×

Das Bauchgefühl als oberstes Gebot beim Gleitschirmfliegen

Ein Gleitschirmfluglehrer erklärt, worauf es beim Fliegen ankommt. Und wie sich Unfälle vermeiden lassen.

15.04.23 - 16:00 Uhr
Ereignisse
Erhabene Erscheinung: Gleitschirmpilotinnen und -piloten zieren das Bündner Alpenpanorama, hier bei den Schweizer Meisterschaften 2022 in Scuol.
Erhabene Erscheinung: Gleitschirmpilotinnen und -piloten zieren das Bündner Alpenpanorama, hier bei den Schweizer Meisterschaften 2022 in Scuol.
Bild Martin Scheel / Bild Martin Scheel

Das Wetter mag noch etwas unbeständig sein, doch langsam, aber sicher hat der Frühling Einzug gehalten. Die steigenden Temperaturen ermöglichen den Gleitschirmfliegerinnen und -fliegern den Start in die Frühlingssaison. So erhaben ihre Erscheinung in den Bündner Tälern auch daherkommen mag: Eine solch risikobehaftete Aktivität kommt nicht immer ohne Unfälle aus. So geschehen am Ostersonntag, als sich ein 29-jähriger Gleitschirmpilot in Parsonz beim missglückten Landeanflug mittelschwere Verletzungen zuzog.

Dass sich unschöne Zwischenfälle nicht gänzlich verhindern lassen, weiss auch Daniel Flohr. Doch als Inhaber der Gleitschirmflugschule Air-active in Sagogn kennt er sich bestens mit den Mitteln aus, die Zahl und Schwere der Unfälle möglichst zu verringern. In seiner Ausbildung zum Gleitschirmpiloten erhalten Teilnehmerinnen und Teilnehmer das nötige theoretische und praktische Rüstzeug, um sich weitgehend sicher durch die Lüfte zu bewegen.

Tagesform berücksichtigen

Sein oberstes Gebot hat indes nichts mit den technischen Fertigkeiten zu tun, wie er im Interview mit Radio Südostschweiz verrät. «Das Bauchgefühl sollte man nicht übergehen», mahnt Flohr, das sei «ziemlich entscheidend in unserem Bereich». Wie geschmeidig ein Gleitschirmpilot in Richtung Tal segelt, hängt nämlich von der Tagesform ab. «An einem Tag kann man sehr gut fliegen und hat kein Problem mit turbulenter Luftmasse, an einem anderen Tag fühlt man sich unwohl.» In letzterem Fall solle man unbedingt landen gehen – oder gar nicht erst fliegen.

Was die Zahl der Zwischenfälle betrifft, lässt sich eine Analogie zum allgemeinen Flugverkehr konstatieren: Start und Landung sind am gefährlichsten. «Grundlegend passieren in der Luft relativ wenige Unfälle.» Wenn es doch zu einem Unfall während der Zeit in der Luft kommt, so geschieht dieser zumeist aus zwei Gründen: «Die eine Situation ergibt sich, wenn man den Schirm seitlich einklappt, er dadurch hängen bleibt und in einen sogenannten Spiralsturz übergeht.» Der zweite Fall betrifft die Phase vor dem Landeanflug. «Wer einseitig zu stark bremst, riskiert einen Strömungsabriss», erläutert der Fachmann.

Dass sich heikle Vorkommnisse vor allem durch ein gesondertes Training vermeiden lassen, erwähnt Flohr nicht ohne Stolz. Denn das Sicherheitstraining stellt in seiner Schule einen festen Bestandteil der Ausbildung zur Gleitschirmpilotin dar. Dabei werden Extremsituationen «in einem gesicherten Rahmen», etwa mit einem Notschirm, geprobt, um in einer realen Ausnahmelage rasch und adäquat reagieren zu können. «Jemand, der das noch nicht erlebt oder solche Sachen nicht trainiert oder durchgespielt hat, ist vielleicht sehr lange geschockt und unfähig zu reagieren», erklärt Flohr. Er bedauert, dass ein solcher Sicherheitskurs für angehende Gleitschirmflieger – etwa im Gegensatz zu Tandempilotinnen – nicht obligatorisch ist. 

Start an einem Übungshang

Um zu erklären, wie eine Ausbildung zum Gleitschirmpiloten üblicherweise abläuft, bedient sich Flohr eines Vergleichs: «Wir fangen mit einem Übungshang an – wie beim Skifahren auch.» Am ersten Tag verlasse man den Boden kaum. Ohnehin könne man am Boden alle Basics trainieren: «Wer den Schirm am Boden sehr gut beherrscht, kann das Fliegen nachher sehr gut umsetzen und hat ein sehr gutes Gefühl.» Nach einem Schnuppertag verbringen die Lernenden drei bis vier weitere Tage am Übungshang, darauffolgende drei bis fünf Höhenflüge schliessen den Grundkurs ab. 

Danach hat die Kursteilnehmerin zu entscheiden, ob sie die Ausbildung weiterverfolgt. «In der Regel sehe ich gleich am Gesicht des Schülers, ob er weitermacht oder nicht», verrät Flohr. Falls ja, stehen dem Auszubildenden unter Anleitung einer Fluglehrperson 50 weitere Flüge in mindestens fünf verschiedenen Fluggebieten bevor – und das Sicherheitstraining.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Ereignisse MEHR