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Der Solarboom hält an – doch reicht er auch aus?

Derzeit installieren hiesige Solarbauer so viele Fotovoltaikanlagen wie noch nie. Das ist nötig, wie eine Studie zeigt. Der rasche Zubau mit Sonnenstromhat aber auch seine Schattenseiten.

Fabio
Wyss
08.05.23 - 23:11 Uhr
Klima & Natur
Alle Hände voll zu tun: Das ist nur eine von knapp 90 Solaranlagen, welche die Energieversorung Schänis heuer baut.
Alle Hände voll zu tun: Das ist nur eine von knapp 90 Solaranlagen, welche die Energieversorung Schänis heuer baut.
Bild Markus Timo Rüegg

Das Wachstum ist enorm. Insgesamt 409 Fotovoltaikanlagen produzieren in Rapperswil‑Jona Strom. Knapp 100, also rund ein Viertel, dieser Anlagen gingen alleine im letzten Jahr ans Netz. In anderen Gemeinden der Region sind die prozentualen Zunahmen im letzten Jahr teils noch grösser. Das belegt, was derzeit in aller Munde ist: Es herrscht Solarboom.

Dieser ist auch nötig. Künftig muss Sonnenenergie unter anderem die Kernkraft ersetzen. Oder Strom für Autos liefern, die heute noch mit Benzin fahren. Die grosse Frage steht im Raum: Reicht der aktuelle Solarzubau dazu aus? Eine Antwort darauf liefert eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Einer der Autoren ist Jürg Rohrer, in der Region bekannt als Präsident der Energieallianz Linth. Und so viel vorneweg: Das Potenzial von Fotovoltaik ist gemäss Studie riesig. Das Ganze hat jedoch ein Aber.

Selbst Benken liegt hinter Ziel

Dafür muss etwas ausgeholt werden. Für die Studie relevant ist die verfügbare Dachfläche in der Schweiz. Und wie viel davon mit Solarpanels bestückt ist. So kommt man zu einem Prozentwert. In Benken zum Beispiel produzieren Fotovoltaikanlagen auf 11,4 Prozent der möglichen Dächer Strom, 0,4 Prozent davon sind im letzten Jahr dazugekommen (siehe Grafik). Die Daten veröffentlichte Ende 2022 der Verband der unabhängigen Energieerzeuger (Vese).

Noch Potenzial: Die blaue Zahl zeigt die Anzahl Solarpanels gemessen an der totalen Dachfläche, die Zahl in Klammer ist die Veränderung gegenüber dem Vorjahr. Quelle Vese, Grafik «Linth-Zeitung»
Noch Potenzial: Die blaue Zahl zeigt die Anzahl Solarpanels gemessen an der totalen Dachfläche, die Zahl in Klammer ist die Veränderung gegenüber dem Vorjahr. Quelle Vese, Grafik «Linth-Zeitung»

Die Gastergemeinde liegt gemäss der Vese-Auswertung in der Region unangefochten an der Spitze – und das seit Jahren. Dafür verantwortlich sind in erster Linie grosse Industriedächer, die mit Grossanlagen bestückt sind. Doch jetzt folgt das Aber: Selbst Benken liegt weit davon entfernt, was künftig punkto Solarstrom nötig ist.

Gemäss ZHAW-Studie müssten 2050 rund 26 Prozent aller Schweizer Dächer mit Solarpanels überzogen sein. Gleichzeitig stagniert in einigen Gemeinden der Region der Solarzubau. Laut Vese-Zahlen ist das neben Weesen und Amden in Schmerikon der Fall. Andreas Schmucki, Geschäftsführer Elektrizitätswerk Schmerikon (EWS), zeigt sich irritiert, als ihn die «Linth-Zeitung» damit konfrontiert: «Die Solarmonteure kommen der riesigen Nachfrage in Schmerikon kaum nach.»

Viel Kleinvieh – wenig Mist

Dass dies nicht bloss Schmuckis persönlicher Eindruck ist, kann er belegen. 2021 gab es noch 50 installierte Fotovoltaikanlagen im Seedorf, letztes Jahr bereits 73. Möglich ist laut Schmucki aber, dass in Schmerikon verhältnismässig wenige Grossanlagen in Betrieb sind. «Anlagen auf grösseren Dächern sind geplant, aber erst wenige ausgeführt. Vorwiegend werden viele kleinere Fotovoltaikanlagen auf Einfamilienhäusern installiert», erklärt der EWS-Geschäftsführer.

Das könnte ein Grund für den geringen Effekt in der Statistik sein. Gemäss ZHAW-Studienautor Rohrer ist die Grösse der Anlagen der entscheidende Faktor, um das Ausbauziel von 26 Prozent zu erreichen. Momentan belegten Hausbesitzer im Schnitt nur etwa die Hälfte der geeigneten Dachfläche mit Solarzellen, sagt Rohrer gegenüber der NZZ. «Das dürfte damit zusammenhängen, dass heute vor allem der Eigenverbrauch gefördert wird.»

Das ist insofern problematisch, als dass sich nur 40 Prozent aller Dächer in der Schweiz für Solarstrom eignen. Andere verfügen etwa über zu wenig Sonneneinstrahlung oder stehen unter Denkmalschutz. «Würden wir weitermachen wie jetzt, hätten letztlich 95 Prozent der Gebäude eine Solaranlage – und es könnten trotzdem nur 27 Terawattstunden Solarstrom produziert werden.» Zu wenig für das Ziel von 34 Terawattstunden pro Jahr, wie Energieexperte Rohrer erklärt.

Immerhin: Der Bund hat diesbezüglich nachgebessert. Per April des nächsten Jahres sollen grössere Anlagen besser vergütet werden. Das macht es beispielsweise attraktiver, eine Lagerhalle mit Solarpanels zu überziehen. Der eigene Strombedarf ist bei einer solchen gering. So bekommt der Inhaber aber mehr Geld für die von ihm ins Stromnetz eingespeiste Sonnenenergie.

Uzner Erfolgsgeschichte

Dass solche Förderprogramme durchaus Wirkung erzielen, zeigt sich in Uznach. Seit dem letzten Jahr ist dort ein neues Energiereglement in Kraft. «Das Reglement besagt, dass Fördermittel in der Höhe von einem Steuerprozent budgetiert werden müssen. Bereits im ersten Jahr hat das fast nicht gereicht, um alle Gesuche zu decken», sagt Gemeindepräsident Diego Forrer.

Er spricht von einer Erfolgsgeschichte. Dies zeigt sich auch bei den Zahlen von Vese. Gegenüber dem letzten Jahr konnte der Zubau mit Fotovoltaikanlagen in Uznach so deutlich gesteigert werden wie sonst nur in Schänis. Dort ist der Trend zu grösseren Anlagen bereits wahrnehmbar, sagt Franco Stocco von der Schänner Energieversorgung (EVS).

Stocco macht sich zurzeit Sorgen, wie sich der Ausbau der Sonnenenergie auf die Stromnetze auswirkt. Denn dieses komme jetzt schon an Belastungsgrenzen, wie er erklärt (siehe Interview unten). Künftig muss dieses noch viel leistungsfähiger werden, um die Ausbauziele bis 2050 zu erreichen. Zum Vergleich: Die 2022 in der Schweiz installierte Leistung der Fotovoltaikanlagen ist viermal grösser als noch vor fünf Jahren. Laut dem Branchenverband Swisssolar soll sich diese Zubaurate aber mittelfristig nochmals verdoppeln.

Fertige Anlagen nicht am Netz

Das bedeutet eine grosse Herausforderung für eine Branche, die jetzt schon händeringend nach Personal sucht. Ein anderes Problem ortet in Schmerikon EWS-Geschäftsführer Schmucki. Lokale Solarbauer beklagen sich über die Verfügbarkeit von Material. «Gut zehn Anlagen im Dorf wären betriebsbereit, aber es fehlt noch ein Wechselrichter.» Dieses kleine Modul ist zurzeit Mangelware – und essenziell für die Nutzung von Sonnenenergie.

In Schänis hat die EVS deshalb 1,3 Millionen Franken in ein Lager investiert – eine finanzielle Hauruck-übung für ein kleines Elektrizitätswerk. «Dadurch haben wir aber Material für das ganze Jahr im Haus», sagt Stocco. Das sei auch nötig: «Unsere Solarinstallateure sind für das ganze Jahr ausgebucht.»

Bei den Solarbaufirmen in Schmerikon sehe das genauso aus, sagt Schmucki. «Ich habe darum keine Angst, dass die Anzahl Anlagen in Schmerikon nicht weiter wächst.» Schon 22 Anlagen seien heuer in Schmerikon bewilligt worden. Der Solarboom gehe unbeirrt weiter – trotz des einen oder anderen Stolpersteins.

Solarstrom: KMU- und Bauernbetriebe geraten in den Fokus
Die Energieagentur St. Gallen und die Region Zürichsee-Linth haben von Herbst bis Frühling eine Kampagne für Fotovoltaikanlagen auf Industrie- und Gewerbeliegenschaften durchgeführt. «Mit der Kampagne können wir für sieben grosse Anlagen in Zusammenarbeit mit Partnerunternehmen Lösungsvorschläge bieten», sagt Philipp Egger von der Energieagentur. Anhand dieser Objekte zeigen sich aktuelle Chancen und Stolpersteine. Häufig seien komplexe Eigentumsverhältnisse und Entscheidungswege, hohe Kosten aufgrund des geforderten Netzausbaus oder fehlende finanzielle Mittel die grössten Hürden. «Dies betrifft insbesondere KMU- und Landwirtschaftsbetriebe, weshalb für diese Zielgruppe eine weitere Kampagne lanciert wird.» Zur aktuellen Kampagne findet am Donnerstag, 11. Mai, um 18 Uhr, an der OST in Rapperswil eine Informationsveran‑staltung statt. (wyf)

Interview mit Franco Stocco, Energieversorgung Schänis. PRESSEBILD
Interview mit Franco Stocco, Energieversorgung Schänis. PRESSEBILD

Schänis hatte vor zwei Jahren neben Amden im Verhältnis zur gesamten Dachfläche am wenigsten Fotovoltaikanlagen in der Region. Nun hat man enorm aufgeholt. Wie das? Der aktuelle Zubau ist dem Strommangel und den dadurch steigenden Strompreisen geschuldet. Das ist der Hauptgrund. Der zweite Grund ist, dass wir in Schänis schon länger die höchsten Rückvergütungen in der Region anbieten. Den Strom, den wir von Besitzern von Fotovoltaik­anlagen beziehen, vergüten wir ihnen 1:1 zurück – zusätzlich zum Herkunftsnachweis. So amortisieren sie die Anlage schneller. Ein Elektrizitätswerk trägt viel zum Solarboom bei – indem die Kundschaft für Erneuerbare und Energieeffizienz sensibilisiert wird.

Von den 131 Solaranlagen Ende 2022 auf Schänner Dächern wurde ein gutes Drittel alleine im letzten Jahr zugebaut. Geht das Wachstum in der Tendenz so weiter? Ja, ich vermute schon. Was neu dazukommt, ist die Grösse der Anlagen. Der Bund fördert Grossanlagen, und auch die Gemeinden sind aufgefordert, ihre grossen Dächer zu prüfen. Die installierten Leistungen werden so schneller und stärker wachsen. Dieses Jahr planen wir für das Dach der Mehrzweckanlage in Schänis ein Konzept für eine Solargemeinschaft. Kunden können sich direkt beteiligen.

Eine Studie zeigt auf, dass etwa 26 Prozent der Dachflächen mit Solaranlagen bestückt werden müssen, um die Ziele der Energiestrategie zu erreichen. Das wäre fünfmal mehr als aktuell in Schänis. Halten Sie das für realisierbar? Grundsätzlich ja. Aber für das Stromnetz bedeutet es eine riesige Herausforderung.

Wieso? Wir haben in Schänis beispielsweise aktuell ein Quartier mit vielen Solaranlagen. Diese produzieren tagsüber bei schönem Wetter sehr viel Strom, aber kaum jemand ist zu Hause und verbraucht diesen Strom. Diese Energie sorgt für eine Spannungserhöhung im Netz.

Was passiert dadurch? Ist die Energie zu gross, schaltet der Wechselrichter der Solaranlage automatisch aus. Ansonsten würden angeschlossene elektronische Geräte kaputtgehen. Dadurch verpufft aber Sonnenenergie, was für den Produzenten nicht optimal ist. Wir ergreifen nun Sofortmassnahmen, um diese Netzschwankung aufzufangen. Für die nahe Zukunft müssen wir aber die Netze verstärken. Oder wir bauen in den Quartieren Energiespeicher. Das ist zwar Zukunftsmusik, aber wir müssen bereits jetzt Lösungen suchen und handeln.

Also müssen in der ganzen Schweiz die Netze ausgebaut werden.  Welche Folgen hat das? Dadurch steigen für die Kunden die Netzkosten. Allerdings beteiligt sich dabei auch der Bund: Wenn wir als Elektrizitätswerk belegen können, dass der Netzausbau wegen Solaranlagen nötig wird, können wir Unterstützungsgelder beantragen. (wyf)

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