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Zugfahren mit dem Velo ist nirgends so simpel wie hier

Die Südostbahn testet in der Region ein Pilotprojekt. Damit will sie das Reisen mit sperrigem Gepäck – vor allem Velos – vereinfachen. Und für Jugendliche soll die Zugfahrt gemütlicher werden.

Fabio
Wyss
18.12.23 - 16:55 Uhr
Mobilität
Im Nu sind zwei Viererabteile weg: Industriedesigner Christian Keller schafft Platz für Velos.
Im Nu sind zwei Viererabteile weg: Industriedesigner Christian Keller schafft Platz für Velos.
PRESSEBILD

Versteckt auf dem südlichsten Gleis 7 des Bahnhofs Rapperswil steht am Montagmorgen ein unscheinbar wirkender Zug der Südostbahn (SOB). Doch dieser hat es in sich. Darum steigen über ein Dutzend Medienschaffende aus der ganzen Schweiz und dem benachbarten Ausland zu.

«Wir präsentieren heute ein Novum, eine Schweiz-Neuheit – wenn nicht eine Weltneuheit», sagt Urs Brütsch, Leiter Mobilität bei der SOB und nimmt die Journalistenschar mit auf eine Reise in die nahe Zukunft. Konkret geht es um ein Pilotprojekt, das die SOB in einer Medienmitteilung mit «flexible Abteile für Velo und Gepäck» umschreibt.

Wer schon einmal mit einem Velo in einen Zug eingestiegen ist, weiss: Das ist mühsam. Entweder fehlt es an Platz, das Velo ist zu schwer für die Aufhängevorrichtung, andere Zugreisende drängeln und so weiter. Das Gleiche gilt für Kinderwagen, E-Trottinette, Reisekoffer, Skis und Snowboards.

Das ÖV-Dilemma

Gleichzeitig fordert die Situation Bahnbetriebe heraus. Denn die Bedürfnisse der Kundschaft ändern sich je nach Uhrzeit, Wochentag oder Saison. «Trotzdem bieten wir zu jeder Tages- und Nachtzeit, bei jedem Wetter, stets das gleiche Angebot an Sitz- und Stellplätzen an», so Brütsch. Der SOB-Kadermann nennt es ein regelrechtes Dilemma des öffentlichen Verkehrs.

Abhilfe soll nun ein System schaffen, das von der Firma Erfindergeist aus Rorschacherberg entwickelt wurde. Industriedesigner Christian Keller zeigt in wenigen Handgriffen, wie es geht. Er braucht keine Minute, um zwei Viererabteile verschwinden zu lassen. Zusammengeklappt hängen diese an der Seite und geben eine Fläche frei für sechs Fahrräder. «Das ist die offiziell zugelassene Zahl», sagt Keller mit einem Augenzwinkern.

Offensichtlich bietet die Stellfläche je nach Zweiradtyp wohl auch Platz für etwas mehr Gefährte. Kinderwagen wiederum sind auf der gegenüberliegenden Seite vorgesehen. Am Boden aufgezeichnete Piktogramme zeigen, was wo hingehört.

Nebst den Zonen für Gepäck und Velos testet die Südostbahn auch ein Abteil mit einer Sitzbank, das Platz für E-Scooter und ein Tischchen für Smartphones oder Tablets bietet. Dieses Sitzmodul wurde mithilfe von Jugendlichen entwickelt, die in das Projekt einbezogen wurden. Dank ihnen gibt es zusätzliche Ablageflächen für Kleingepäck wie Schultaschen. Die Sitznische ist auch für ältere Generationen gedacht. Ins Modul integrierte Haltestangen erleichtern das Aufstehen.

Machen es sich in einer Eckbank bequem, welche auf die Bedürfnisse von Jugendlichen eingeht: Die Projektverantwortlichen Urs Brütsch, Sandra Dietsche und Christian Keller (v.l.).
BILD FABIO WYSS
Machen es sich in einer Eckbank bequem, welche auf die Bedürfnisse von Jugendlichen eingeht: Die Projektverantwortlichen Urs Brütsch, Sandra Dietsche und Christian Keller (v.l.). BILD FABIO WYSS

Kosten über eine Million

Seit eineinhalb Jahren tüfteln Ingenieur Keller und die Südostbahn nun am Pilotprojekt. Gemäss SOB-Projektleiterin Sandra Dietsche setzte sich der nun in einem Wagen eingebaute Prototyp gegen rund 20 Konzepte durch. Ein Argument dabei war dessen Einfachheit: Er lässt sich an bereits bestehenden Befestigungspunkten installieren. Was die künftige Umrüstung von Bahnwagen verhältnismässig kurz und günstig macht. Nicht ganz so günstig ist mit 1,4 Millionen Franken das Pilotprojekt an und für sich. Unterstützt wird dieses mit Bundesgeldern.

«Ab nächster Woche starten wir den Regelbetrieb», kündet Dietsche an. Wo die Jungfernfahrt stattfindet, ist indes noch nicht bekannt. Vorwiegend wird der Zug aber im Regionalverkehr eingesetzt. Bahnreisende erkennen das Abteil von aussen an den weissen Symbolen neben der Schiebetür (siehe Bild). Die SOB muntert die Kundschaft zum ausgiebigen Testen auf.

Der Testzug in Rapperswil: Weisse Symbole weisen von aussen auf das neue Abteil.
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Der Testzug in Rapperswil: Weisse Symbole weisen von aussen auf das neue Abteil. BILD FABIO WYSS

Selber Hand anlegen, ist aber nicht erwünscht. Das Hin und Her Verschieben der Sitzplätze übernimmt im einjährigen Versuchsbetrieb das Zugpersonal. Wo die Reise mit den neuen Abteilen danach hinführt, ist noch offen. Offene Fragen sind: Zu welchem Zeitpunkt, auf welchen Routen werden wie viele Abteile benötigt. Diese will die SOB zusammen mit der Kundschaft klären (siehe Box).

Kundschaft redet mehr als ein Wörtchen mit
Mit dem Pilotversuch der neuen flexiblen Abteilungen beginnt bei der Südostbahn (SOB) das grosse Datensammeln. Mittels QR-Code bei den neuen Abteilungen und einem Online-Formular können Zugreisende ihre Rückmeldungen abgeben. Neu setzt zudem die SOB in einem separaten Projekt ein Videosystem ein. Dieses erfasst Gepäckstücke und Velos. Mit diesen Daten will die SOB herausfinden, wie viel Gepäck, wann, auf welchen Routen transportiert wird. Diese Statistiken sollen künftig mit Wetter-, Ferien oder Veranstaltungsdaten verknüpft werden. Dank künstlicher Intelligenz will die SOB so frühestmöglich den möglichen Bedarf an Sitz- und Stellflächen ermitteln. Rückmeldungen der SOB-Kundschaft führten übrigens schon zu den neuen Abteilungen, die ab nächster Woche getestet werden. In einer Mitteilung versichert das Bahnunternehmen, dass mit den datenschutzsicheren Videobildern «keine Personendaten verknüpft werden».  (wyf)

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