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Im Misox breitet sich der Götterbaum ungebremst aus

Die Biodiversität in Graubünden leidet seit Jahren unter invasiven Neophyten. Im Misox nimmt eine Pflanze Überhand, die nicht so heilig ist, wie es ihr Name vorgibt: der Götterbaum.

21.11.23 - 11:00 Uhr
Klima & Natur

Neophyten sind in Graubünden fast schon alte Bekannte. Es handelt sich um Pflanzen, die absichtlich oder irrtümlich aus dem Ausland in die Schweiz eingeführt oder eben eingeschleppt wurden. Viele von ihnen sind nicht grundsätzlich schädlich, gewisse verdrängen jedoch die einheimischen Flora und gefährden somit die Biodiversität. Diese Pflanzenarten werden invasive Neophyten genannt. Der aus China eingeschleppte Götterbaum zählt zu dieser Kategorie und richtet vor allem im Bündner Südtal Misox grosse Schäden an.

Gefährdetes Südtal

Im Misox fühlt sich der Götterbaum wohl. Dies hat laut Marco Vanoni, Bereichsleiter Schutzwald und Waldökologie beim Bündner Amt für Wald und Naturgefahren, klimatische Gründe. «Im Misox herrschen höhere Temperaturen und es gibt weniger kalte Winter. Götterbäume können einfacher überleben und sich besser fortpflanzen», hält Vanoni gegenüber Radio Südostschweiz fest. Im oberen Teil des Misox konnte man den Götterbaum bekämpfen. Im unteren Talbereich sei das mittlerweile fast nicht mehr möglich. Der Neophyt verbreitet sich dort weiterhin in rasantem Tempo. Dies hat mehrere Gründe.

Schnell, rücksichtslos und aggressiv

Der Götterbaum ist ein Geschwindigkeitskönig, sogar der Name ist auf sein Wachstum von bis zu vier Metern pro Jahr zurückzuführen. «Die Pflanze wächst pro Jahr schneller als einheimische Pflanzen. Mit der Samenverbreitung durch Wind ist sie rasch an neuen Orten», so Vanoni. Ebenfalls entwickelt der Götterbaum die sogenannte Wurzelbrut: Die Baumart kann sich über meterlange, unterirdische Wurzeln weiterverbreiten und neue Stämme bilden. Durch das schnelle Wachstum bildet der Götterbaum innert kürzester Zeit ein dichtes Kronendach. Andere Pflanzen am Boden erhalten dadurch wenig Sonnenlicht und kaum eine Chance, weiterzuwachsen. Die einheimische Natur werde regelrecht verschluckt, zu diesem Schluss kam der Forstingenieur beim Bündner Amt für Wald und Naturgefahren, Luca Plozza, in einem Bericht von Pro Natura Graubünden.

«Fressfeinde hat der Götterbaum nicht», erklärt Vanoni vom Amt für Wald und Naturgefahren. Hirsche, Rehe und Gämsen würden die Pflanze wegen deren Bitterstoffen ignorieren. Das trage zur unkontrollierten und ungestörten Verbreitung bei. Insekten hätten den Götterbaum bisher nicht befallen. Das ökologische Gleichgewicht fehle, so Vanoni.

Als Gefahr nennt Vanoni die zunehmend gefährdete Schutzfunktion des Waldes. Sobald es Wälder mit nur wenigen oder sogar nur einer Baumart gebe, würden sie anfällig. Bei Stürmen oder Schneefall hielten die Wälder nicht stand. Sie würden auch rascher von Schädlingen befallen und schützten schlechter vor Naturgefahren wie beispielsweise Steinschlägen. «Dieses Risiko ist viel höher als bei einem diversen Wald mit ungefähr zehn Baumarten», so Vanoni.

Mühsame Bekämpfung der ungebetenen Pflanzen

Gemäss Vanoni ist es durchaus möglich, dass sich einheimische Tiere anpassen und den Götterbaum fressen oder schädigen und somit einen Gegenpart zum Neophyten bilden. «Auf so etwas dürfen wir aber nicht hoffen und warten», warnt Marco Vanoni. Da chemische Mittel zur Bekämpfung von invasiven Neophyten wie dem Götterbaum in der Schweiz verboten sind, müssen die Pflanzen von den Verantwortlichen mühsam von Hand bekämpft werden. Das heisst: zurückstutzen, fällen und ausgraben.

Die allgemeine Bilanz zu Neophyten zeigt, dass sich in den letzten Jahren immer mehr invasive Pflanzen ausgebreitet haben. Laut Vanoni verhält sich ungefähr jede achte Neophytenart invasiv und verdrängt also einheimische Pflanzen. Und was wird ausser der Bekämpfung der Neophyten unternommen? «Ein wichtiger Punkt ist die Sensibilisierung der Menschen. Der Götterbaum ist nicht die beste Wahl für den privaten Garten.» Auf öffentlichem Grund werden Neophyten grossflächig bekämpft. So hat etwa die Stadt Chur zwischen den Jahren 2014 und 2016 sämtliche Götterbäume gefällt.

Anna Nüesch ist freie Mitarbeiterin und arbeitet neben ihrem Multimedia-Production-Studium bei der Südostschweiz in den Redaktionen von Online/Zeitung und TV. Zuvor hatte sie ein Praktikum bei diesen Kanälen absolviert.

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