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Parteien bringen sich für Tunnelabstimmung in Stellung

Die Abstimmung zum Stadttunnel teilt die Parteien Rapperswil‑Jonas in zwei Lager. Und parteiunabhängigeBewegungen tauchen aus der Versenkung auf, um für oder gegen das Generationenprojekt zu weibeln.

Fabio
Wyss
05.06.23 - 20:52 Uhr
Politik
Beim Seedamm unter die Erde: Die Idee eines Tunnels bis zur Rütistrasse war schon einmal begraben worden (Visualisierung von 2011) – und steht wieder zur Debatte.
Beim Seedamm unter die Erde: Die Idee eines Tunnels bis zur Rütistrasse war schon einmal begraben worden (Visualisierung von 2011) – und steht wieder zur Debatte.
Visualisierung Archiv

Die SP von Rapperswil‑Jona rückte vor wenigen Wochen als erste heraus: «Wir starten mit der entschiedenen Nein-Parole in die Abstimmungskampagne zum Stadttunnel.» Dieses «überdimensionierte, teure und umweltschädliche Megaprojekt» könne die Partei nicht verantworten, schrieb sie in einer Mitteilung. Bei der SP habe eine Arbeitsgruppe mit den Vorbereitungen für die Nein-Kampagne begonnen.

Bloss wenige Tage nach der SP äusserte sich die Mitte. An einer Parteiversammlung stimmten deren Mitglieder einer Tunnellösung grossmehrheitlich zu. «Das Leben in unserer Stadt soll oben stattfinden und der Verkehr unten», begründet Mitte-Präsident Ivo Reichenbach den Entscheid auf Anfrage. Der Tunnel bringe die notwendige Entlastung auf der Nord-Süd-Achse. Noch offen lässt die Ortspartei, welche der beiden Varianten sie bevorzugt (siehe Grafik).

Die Direktvariante vom Seedamm zum Autobahnanschluss Hüllistein kostet gemäss einer Berechnung aus dem Jahr 2018 rund 740 Millionen Franken. Die Finanzierung übernimmt mehrheitlich der Kanton. Der bei der Variante «Mitte» vorgesehene Umweg nach Kempraten mit einem dortigen Tunnelportal ist nochmals knapp 200 Millionen teurer. Eine sehr ähnliche Variante wurde bei der letzten Tunnelabstimmung 2011 versenkt. Das Stimmvolk kann nun am 10. September über beide Varianten abstimmen.

Neben die Mitte sind wohl auch SVP und FDP dafür …

Durch die Zustimmung der Mitte kommt es beim Stadttunnel aller Voraussicht nach zu einer bürgerlichen Allianz. Dafür braucht es noch die FDP und SVP. Diese Woche diskutieren die Freisinnigen erstmals seit 2011 – als sie klar dafür waren – über den Tunnel. Es wäre überraschend, wenn die FDP zwölf Jahre später ins Lager der Tunnelgegner wechseln würde.

Einerseits ist da Präsident Christian Meier, der sagt: «Ich persönlich bin der Meinung, dass ein Stadttunnel eine grosse Chance für Rapperswil‑Jona darstellt, und unterstütze das Vorhaben seit Jahren.» Andererseits ist Stadtpräsident Martin Stöckling ebenfalls Parteimitglied und klarer Befürworter. Viele weitere Liberale waren Wortführer der Proseite, als das Stimmvolk letztmals den Tunnel ablehnte.

Ähnlich sieht es bei der SVP aus. Diesen Donnerstag wird an der Mitgliederversammlung der parteilose Bauchef Christian Leutenegger über das Vorhaben informieren – und im Namen des Stadtrats dafür weibeln. «Tendenziell wird sich die SVP für den Tunnel aussprechen», vermutet Co-Parteipräsident Hans Peter Rathgeb.

Er erwähnt, dass es bei der Abstimmung nur um das Prinzip gehe, ob ein Tunnel überhaupt eine Variante sei. «Mit einem Ja kann in Ruhe geplant werden. Später kann immer noch definitiv über das Projekt abgestimmt werden», so Rathgeb.

Seine Haltung steht fest: «Wenn mit einem Tunnel die Hälfte des Verkehrs auf der Nord-Süd-Achse von der Oberfläche verschwindet, ist das eine gute Lösung.» Und die Stadt benötige endlich eine Verkehrslösung. Jene Kreise, die gegen den Tunnel sind, haben laut SVP-Präsident Rathgeb noch keine Alternative gezeigt. Die Realität sei aber, dass es immer mehr Autos gebe.

… und GLP sowie Grüne zusammen mit der SP dagegen

Ohne zu wissen, dass der SVP-Präsident den Tunnelgegnern an den Karren fährt, sagt der GLP-Vizepräsident Silas Trachsel: «Wir wollen jetzt ein Ergebnis – und nicht auf einen Tunnel hoffen, der vielleicht in 30 Jahren realisiert wird.» Stattdessen solle Rapperswil‑Jona mutig sein und Massnahmen austesten. Eine solche ist laut ihm Mobility-Pricing – ein Gebührensystem, um Stauspitzen zu brechen. «Abgesehen davon gilt es ÖV, Fuss- und Veloverkehr weiter zu fördern.»

Bei den Grünliberalen fiel der Entscheid gegen den Tunnel sowohl im Vorstand als auch bei einer späteren Mitgliederversammlung nicht einstimmig. Trachsel betont, dass man keine Fundamentalkritik betreibe, aber bei der Tunnelvorlage die Nachteile überwiegen. Auch plädiert er dafür, das Verkehrsproblem realistisch zu betrachten: «21 von 24 Stunden pro Tag läuft der Verkehr flüssig», sagt Trachsel. Andere Städte bereite eine vergleichbare Menge an Fahrzeugen, wie sie an der Unteren Bahnhofstrasse vorbeifahre, keine grösseren Probleme. Obschon es sich bei jener Strasse gemäss dem «St. Galler Tagblatt» um eine der meist befahrenen im ganzen Kanton handelt – mit täglich rund 25 000 Fahrzeugen.

Zum Lager der Gegner gesellen sich höchstwahrscheinlich die Grünen. «Definitiv haben wir uns noch nicht entschieden», sagt zwar Präsident Klaus Baumann. Es sei aber eine Tatsache, dass es mindestens 20 Jahre bis zur Realisierung des Tunnels dauert. «Unsere Verkehrsprobleme müssen wir aber zeitnah lösen; wie der Verkehr in 20 Jahren aussieht, ist unklar.»

Nach Baumanns Meinung funktioniert der Abbau des motorisierten Individualverkehrs bloss über Einschränkungen und parallel dazu den Ausbau für den Langsam- und öffentlichen Verkehr. Neue Strassen würden vor allem etwas bringen: mehr Verkehr.

Die Grünen wollen beim Tunnel die Fühler ausstrecken, um mit Gleichgesinnten eine Allianz zu bilden. Dafür kommen sowohl auf der Pro- als auch auf der Contraseite nicht nur Parteien infrage (siehe Box).

Tunnelkomitees sind zurück
Einiges ist in Bewegung bei den Tunnelbefürwortern und -gegnern. So hat Marcel Gasser jüngst in den «Obersee Nachrichten» seinen Rücktritt als Präsident des Vereins Verkehrsentlastung Rapperswil‑Jona (VERJ) bekannt gegeben. Als 65-Jähriger möchte er nicht mehr als Treiber eines Projektes vorne hinstehen, dessen Fertigstellung noch viele Jahre dauern wird. Es liege nun an Jüngeren, über dieses Generationenprojekt zu diskutieren und zu befinden, sagte er. Dennoch amtet das FDP-Mitglied weiterhin als Medienverantwortlicher beim VERJ, das geht aus einer Mitteilung vom Montag hervor.
Gemäss dieser übernimmt der Verein die Initiative, um ein Ja-Komitee zu bilden. «Als erste Massnahmen sollen bis Ende Juni die Komitee-Leitung besetzt, die Kampagnenplanung vollzogen und deren Finanzierung sichergestellt werden.» Mit verschiedenen Personen und einigen Organisationen seien bereits Gespräche geführt worden, heisst es.
Für den VERJ ist klar, dass ohne Tunnel die Verkehrsprobleme langfristig ungelöst blieben – besonders die Entlastung vom morgendlichen und abendlichen Durchgangsverkehr und damit verbundenem Stau. «Würde aber der Durchgangsverkehr unter der Stadt durchlaufen, könnte im Gegenzug Platz und Infrastruktur geschaffen werden für ÖV, Langsamverkehr und städtische Begegnungszonen.»

In der Variantenfrage sollen laut VERJ-Mitteilung auf der Ja-Seite durchaus unterschiedliche Ansichten bestehen und ihren Platz haben. Die Diskussion sei nach einem allfälligen Ja zu führen. Eine Zersplitterung der Befürworter wegen vorgezogener Variantendiskussionen gelte es zu vermeiden. «Das begünstige nur das Nein-Lager.»
Und dieses Nein-Lager ist durchaus solide aufgebaut – zum Beispiel mit der IG Mobilität Rapperswil‑Jona (IGMRJ). Diese hat nicht nur 2011 den Tunnel gebodigt, sondern auch 2019 gegen das abgelehnte Stadtraumprojekt («Avenida») geweibelt. Seither ist es ruhig geworden um die IG und ihren «Tunnelschreck» Hubert Zeis. Das soll sich bald ändern: «Wir werden uns äussern und versuchen, aktiv auf den Abstimmungskampf Einfluss zu nehmen», sagt der IG-Präsident auf Anfrage. Aktuell laufen dazu die Vorbereitungen.
Schon etwas weiter ist man seitens VCS St. Gallen / Appenzell. Dessen Vorstandsmitglied Ivo Kuster aus Eschenbach wird beim Verkehrsclub die Gegenkampagne zum Tunnel führen. «Der VCS sieht nicht, wie ein Tunnel die bestehenden Probleme lösen könnte und hält das Projekt für unsinnig», sagt er. Da seien zum Beispiel die Unwägbarkeiten des Tunnelbaus durch das mit Seekreide belastete Stadtgebiet. «Ebenfalls höchst fraglich ist, ob das Projekt mit Kosten von einer Milliarde Franken bei einer kantonalen Abstimmung Chancen hat», sagt Kuster. Mit einem Ja wird laut ihm aber schon ein Planungskredit ausgelöst – mit Kosten von 30 bis 60 Millionen Franken. (wyf)

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