Spielen erzielte der zu diesem Zeitpunkt bereits 28-Jährige sieben Tore. «Danach konnten sie mich nicht mehr aus der Aufstellung nehmen.» Andrew Rowe war endlich angekommen, oder wie er es sagt: «Ich hatte endlich die Überzeugung in meinem Kopf und in meinem Herzen, dass ich der Spieler bin, der ich immer glaubte, sein zu können.»

Die Erwartung an die Mitspieler

In der folgenden Saison steuerte Rowe für Bridgeport in 66 Spielen 13 Tore und 23 Assists bei. Danach folgte im Sommer 2017 der Wechsel nach Europa. Der Amerikaner schloss sich in Schweden dem SHL-Aufsteiger Mora IK an. Für diesen etablierte sich Rowe in seiner zweiten Saison als einer der produktivsten Stürmer der Liga. Dem Team als Ganzes lief es weniger gut: Mora musste sich im Frühling dieses Jahres als Absteiger wieder aus der SHL verabschieden.

«Man soll nicht zurückschauen», sagt Andrew Rowe, «aber wichtig ist, dass man aus solchen Situationen gelernt hat.» Diese Aussage lässt sich auch auf alle adaptieren, die schon die vergangene Saison mit den Lakers bestritten. Wenn sie mit der gleichen Mentalität ans Werk gehen, wie es ihr neuer Captain tut, kann die am Freitag beginnende National-League-Meisterschaft nur besser werden. Denn Rowe sagt: «Ich erwarte von mir, dass ich derjenige bin, dem der Coach in jeder Spielsituation vertrauen kann. Und ich hoffe, dass jeder Mitspieler den gleichen Anspruch an sich selbst hat.»

 

Ohne Glanz im Cup eine Runde weiter
Den Gegner nicht ins Spiel kommen lassen, ihm nicht die Hoffnung geben, eine Überraschung schaffen zu können. Mit dieser Vorgabe hatte Lakers-Trainer Jeff Tomlinson sein Team am Dienstagabend in das Erstrunden-Cupspiel beim Swiss-League-Gegner EHC Kloten geschickt. «Eine Führung gibt dem Unterklassigen Mut und Kraft und den Glauben, den Favoriten bezwingen zu können. Das wollten wir unbedingt verhindern», so Tomlinson. Mit dem Powerplaytor zum 1:0 nach zwölf Minuten erfüllte Corsin Casutt den Wunsch seines Trainers. Die Führung wirkte beruhigend auf die Lakers, ja teilweise sogar etwas einschläfernd. Sie liessen Kloten ins Spiel. Diese Freiheiten nutzten die Gastgeber im Startabschnitt für verschiedene gute Abschlüsse. Ins Tor trafen sie jedoch nicht.
Das taten dafür die Lakers. In der 22. Minute traf Kay Schweri nach genauem Zuspiel von Roman Cervenka zum 2:0. Die Partie blieb ausgeglichen, Kloten weiterhin aufsässig. Die Lakers konnten drei Tage vor dem Meisterschaftsstart in Bern nicht überzeugen. Nach der Führung traten sie zu passiv auf und mussten den Klotenern mehrheitlich das Spieldiktat überlassen. Weil diese auch die besten Chancen nicht nutzen konnten, hielten sich die Lakers schadlos – und siegten nach Cervenkas Treffer ins leere Tor 28 Sekunden vor Schluss sogar noch komfortabel 3:0. (rg)

 

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