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Orchester im Dunkeln beim Konzert zum Filmmusikwettbewerb-Finale

Drei Filmmusiken zum Animationsfilm «Au Revoir Jérôme» haben es am 11. Filmmusikwettbewerb ins Finale geschafft. Das Tonhalle-Orchester Zürich spielt diese Kompositionen live zum Film und tritt dafür in den Hintergrund, sagt Konzertmeistern Julia Becker.

Agentur
sda
30.09.23 - 07:00 Uhr
Kultur
Julia Becker ist beim Tonhalle-Orchester Zürich Konzertmeisterin; in dieser Position vermittelt sie zwischen Orchester und Dirigent. Besonders wichtig ist diese Rolle, wenn das Orchester live zu einem Film spielt - wie am Finale des Filmmusikwettbewerbs…
Julia Becker ist beim Tonhalle-Orchester Zürich Konzertmeisterin; in dieser Position vermittelt sie zwischen Orchester und Dirigent. Besonders wichtig ist diese Rolle, wenn das Orchester live zu einem Film spielt - wie am Finale des Filmmusikwettbewerbs…
Handout: Priska Ketterer / Tonhalle-Orchester Zürich

Das Orchester wird an diesem Filmmusikkonzert kaum zu sehen sein. «Hauptakteur ist der Film, deshalb machen wir uns möglichst unsichtbar», sagt Julia Becker im Gespräch mit Keystone-SDA. «Wir sitzen im Dunkeln und haben Pultlampen, damit wir die Noten trotzdem sehen.»

Die Violinistin ist seit 1995 Konzertmeisterin im Tonhalle-Orchester. Filmmusik zu spielen, sei eine besondere Abwechslung, die ihr grossen Spass mache. Lachend fügt sie hinzu: «Am liebsten spiele ich zu Blockbustern.»

Tisch mit Oktopusbeinen

Doch nun wird es der 7-minütige Animationsfilm «Au Revoir Jérôme» von Chloé Farr, Gabrielle Selnet und Adam Sillard sein. Der Streifen wurde an der Berlinale 2022 gezeigt. Jetzt steht er im Zentrum des Filmmusikwettbewerbs, dessen Gewinner im Rahmen der 19. Ausgabe des Zurich Film Festivals (ZFF) ermittelt wird.

Jérôme ist tot und findet sich im Paradies wieder. Sofort beginnt er, seine vor einem Jahr verstorbene Frau Maryline zu suchen. Dabei begegnet er allerlei wunderlichen Wesen: einem Tisch mit Oktopusbeinen, einer saxofonspielenden Meerjungfrau und einem seltsamen Hotdog-Verkäufer. Ob Jérôme seine Frau findet, sei hier nicht verraten.

Wie «Au Revoir Jérôme» klingen könnte, dazu haben 153 Komponistinnen und Komponisten aus 33 Ländern ihre Ideen eingereicht. Die Werke von Carl Falkenau aus Schweden sowie Cian McCarthy und Elliot Murphy aus Irland haben es ins Finale geschafft. Im Rahmen der «Cinema in Concert»-Gala (am Samstagabend) spielt das Tonhalle-Orchester Zürich alle drei Filmmusiken live zum Film. Die Jury um Oscarpreisträger Volker Bertelmann («Im Westen nichts Neues») entscheidet, wer mit dem Goldenen Auge für die beste Filmmusik ausgezeichnet wird.

Das Orchester im Korsett

Für das Orchester gilt, dass sich Filmmusik grundsätzlich im Stil vom üblichen Repertoire unterscheidet; sie ist auch meist neu. Ein weiterer Punkt ist die musikalische Herausforderung für die Musikerinnen und Musiker; die ist eine ganz andere. «Der Film steht im Zentrum und gibt das Tempo vor. Der Dirigent muss es schaffen, auf die Millisekunde genau zu den Bildern zu dirigieren», erklärt Becker.

Sie als Konzertmeisterin muss diese Genauigkeit übernehmen und an die Musikerinnen und Musiker weitergeben. «Filmmusik bietet kaum Spielraum für persönliche Interpretation, das gilt für den Dirigenten ebenso wir für das Orchester.»

Deshalb sei dieses Genre nicht bei allen Orchestermitgliedern gleich beliebt. Bei einem Sinfoniekonzert sei das Ensemble die Nummer eins auf der Bühne, bei Filmmusik nicht. «Hier muss man sich in den Dienst der Sache stellen, genauso wie bei der Oper, wo das Orchester im Graben sitzt.» Becker kann und mag beides: Als Konzertmeisterin zu glänzen und sich zurückzunehmen, um den Film wirken zu lassen.

Wie sonst auch bei zeitgenössischer Musik, werden für Filmmusik hin und wieder ungewöhnliche Spielweisen verlangt, zum Beispiel, wenn Geräusche vertont werden. «Manchmal müssen wir auf die Violine klopfen oder mit dem Bogen auf den Notenständer trommeln. Aber manchmal ist die Spielweise auch sehr traditionell, da gibt es enorme Unterschiede.»

Die Violinistinnen und Violinisten hätten bei Filmmusik oft einen sehr reizvollen Part, besonders sie als Konzertmeisterin, sagt Julia Becker. «Die meisten Filmmusikkomponisten versorgen uns mit schönen Violinsoli.» Das könne zwar zur grossen Herausforderung werden, aber «meistens sind sie nicht wahnsinnig schwer zu spielen. Und es handelt sich um sehr schöne, schwelgerische Melodien, die man so richtig auskosten kann.»

Vier Proben, eine Generalprobe

Die Noten der drei Finalistenwerke bekommt Becker jeweils etwa drei Wochen vor dem Konzert - als Erste im Orchester, da sie für die Violinstimmen noch die Bogenstriche einzeichnen muss. Vor dem ersten Durchspielen sieht sich das Orchester gemeinsam mit dem Dirigenten Frank Strobel den Film an, noch ohne Musik.

Dann werden die Noten eingeübt. Vier Proben und eine Generalprobe stehen an, bevor es ernst gilt und jeder Ton sitzen muss. «Frank Strobel dirigiert seit vielen Jahren Filmmusik und weiss ganz genau, wie er ein Orchester führen muss, damit das Timing stimmt. Das hilft dem Orchester sehr.»

Obwohl Julia Becker schon einige Mal bei den Filmmusikwettbewerben gespielt hat, ist sie doch immer wieder erstaunt, wie sehr die Musik einen Film beeinflusst. «Derselbe Film kommt mit drei verschiedenen Musiken völlig unterschiedlich rüber. Musik beeinflusst die Grundstimmung eines Films und kann Gefühle, die von den Bildern ausgehen, enorm verstärken. Das ist jedes Mal wieder unglaublich faszinierend.»*

*Dieser Text von Maria Künzli, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

www.filmmusikwettbewerb.ch

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