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Die Autobahn A3 soll wieder zur Landebahn für Kampfjets werden

Der Ukraine-Krieg lässt die Schweizer Luftwaffe Pläne aus dem Kalten Krieg aus der Schublade holen: Militärflugplätze werden reaktiviert und auf Autobahnen sollen wieder Kampfjets starten und landen.

Südostschweiz
18.04.23 - 04:30 Uhr
Politik

von Raphael Rohner

Es ist bizarr: Der Kommandant der Schweizer Luftwaffe, Divisionär Peter Merz, hält an der Generalversammlung (GV) des Bunkervereins «Festungsgürtel Kreuzlingen» in Bottighofen einen Vortrag über die Zukunft der Luftwaffe und der Armee. Ausgerechnet vor einem Verein, der sich für den Erhalt von militärischen Anlagen und Kampfbauten einsetzt, die von der Armee mit der Armee­reform 95 ausgemustert wurden.

Bizarr deswegen, weil der Zweisternegeneral davon spricht, verloren gegangenes Know-how der Armee wieder aufzubauen. Merz referiert über das modernste Kampfflugzeug der Welt, den F-35, über Drohnen und künftige Bedrohungslagen, die mit dem Krieg in der Ukraine auch zu einem Umdenken in der Schweizer Armee geführt haben.

Dann spricht Merz eine künftige Dezentralisierung der Luftwaffe an. «Einige von Ihnen mögen sich vielleicht noch daran erinnern, als die Kampfflieger hin und wieder auf Autobahnen gestartet und gelandet sind.» Manche der anwesenden Männer nicken. «Wir planen, dies hie und da wieder zu machen», sagt Merz vor den Thurgauer Bunkerfreunden. Ungläubige Blicke werden ausgetauscht. Einige schreiben die Fakten, die der Luftwaffenkommandant auf seinen Folien präsentiert, in ihre Notizbücher. Merz ergänzt: «Unser Ziel ist es, so rasch wie möglich wieder mit Flugzeugen ab ehemaligen Militärflugplätzen oder Autobahnen starten und landen zu können.»

«Unser Ziel ist es, so rasch wie möglich wieder mit Flugzeugen ab ehemaligen Militärflugplätzen oder Autobahnen starten und landen zu können.»

Peter Merz, Kommandant der Schweizer Luftwaffe

Auf Anfrage bestätigt das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), dass die Armee über Eventualplanungen verfüge, damit in Verteidigungs­fällen Autobahnen als dezentrale Einsatzorte genutzt werden könnten. In naher Zukunft seien aber keine Übungen der Luftwaffe auf Autobahn­abschnitten in der Region geplant.

Standorte bleiben geheim

Zurück zur GV des Bunkervereins. Zwei ehemalige Offiziere schauen sich ungläubig an: «Haben wir diese Notlandebahnen nicht gerade erst alle abgeschafft, das Material dafür verkauft und alles dichtgemacht? Und mit welchen Soldaten wollen die das denn machen?» Ein Tuscheln beginnt im Saal, während Merz Bilder von startenden Tiger-Kampfflugzeugen auf der Autobahn A3 bei Flums zeigt, wo im Oktober 1985 der Autobahnstreifen als Piste genutzt wurde. Merz erzählt weiter von der Dezentralisierungsstrategie: «Wir werden unsere Kampfflugzeuge und Drohnen künftig nebst den bekannten Standorten auch wieder von Ersatzflugplätzen einsetzen können.»

Derzeit sei man landesweit auf der Suche nach Möglichkeiten, die in kurzer Zeit wieder zu temporären Militärflugplätzen umgerüstet werden könnten. Die Standorte der Ersatzflugplätze werden nicht kommuniziert und würden nur im Verteidigungsfall aktiviert. Baulich müssten nur minimale provisorische Anpassungen vorgenommen werden: «Wir werden keine Tower an der Autobahn aufstellen», so Merz.

Nebst der Suche nach Landebahnen auf Strassenabschnitten der Autobahn könnten auch alte Militärflugplätze temporär wieder reaktiviert und bereits wieder «scharf» beübt werden: «Die Luftwaffe ist in der Lage, zum Beispiel Mollis, St. Stephan und Buochs wieder militärisch zu nutzen.»

Know-how wieder aufbauen

Ende der 1950er-Jahre wurde in der Schweiz über das Konzept der Luftwaffe gestritten. Schliesslich wurden vom Parlament 20 Militärflugplätze und mehrere Behelfspisten auf den Autobahnen gutgeheissen, auf denen schliesslich Kampfflugzeuge starten und landen konnten.

Die Autobahnen wurden auf Strecken von rund zwei Kilometern exakt gerade gebaut und mit einfach zu entfernenden Mittelleitplanken ausgestattet. Auch wurde auf eine Begrünung in der Mitte verzichtet. Die Autobahnpisten befanden sich bei Münsingen, Oensingen, Alpnach, Lodrino, Sion, Flums und Payerne. Bei Übungen wurden die Streckenabschnitte innert weniger als sechs Stunden zum Flugplatz. Nur zwei Stunden nach dem letzten Flugzeugstart konnte die Autobahn wieder freigeben werden.

Diesen Ablauf – militärisch «Meccano» genannt – muss die Armee erst wieder lernen, deutet der Chef der Luftwaffe an. Dazu sei der Aufbau von mobilen Flugplatzabteilungen geplant, die eine Autobahn in eine Start- und Landebahn verwandeln, betreiben und diese dann auch bewachen können. Die letzte Einsatzübung fand 1991 statt, heute sind die typischen Merkmale der Autobahn-Ersatzflugplätze – wie leicht zu entfernende Leitplanken aus Stahlseilen – grösstenteils verschwunden.

«Das war der Plausch, einmal mit mehr als 280 Stundenkilometern über die Autobahn zu donnern.»

Ein Milizkampfjetpilot während der letzten Einsatzübung 1991 bei Flums

Die Tageszeitung «Die Ostschweiz» titelte damals eine grosse Reportage süffisant: «Ohne Vignette und mit 280 Kilometern pro Stunde auf der Autobahn!» In nur wenigen Stunden wurden die Autobahn gesperrt und die Leitplanken entfernt, und in einem Getreidesilo wurde ein behelfsmässiger Tower eingerichtet. Zwar wurde damals die Öffentlichkeit nicht darüber informiert, doch machte die Information der bevorstehenden Kampfjetübung auf der St. Galler Autobahn schnell die Runde und es kamen Scharen von Schaulustigen.

Das Manöver lockte damals auch den Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz und den St. Galler Regierungsrat Willi Geiger auf den behelfsmässigen Flugplatz auf der A3. Mit 24 Kampfflugzeugen der Typen Hunter und Tiger wurden Starts und Landungen geübt. Ein Milizpilot, der an diesem Tag auf der Autobahn starten und landen durfte, drückte seine Freude aus: «Das war der Plausch, einmal mit mehr als 280 Stundenkilometern über die Autobahn zu donnern.»

«Das war unglaublich»

Das aktuelle Vorhaben der Luftwaffe lässt die Mitglieder und ehemalige Militärdienstleistende in Erinnerungen schwelgen. Einer meldet sich am Tag nach dem Vortrag von Divisionär Merz am Telefon: «Ich habe gleich zu Hause eine Kiste mit alten Negativen herausgesucht. Das war einer der spannendsten Tage meiner Militärzeit!»

Er sei damals selber bei der Flugabwehr gewesen und habe im Oktober 1985 bei Mels die Starts und Landungen der Kampfflieger miterlebt: «Das war unglaublich. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen!» Er erinnert sich daran, dass ein Flieger sogar aus Jux eine Vignette dran hatte. Drei Jahre vorher seien in Münsingen sogar Kampfjets an der Tankstelle der Autobahnraststätte versteckt worden.

Das Starten und Landen auf den Autobahnen sei auch für die Piloten eine Herausforderung gewesen. Besonders bei den Autobahnbrücken sei es jeweils eng geworden: «Da war nur etwa ein halber Meter Platz zwischen den Schwanzflossen der Tiger und den Betonträgern, aber die haben das eiskalt durchgezogen.» Der Zeitzeuge hofft, dass die Luftwaffe schon bald wieder auf einer Autobahn übt und er vielleicht noch einmal Fotos schiessen kann: «Noch einmal zu sehen, wie Kampfjets auf der Autobahn starten und landen wäre schon ein Highlight! Das würde ich mir natürlich nicht entgehen lassen.»

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