×

Vier Jahrzehnte digitales Fussballspielen

Unser Autor schwelgt in Computerspiel-Erinnerungen.

15.03.23 - 16:30 Uhr
Bild Freepik

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Nach 30 Jahren hat sich vor einigen Monaten das Ende einer Videospielära angekündigt. Seit 1993 arbeitete EA Sports beim Entwickeln von Fussballspielen auf PC und Konsole eng mit der Fifa zusammen. Das ist nun vorbei. Die beiden Organisationen konnten sich nicht über die finanziellen Rahmenbedingungen einigen. In Zukunft werden Fussballsimulationen von EA Sports den findigen Namen «EA Sports FC» tragen.

Natürlich will sich die Fifa die Kohle unzähliger fussballaffiner Zocker nicht entgehen lassen und hat angekündigt, ein eigenes Spiel mit einem anderen Entwickler zu lancieren. Giovanni Infantino riecht Geld. Giovanni Infantino will es haben. Es wäre vermessen von mir zu behaupten, dass ich mir weder das eine noch das andere Spiel je kaufen werde. Ich habe eine fast 40-jährige Vorgeschichte mit Fussballsimulationen.

In den 80ern habe ich zum ersten Mal auf einem Computer ein Fussballspiel gespielt. Mein Vater hatte damals den ersten Computer in unseren Haushalt geschafft – einen Commodore 64 (kurz C64). Mit dabei das Spiel «International Soccer». Der C64 brauchte eine Ewigkeit, bis er das Spiel endlich geladen hatte. Ich war Kind, ich hatte Zeit. Stundenlang sass ich da aber noch nicht am Computer, um Fussball zu spielen. Irgendwie war das reale Fussballern mit Freunden auf dem roten Platz vor dem Schulhaus noch spannender. Die verpixelten Bilder des Spiels wecken aber durchaus Erinnerungen in mir.

Einige Jahre später hatte der C64 für mich an Reiz verloren. Ich verbrachte vielmehr ganze Nachmittage bei einem guten Freund daheim und spielte mit ihm auf seiner Konsole. Natürlich nicht, ohne meinen Eltern immer wieder wortreich davon zu berichten. Irgendwann hatten sie meine Erzählungen wohl satt und ich bekam zu Weihnachten auch eine Spielkonsole. So weit so vermeintlich gut. Mein Freund nannte bald darauf das Nachfolgemodell sein Eigen und ich pilgerte wieder regelmässig zu ihm nach Hause. C64 und meine Konsole landeten aufgrund der Verfügbarkeit technologischer Weiterentwicklungen auf dem Abstellgleis.

Mein Freund und ich spielten viele verschiedene Titel. Am meisten aber sicherlich «International Superstar Soccer» und die Entwickler-Konami-braucht-noch-mehr-Geld-Version «International Superstar Soccer Deluxe», das 1995 auf den Markt kam. Aus Spielnachmittagen wurden Spielnächte. Stundenlang glotzten wir in den Röhrenfernseher und legten nur Pausen ein, um die Toilette aufzusuchen, etwas zu essen oder die Daumen mit Dehnübungen wieder spieletauglich zu machen. Eine Fifa-Lizenz hatte das Spiel nicht. Man konnte zudem nur Nationalmannschaften steuern. Die Schweizer Natispieler hatten Fantasienamen wie Hauser (der hatte lange Haare wie Alain Sutter), Meyer, Strolch oder Umbro (was ich heute sehr geil finde, weil es mich an den gleichnamigen, kultigen Sportausrüster erinnert). Der Stimmung taten die nicht ganz authentischen Namen aber keinen Abbruch. Ich höre heute noch das «GOAL, GOAL, GOOOOOOOOAAAAAL» der künstlichen Kommentatorenstimme. Es kam durchaus vor, dass wir beide uns nach einer durchzockten Nacht nur noch mit Zitaten aus dem Spiel verständigten. Sehr zur Irritation der Eltern meines Jugendfreunds.

Mein erster Titel mit echten Protagonisten war Fifa 99. In der Zwischenzeit hatte ich die Konsolen hinter mir gelassen und war zum Gamen auf den PC umgestiegen. Leider hatte EA Sports da weder die Lizenzen für die Schweizer Nationalmannschaft noch diejenige der damaligen Nationalliga A. Ich machte in langen Nachmittagen in mühsamer Handarbeit aus der dänischen Mannschaft die Schweizer Nati, indem ich jeden einzelnen Spieler umbenannte und seine Erscheinung anpasste. Zubi: gross und damals mit Glatze und Ziegenbart. Hakan Yakin: lange schwarze Haare und unrealistisch gute Freistossfähigkeiten. Türkyilmaz: dunkle Haare und Skills wie Ronaldo (der brasilianische). Damit aber nicht genug. Da es, wie erwähnt, die Schweizer Liga im Spiel auch nicht gab, erstellte ich nach der Nati auch noch die Schweizer Klubmannschaften (zumindest die der obersten Liga). Allen voran den FC Basel, für den mein Herz seit 1994 schlägt. Das hiess dann aber auch, dass ich die ehemaligen dänischen Spieler, die ich digital eingebürgert hatte, im gesamten Spiel suchen und zum neuerstellten FCB transferieren musste. Stundenlange Arbeit für ein aus meiner ganz eigenen und bescheidenen Sicht realistischeres Spielerlebnis.

Mit Fifa 99 hatte mich die böse Seite der Fussballmacht definitiv auf ihre Seite gezogen. Irgendwann hatte EA Sports auch die Schweizer Lizenzen und ich konnte mir fortan die mühseligen Anpassungen von Hand ersparen. Ich stieg wieder auf Konsole um, kaufte mir die jährlich neuerscheinenden Fifa-Titel und spielte etliche Saisons mit dem FCB oder dem FC Liverpool, meiner anderen grossen Fussballliebe. Ich gewann alle möglichen und unmöglichen Titel in der digitalen Fussballwelt. Standen im echten Leben grosse oder wichtige Begegnungen an, spielte ich sie digital vor und erklärte mich zu meinem eigenen Fussball-Orakel. Mal mit mehr, mal mit weniger Realitätsbezug, aber immer mit einem gewissen Eifer.

Vor drei Jahren habe ich damit aufgehört, jedes Jahr die neueste Version des Titels zu kaufen. Ich wollte nicht jedes Jahr rund 90 Franken ausgeben, um ein Spiel zu spielen, das sich im Gameplay nur unmerklich verändert hatte und dessen Updates meist nur aus den neuen Trikots und aktualisierten Mannschaftszusammenstellungen bestanden. Während des Lockdowns habe ich einige Samstagabende damit verbracht, mit Mannschaften aus unteren Ligen aufzusteigen und irgendwann die Champions League zu gewinnen. Das verlor aber irgendwann auch seinen Reiz.

Mein letztes digitales Fussballspiel auf der Konsole ist einige Wochen her. An Silvester habe ich kurz gegen einen Kumpel gespielt und sang- und klanglos verloren. Das hätte mich früher mehr geärgert. Ich bin heute nicht mehr mit der Leidenschaft und dem Eifer meines früheren Ichs dabei. Aber wer ist das schon nach knapp 40 Jahren im Business.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.