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Freunde fürs Leben

Die Stimmen dringen vom Balkon nebenan zu mir hinüber.

Südostschweiz
24.06.16 - 09:00 Uhr

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Die Stimmen dringen vom Balkon nebenan zu mir hinüber. Alle weiblich. Teenager, junge Frauen, keine Ahnung wie alt. Die drei Mädchen singen aus vollem Hals. Sie sind offensichtlich betrunken.

Ich bin ein akustischer Spanner, ein heimlicher Lauscher, ein anonymer Zuhörer, ein Hör-Voyeur. Unfreiwillig. Ich sitze nebenan auf meinem Hotelbalkon, Zimmer 250. Seitenwände trennen uns. Es gibt keinen Sichtkontakt.

Mir unbekannte Musik dringt durch die Lautsprecher vom Nachbarbalkon. Irgendwas Hochmodernes. Ich habe früher nie verstanden, dass meine Eltern die angesagtesten Songs und Bands nicht kannten. Weltfremd! Standen sie doch in grossen Buchstaben in jeder Bravo-Zeitschrift! Mittlerweile hat die Hitparade mich abgehängt. 

Sie sind einfach nur fröhlich die Mädchen. Im Chor singen sie den Refrain von  «Friendship never ends» von den Spice Girls, eines der wenigen Lieder, die ich kenne. «Uf d'Fründschaft trinkend mier». Sie kichern und liegen sich vermutlich in diesem Augenblick in den Armen.

Ich kann gar nicht anders, als mich zurück zu erinnern. Da gab es wirklich einmal diese Zeit, in der die Clique - die 'Buddys' - das Grösste war. Freunde für immer, Freunde fürs Leben. Ich beneide diese ausgelassen feiernden Balkonteenies nicht ganz selbstmitleidslos. Es scheint als hätten sie sich und diesen Moment nur für sich alleine.  

«Geile Arsch.»  «Zeig amol. Jo, geils Arsch mit Auge.» Lachanfall, alle wild durcheinander. Sie scheinen sich Fotos weiterzureichen. Eine gackert plötzlich die Melodie von Mozarts «Königin der Nacht» in den Abendhimmel. Eine lallt. Ich höre das Klicken der Feuerzünder. Sie rauchen und trinken noch mehr. Sie machen alles, was die Moral verboten hat und fühlen sich gut dabei.

Trotz des unverschämt hohen Preises nehme ich einen Whiskey aus der Hotelbar. Ich trinke ihn in einem Zug aus. Es folgt ein Zweiter, ein Dritter. Ich feiere heimlich mit.

Sturzbetrunken hoch oben beim Kieswerk, nahe dem Wald. Mein erster Absturz. Meine zwei besten Freunde und ich. Wir lagen in der Wiese und schauten hoch zu den Sternen. Ich habe gekotzt. Seither habe ich nie mehr Kräuterschnaps getrunken. Wir waren überglücklich, ich und meine Jungs.

Wieder ein Titel, den ich kenne. «You raise me up» von Westlife. Fürchterlich schwer zu singen. Viele hohe Töne. Die drei Mädchen scheitern kläglich. Es klingt schrecklich. Sie lachen über sich selbst, grölen und quieken. Zeit die nächtliche Abhöraktion abzubrechen.                                                       

Ich liege im Hotelbett. Hab vorsichtshalber ein Aspirin genommen. Wann hat sich meine Clique eigentlich aufgelöst und warum? Ach ja, die meisten haben jetzt Kinder. Ich decke mich zu und danke gedanklich den drei Mädchen, dass sie mich mitfeiern liessen. Ich schlafe ein, während sie ausgelassen weiterlärmen.

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