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«Wir müssen von diesem Allmachtsgedanken wegkommen»

Wir tun uns schwer damit, nicht mehr gegen das Virus tun zu können. «Wir müssen lernen zu akzeptieren, wie es ist», sagt die Bündner Kantonsärztin Marina Jamnicki im Interview.

Südostschweiz
28.10.20 - 04:30 Uhr
Ereignisse
« Es braucht uns jetzt alle, niemand kann das Virus einfach wegzaubern» - Marina Jamnicki, Bündner Kantonsärztin.
« Es braucht uns jetzt alle, niemand kann das Virus einfach wegzaubern» - Marina Jamnicki, Bündner Kantonsärztin.
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Hören statt lesen? Hier die Antworten von Kantonsärztin Marina Jamnicki im Audio:

«Wir müssen vom Allmachtsgedanken wegkommen, dass der Bundesrat oder die Kantonsregierung es richten können» - Marina Jamnicki.

Die zweite Welle ist da und wir müssen davon ausgehen, dass diese noch mindestens bis im Frühling dauert. Wie optimistisch sind Sie?

Marina Jamnicki: Ja, wir müssen uns in der Tat darauf einstellen, dass es bis im Frühling dauert. Im Kanton Graubünden sind wir gut aufgestellt. Wir haben genügend Kapazitäten für die Spitalpflege, die Diagnostik und auch die Antigen-Schnelltests werden bald bereit sein. Nichtsdestotrotz werden wir alle viel Geduld aufbringen müssen. Ich sage es offen: Wir müssen lernen zu akzeptieren, dass Menschen erkranken, ins Spital eingeliefert werden müssen und dass Menschen sterben werden. Diesen Punkt haben wir bis jetzt noch viel zu selten erwähnt. Es herrscht in der Bevölkerung nach wie vor die Meinung, die Pandemie könne von irgendjemandem ohne Weiteres eingedämmt werden. So einfach geht das nicht. Die Menschheit hat in der Vergangenheit schon viele Pandemien durchgemacht und wir haben weltweit heute zwar den besseren Überblick und sind koordinierter als vor 100 Jahren, aber schlussendlich ist das Virus eine Tatsache und die Möglichkeiten dagegen vorzugehen sind mehr oder weniger die gleichen wie damals: Abstandhalten und Maske tragen.

Das klingt nicht sonderlich optimistisch.

Ich würde eher sagen realistisch, statt «nicht optimistisch». Wir müssen vom Allmachtsgedanken wegkommen, dass der Bundesrat oder die Kantonsregierungen es richten können. Niemand kann das Virus wegzaubern, sondern es sind nun alle gefragt. Mit den aktuell geltenden Schutzmassnahmen, Abstand und Hygiene, geht es darum, die zweite Welle etwas in die Länge zu ziehen, damit nicht alle gleichzeitig ins Spital müssen und unsere Spitäler nicht überlasten. Wir können die negativen Folgen des Virus vermindern, aber nicht verhindern.

Mit Marina Jamnicki hat RSO-Reporter Simon Lechmann gesprochen.

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Jetzt werden erst mal die Bündner Bergbahnen und Wintersportgebiete ihren Rubel einfahren wollen und dann kann man im Frühling die Scherben wieder zusammenwischen!
In frühreren Zeiten bei Pandemien waren nicht geldgierige Tourismus Branchen überall zugegen, die der EIndämmung der Fallzahlen diametral entgegen agierten!
Ergo heute: Pandemie und Geld geht vor Leben, Geld geht vor Gesundheit, Geld ist das wichtigste Gut in der Schweiz!

Das Schweizer Volk hat noch nicht einmal angefangen, den Ernst der Lage in seinem Land zu begreifen. Den meisten von ihnen ist es egal, und wenn sie es schliesslich doch tun, wird es zu spät sein.

Sehr guter Artikel, es wird Zeit dass alle wieder etwas realistischer denken und handeln. Viren, Bakterien und auch der Tod sind Teil von unserem Leben. Es kann nicht sein, dass wegen der Letalität von 0.15-0.24% eine ganze Bevölkerung 99.8% komplett abgeriegelt wird. Hygiene und Distanz sind wichtig, aber Social-Distancing bringt massive Kollateralschaden (Suizid, Einsamkeit, Leid, Gewalt) mit sich was eine viel grössere Gefahr als das Virus ist.

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