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Kanton und Gemeinde sind sich einig

Aus dem ehemaligen Pflegezentrum Linth in Uznach soll ein kantonales Asylzentrum werden. Der Vertrag liegt parat, aber erst wird die Bevölkerung angehört.

Fabio
Wyss
11.04.22 - 20:59 Uhr
Politik
Bald öffnen sich Tore für Flüchtlinge: Für zwei Jahre soll das Pflegezentrum Linth zum Asylzentrum werden.
Bald öffnen sich Tore für Flüchtlinge: Für zwei Jahre soll das Pflegezentrum Linth zum Asylzentrum werden.
Bild Markus Timo Rüegg

Ist der Sturm der Entrüstung in Uznach etwas Spezielles? Frei von Hektik antwortete Jürg Eberle, der Leiter des St. Galler Migrationsamtes: «Nein. Aber die Angst vor dem Neuen und Fremden legt sich in der Regel rasch.» Eberle informierte am Montag gemeinsam mit anderen Behördenvertretern über die Pläne für das ehemalige Pflegezentrum Linthgebiet (PZL). Hier soll ab Juli der Kanton das frei stehende Gebäude samt Umschwung für ein Asylzentrum anmieten.

Dass dieses Anliegen in Uznach keine Begeisterungsstürme auslösen wird, war sich Gemeindepräsident Diego Forrer bewusst. Ende Januar erfuhr er vom Interesse des Kantons. «Ich habe die Schlagzeilen in den Medien schon vor mir gesehen: ‘Den letzten Bewohner aus dem Bett gezerrt, schon stehen Asylbewerbende aus allen Herren Länder vor der Tür des Pflegezentrums’», sagte Forrer an der Medienkonferenz im PZL.

Ganz ähnlich hat der «Blick» denn auch getitelt. Entsprechend zeigte sich Félix Brunschwiler an der Medieninformation bemüht, diesen Zusammenhang aus der Welt zu schaffen. Der Schmerkner Gemeindepräsident präsidiert den PZL-Zweckverband und erklärte: «Pflegezentren haben in der ganzen Schweiz Probleme.» In Uznach habe das seit Jahren zu steigenden Defiziten geführt – trotz Personal- und Bettenabbau.

«Und dann flog uns auch noch Corona um die Ohren», so Brunschwiler. Die Konsequenz: Die Nachfolgelösung des externen Pflegedienstleisters hatte sich zwischenzeitlich aufgelöst. Und per letzten Januar war das PZL zahlungsunfähig. «So kamen wir zum Schluss, dass es keinen Sinn macht, das PZL weiter zu betreiben.»

Ab Juli Leben im leeren Haus?

Zu dieser Zeit erfuhr das St. Galler Migrationsamt via Zeitung vom Leerstand in Uznach: «Wir suchten im Winter nach Objekten. Denn in der Regel steigen die Asylgesuche im Frühling an», gab Eberle an. Nach seinem Dafürhalten wäre der Standort Uznach auch geografisch verträglich. Der Kanton schaut, dass sich die Asylzentren über den ganzen Kanton verteilen (siehe Grafik). Darum fragte er beim Zweckverband des Pflegezentrums an. Und stiess auf offene Ohren: «Wir stehen da als Zweckverband und haben ein leeres Haus», sagte Brunschwiler.

Dieses könnte sich spätestens in drei Monaten wieder füllen – mit Asylsuchenden. Das kantonale Zentrum ist in erster Linie für Flüchtlinge angedacht, bei denen ein Asylverfahren läuft. Gemäss Zahlen aus dem 2021 kommt gut die Hälfte aller Asylsuchenden entweder aus Afghanistan, der Türkei oder aus Eritrea. Heuer zeigen die Prognosen für die Anzahl Schutzbedürftigen auch ohne Ukrainekrieg klar nach oben.

Ähnlich wie in Amden

«Das sind Menschen, die auf ihren Asylentscheid warten. Die Mehrheit von ihnen dürfte aufgenommen werden», erklärte Tilla Jacomet, Leiterin der Asylabteilung im Kanton. Wegen dieser Ausgangslage habe das geplante Zentrum in Uznach einen «Integrationscharakter». Das Ziel ist, diese Menschen auf das Leben in der Schweiz vorzubereiten, wie Jacomet sagte. «Dazu gehören der Spracherwerb sowie unter anderem das Lernen der Rechte und Pflichten in diesem Land.»

Wie in der Ammler «Bergruh» sollen die Asylbewerberinnen später also einer Gemeinde zugewiesen werden. «Wir haben von Mitarbeitenden aus Amden die Zusage, dass sie uns unterstützen wollen im Aufbau eines Zentrums in Uznach», sagte Jacomet.

Vorgesehen ist ein 24-Stunden-Betrieb. Inklusive Sicherheitsdienst, einer Schule und Werkstätten. «Werktags werden die Bewohnenden beschäftigt und erhalten eine Tagesstruktur», erläuterte die Asylexpertin. Noch nicht geklärt ist, wie die Verpflegung organisiert wird. Üblicherweise kochen die Asylsuchenden in einer Grossküche. Im PZL steht eine solche aber nicht zur Verfügung. Da die Bewohner via Spitalküche des benachbarten Spitals Linth verpflegt wurden.

Das ist geplant

Aktuell steht dem Asylzentrum nicht mehr viel im Weg (siehe «Fünf Fragen an …»). Gemeindepräsident Forrer hat dafür sämtliche Forderungen aus Uznach beim Migrationsamt durchgebracht: So soll unter anderem der Vertrag auf zwei Jahre befristet sein; primär sollen Familien oder Mütter mit Kindern in Uznach aufgenommen werden; die Anzahl Plätze muss beschränkt sein.

Im Detail sieht das folgendermassen aus: Statt der 200 bis 250 Plätze, welche das PZL böte, sollen durchschnittlich nur 100 Personen in Uznach untergebracht werden. Wobei die Obergrenze von 140 Personen nicht überschritten werden darf.

Rote Zahlen: Félix Brunschwiler zeigt die Defizite des Pflegezentrums der letzen Jahre, Jürg Eberle (rechs) hört zu und Diego Forrer bereitet sich auf seine Rede vor.Bild Markus Timo Rüegg
Rote Zahlen: Félix Brunschwiler zeigt die Defizite des Pflegezentrums der letzen Jahre, Jürg Eberle (rechs) hört zu und Diego Forrer bereitet sich auf seine Rede vor.Bild Markus Timo Rüegg

Was ist mit Ukrainern?

Allerdings gibt es bei dieser Obergrenze eine Ausnahme. Sollten ukrainische Flüchtlinge die Mehrheit aller Flüchtlinge ausmachen, könnten im PZL bis zu 160 Schutzsuchenden untergebracht werden. Auch könnte bei Bedarf für ukrainische Flüchtlinge das PZL auch schon vor dem 1. Juli als Unterkunft dienen.

Félix Brunschwiler, der auch die Region Zürichsee-Linth präsidiert, hält das aber für unwahrscheinlich. «Wir sind der Meinung, dass für ukrainische Flüchtlinge eine dezentrale Unterbringung besser wäre.» Derzeit seien die Gemeinden «mit Hochdruck daran», leer stehende Wohnungen zu suchen und zu mieten.

Eberle vom Migrationsamt findet das gut so. Und begründet, weshalb im PZL nicht ukrainische Flüchtlinge untergebracht werden sollten: «Sie verfügen über eine unterschiedliche Aufenthaltsbewilligung im Vergleich zu anderen Schutzsuchenden. Das könnte zu Spannungen führen.» Während die Asylsuchenden auf ein Leben in der Schweiz vorbereitet werden, stehen für Ukrainerinnen die Verarbeitung der Kriegserlebnisse und die Rückkehr zuoberst auf der Prioritätenliste.

Bald kommt das Volk zum Zug

Keinen Unterschied macht die Nationalität der Schutzsuchenden für Gemeindepräsident Forrer: «Es geht um notleidende Menschen, die auf der Flucht sind aus Krisenherden auf unserem Planeten.» Er hofft nun auf Sachlichkeit, wenn am 26. April um 19 Uhr in der Turnhalle Haslen mit der Bevölkerung ein Austausch stattfindet.

Der Mietvertrag, welcher im Entwurf vorliegt, wird erst danach unterzeichnet. Bewohnerinnen und Bewohner sollen angehört werden. Und ihre Anliegen gegebenenfalls mitaufgenommen werden. Die Gemeinde fordert auch bei einem allfälligen Bezug des Asylzentrums regelmässige Tischgespräche zwischen Bevölkerung und Behörden.

Für den Leiter des Migrationsamtes, Jürg Eberle, ist das Usus. «Am Anfang initiieren wir immer runde Tische mit der Bevölkerung alle paar Monate.» Nach einer Weile seien diese jeweils nicht mehr nötig, da sich die Befürchtungen gegenüber den Flüchtlingen erübrigt hätten.

Demut statt «politischer Tsunami»

Ein Kommentar von Fabio Wyss

Wenn wir die Fernsehbilder aus der Ukraine nicht mehr ertragen, zappen wir einfach weiter. So einfach ist das als Schweizer. Wir haben die Wahl. Wie wir das verdient haben, weiss niemand. Tatsache ist aber: Es ist ein Privileg. Speziell in diesen Zeiten, in denen Millionen auf der Flucht sind. Sei es wegen des Krieges, weil sie politisch verfolgt werden oder Hungersnöte sie aus ihrem Heimatland vertreiben.

In den nächsten zwei Jahren können wir maximal 160 Flüchtlingen im ehemaligen Pflegezentrum Linthgebiet (PZL) ein Obdach bieten. Denn das defizitäre PZL steht momentan leer. Die Konkurrenz durch Altersheime verunmöglichte, das Pflegezentrum wirtschaftlich weiter zu betreiben. Und einfach weiter Steuergelder einzuschiessen, wäre auf politischen Widerstand gestossen. Zu zahlreich sind die Rufe nach Steuersenkungen in den Gemeinden. Und zu laut.

Dass sich nun ausgerechnet die lautesten Stimmen für Steuersenkungen am meisten gegen das Asylzentrum wehren, erscheint von daher paradox. In Uznach braucht es keinen «politischen Tsunami» gegen das Asylzentrum, wie von der SVP angedroht. Benötigt wird in den nächsten zwei Jahren gerade aus diesen Kreisen Demut.

Demütig sollten sich Bürgerinnen und Parteienvertreter überlegen, wie man sich in Kriegszeiten gegen aussen präsentieren will. Sie haben die Wahl: Ist jetzt Widerstand gegen ein Asylzentrum angebracht? Oder will man Hand bieten, um eine leer stehende Baute vorübergehend sinnvoll zu nutzen?

Und zwar sinnvoll aus humanitären Gründen wie auch aus ökonomischen. Humanitär, weil die Flüchtlingsströme dieses Jahr so gross sind wie schon lange nicht mehr und diese Menschen irgendwo untergebracht werden müssen. Und wirtschaftlich, weil der Kanton für das auf zwei Jahre befristete Asylzentrum Miete bezahlt.

Demut hilft auch, um uns in die Lage der Neuankömmlinge zu versetzen. Ihre Situation relativiert unsere Probleme. Denn, ob Ukrainerinnen, Afghanen oder Syrer – sie können nicht einfach weiterzappen. Sie haben keine Wahl.

Der Gemeindepräsident Diego Forrer im Kurzinterview.
Der Gemeindepräsident Diego Forrer im Kurzinterview.

Die Pläne für ein Asylzentrum haben hohe Wellen geschlagen. Erstaunte Sie das?

Ich bin lange genug im Politgeschäft unterwegs und nicht so naiv, als dass ich auf die Medienmitteilung des Kantons vom 16.  Februar keine Reaktionen erwartet hätte. Die Heftigkeit hat mich dann aber doch überrascht und teilweise traurig gestimmt. Allenfalls wäre eine gemeinsame Kommunikation seitens Kanton und Gemeinderat besser gewesen. Im Nachhinein ist man bekanntlich immer schlauer.

Wie strittig war denn das Thema innerhalb des Uzner Gemeinderates?

Aus humanitärer Sicht ist die Nutzung eines leer stehenden Gebäudes für notleidende Mitmenschen einfach nur ein Akt der Solidarität. Nach nüchterner Betrachtung ist das meine Überzeugung. Mit dieser hat sich innerhalb des Gemeinderates von Beginn an eine geschlossene Haltung für die Zwischennutzung des Pflegezentrums entwickelt. An der letzten Sitzung vom vergangenen Mittwoch kam die Geschlossenheit der gemeinderätlichen Haltung nochmals zum Ausdruck.

Was müsste nun passieren, damit das Asylzentrum nicht nach Uznach kommt?

Wir nehmen unsere Bevölkerung ernst. Wenn an der Infoveranstaltung vom 26. April Erkenntnisse auftauchen, die uns noch nicht bekannt sind, werden wir diese berücksichtigen. Der Informationsabend soll keine Alibiübung werden. Zudem wird danach noch ein reguläres Umnutzungsverfahren durchgeführt.

Inwiefern schränkt der Betrieb eines Asylzentrums bis 2024 den Handlungsspielraum der Uzner Altersstrategie ein?

Gar nicht. Wir müssten diese Zeit ohnehin nutzen, um konzeptionell am Projekt der Altersstrategie weiterzuarbeiten. Der Gemeinderat Uznach hat das Ziel, Ende 2022 Besitzer der Liegenschaft zu werden. Eine neue Altersstrategie braucht aber sicher länger Zeit als zwei Jahre.

Das Ziel am Standort des Pflegezentrums (PZL) ist nicht in erster Linie, ukrainische Flüchtlinge unterzubringen. Hat die Gemeinde überhaupt noch Platz an anderen Orten für Ukrainerinnen und Ukrainer?

Wir sind aktuell bei 32 Schutzsuchenden aus der Ukraine angelangt. Für zusätzliche Flüchtlinge suchen wir derzeit Raum. Da momentan die ukrainischen Flüchtlinge nicht alle aufs Mal kommen, müssen wir aber noch nicht auf die Räumlichkeiten des PZL zurückgreifen. Was aber klar ist: Bevor Flüchtlinge in Zivilschutzanlagen müssten, würden wir das PZL füllen. Wenn jedoch – wie teilweise befürchtet – schweizweit 300 000 ukrainische Flüchtlinge ankommen, wären die rund 100 Plätze im PZL bloss ein Tropfen auf den heissen Stein. (wyf)

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