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Der Weg zum Künstler: Alberto Giacometti in jungen Jahren

Im Bündner Kunstmuseum werden Werke vom jugendlichen Alberto Giacometti gezeigt – ein Porträt über diese Jahre.

Bündner Woche
09.09.23 - 04:30 Uhr
Menschen & Schicksale
Alberto Giacometti, Selbstbildnis mit blauer Baskenmütze, 1916, Kunsthaus Zürich, Aquarell über Grafitstift auf Papier.
Alberto Giacometti, Selbstbildnis mit blauer Baskenmütze, 1916, Kunsthaus Zürich, Aquarell über Grafitstift auf Papier.
zVg

von Riccarda Hartmann

«Es wurden immer wieder einzelne Bilder von ihm aus seiner Jugend gezeigt, jedoch immer mit dem Blick zurück aus Sicht des berühmten Künstlers», fängt Stephan Kunz an, der die Ausstellung zu Alberto Giacometti in jungen Jahren im Bündner Kunstmuseum kuriert. Doch: «Wie wird er überhaupt Künstler? Man sieht es bereits früh, aber an was orientiert er sich? Wo hat er angefangen?» Fragen über Fragen, die, anhand seiner Bilder und Plastiken, Briefen und Tagebucheinträgen, zu beantworten möglich werden. Bilder aus seiner Jugend. Also tun wir das. Betrachten wir sie und lernen den Alberto Giacometti kennen, wie er Künstler wird. Wie dieser Weg aussieht. Er ist ein Sohn, der älteste Bruder. Ein Junge, der malt und zeichnet. Inspiriert von einem Umfeld, geprägt von Kunst.

Befreundet mit Cuno Amiet und Ferdinand Hodler ist auch Vater Giovanni Giacometti ein Maler. Beide Freunde werden Patenonkel. Ersterer von Alberto, Zweiterer von dessen Bruder Bruno. Am 10. Oktober 1901 wird Alberto Giacometti also in eine Familie im Bergell hineingeboren, die Kunst pflegt. Er kommt in Borgonovo zur Welt, im gleichen Haus – dem Dolfi-Haus –, wo seine Mutter Annetta Giacometti-Stampa aufwuchs. Am Tag seiner Geburt zeichnet sein Vater auch gleich das erste Bildnis von ihm. Mit Tuschefeder auf Papier. Ein Baby eingewickelt in ein Tuch, die Augen zusammengekniffen, im Arm der Mutter. Im Laufe der Jahre entstehen viele Porträts von Alberto Giacometti, gemalt von seinem Vater. Vom Babybild bis zum Jugendlichen, der nach Paris geht. Im Anzug, lesend, am See sitzend oder malend. Vom Kind mit den hellen Locken zum jungen Mann mit den braunen Locken.

Von Borgonovo zieht die Giacometti-Familie im Jahr 1904 nach Stampa. Dort wächst Alberto mit seinen drei Geschwistern, Diego, Ottilia und Bruno auf. Ein Jahr später erwirbt Giovanni Giacometti den Stall von seinem Bruder Otto Giacometti und wandelt diesen in ein Atelier um. Alberto Giacometti ist gerne dort. Schaut seinem Vater zu, malt oder zeichnet mit ihm gemeinsam. «Die Nähe zum Vater hat ihn gefördert», meint Stephan Kunz. Gleiche Motive, gleiche Modelle, die sie zusammen malen. Nebeneinander. Familienmitglieder, Menschen aus dem Bergell, Landschaften.

Kunstbücher studieren und Werke kopieren

Zu Hause besitzt die Familie viele Bücher. Von Belletristik zu Kunst. Alberto Giacometti sieht sich viele Bücher an, studiert sie, malt die Werke darin nach. Lernt so das Handwerkliche. Mit zwölf Jahren kopiert er Ferdinand Hodler, Albrecht Dürer und Katsushika Hokusai. «Er wollte Künstler werden, dafür machte er auch viel», sagt Stephan Kunz. Täglich zeichnet er, malt, später kommen Plastiken hinzu. Eine seiner frühesten ist mit 13 Jahren entstanden. Die frühesten Bilder, in denen er seine Geschwister und seine Mutter festhält, sind auf das Jahr 1916 datiert. Der Vater selbst porträtiert er um einiges später, da dieser viel unterwegs ist und stets neben ihm malt. Oder für den Alberto Giacometti weiterhin als Motiv dasteht.

Landschaft bei Maloja (Piz Margna), 1924, Öl auf Leinwand.
Bild zVg
Landschaft bei Maloja (Piz Margna), 1924, Öl auf Leinwand. Bild zVg
Sitzender junger Mann in ganzer Figur, lesend, um 1920, Bleistift auf Papier.
Bild zVg
Sitzender junger Mann in ganzer Figur, lesend, um 1920, Bleistift auf Papier. Bild zVg
Bildnis der Mutter, um 1918, Feder in Tusche auf Papier.
Bild zVg
Bildnis der Mutter, um 1918, Feder in Tusche auf Papier. Bild zVg

1915 fängt für den jungen Bergeller die Zeit in der noch damals sogenannten Lehranstalt in Schiers an. In der Schule porträtiert er seine Mitschüler und die Kollegen aus der Studentenverbindung Amicitia, in die er am 5. Mai 1917 als «Büsi» aufgenommen wird. Diesen Namen erhielte er dank seines katzenhaften Benehmens, sagt der Bericht des 45. Semesters.

In der Schule selbst kann er ein Zimmer zu seinem eigenen Atelier umwandeln. Nicht nur dort malt und zeichnet er. Hefte und Massstäbe sind voller Skizzen und Zeichnungen. Als guter Schüler, seinem Jahrgang voraus, ist Alberto Giacometti unterfordert. Kurz vor der Matura beschliesst er im Jahr 1919, vorher herauszufinden, ob er Künstler werden möchte, und gibt in der Schule Urlaub ein.

Italien und Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte

Er geht nach Genf an die «Ecole supérieure des beaux-arts» und an die «Ecole des arts industriels». Jedoch gefällt ihm der Unterricht dort nicht, weil er nichts lernen würde. Also kehrt er zurück nach Stampa. Dort arbeitet er für sich.

Im Mai 1920 begleitet er seinen Vater nach Venedig an die Biennale und anschliessend gehen sie nach Padua. Im Herbst selben Jahres bis im nächsten Sommer geht Alberto Giacometti erneut nach Italien. Florenz, Perugia, Assisi. In Rom kommt er bei Antonio Giacometti, einem verwandten ausgewanderten Zuckerbäcker, unter. Er besucht Museen, Ausstellungen und Kulturveranstaltungen und setzt sich mit der Kunstgeschichte auseinander. Besonders mit der ägyptischen Kunst. Im April macht er dafür einen Kurztrip nach Neapel, Paestum und Pompeji. Später zu Hause entsteht ein Selbstbildnis mit einer archaisch-griechischen Haltung.

Giovanni Giacometi, Alberto, lesend, um 1914, Öl auf Leinwand.
Giovanni Giacometi, Alberto, lesend, um 1914, Öl auf Leinwand.
Giovanni Giacometti, Der Maler (Alberto), 1921, Öl auf Leinwand.
Giovanni Giacometti, Der Maler (Alberto), 1921, Öl auf Leinwand.

Von Stampa wechselt Alberto Giacometti am 9. Januar 1921 nach Paris an die Académie de la Grande Chaumière. Auch in Paris besucht er viele Museen. Nach einem halben Jahr kehrt er zurück in die Schweiz, nach Herisau, um die Rekrutenschule zu absolvieren. Danach geht er zurück nach Paris. Dort besucht er eine Bildhauerklasse. Man sieht, wie die gemalten Figuren somit plastischer werden. Auch Stillleben, am Anfang eher klassisch, werden weniger farbig, konzentrierter und beinahe abstrakt.

Und so ist Alberto Giacometti ein junger, selbstbewusster Mann, der doch auf der Suche war. Und nun langsam seinen Stil und seinen Weg zum Künstler, zum Bildhauer, findet. Sein eigenes Künstlerleben beginnt. «Von 1923 und 1925 sind die letzten beiden Selbstporträts, die wir in dieser Ausstellung zeigen», erklärt Stephan Kunz. «Hier endet die Ausstellung und man kann die Wege erkennen, wie es bei ihm weitergeht.»

Die Ausstellung «Porträt des Künstlers als junger Mann» ist noch bis zum 19. November im Bündner Kunstmuseums zu sehen.

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