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Das Land der Gegensätze

Ist Amerika so, wie wir es in Filmen, Serien und in den Medien vermittelt bekommen? Unsere Autorin begibt sich auf Spurensuche.

29.11.23 - 16:30 Uhr
«Concrete jungle where dreams are made of»: Wie Alicia Keys im Duett mit Jay-Z singt, ist New York die Stadt aller Träume und Möglichkeiten.
«Concrete jungle where dreams are made of»: Wie Alicia Keys im Duett mit Jay-Z singt, ist New York die Stadt aller Träume und Möglichkeiten.
Bild Anna Nüesch

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

«Grey’s Anatomy», «Friends», «Brooklyn Nine-Nine», «Selling Sunset» und «Modern Family». Was diese Serien gemeinsam haben? Sie alle spielen in amerikanischen Städten, die ich in den vergangenen Wochen bereisen durfte. Da ich es mir nicht wirklich anmasse, diesen Artikel über Beobachtungen zur amerikanischen Politik oder Wirtschaft zu schreiben, widme ich mich den Eindrücken, die mir Serien wie «Grey’s Anatomy», «Friends» und Co. vermittelt haben.

Viele meiner Generation, mich miteinbezogen, sind mit amerikanischen Filmen und Serien von beispielsweise Disney oder Warner Brothers aufgewachsen. Meine Neugier war also umso grösser, zu erfahren, ob sich Amerika auch nur annähernd so anfühlt, wie ich es mir aus Serien und Filmen vorstellte. Ist Amerika wirklich das Land der kuriosen Träume, unendlichen Fast-Food-Möglichkeiten und der riesigen Autobahnen? Zugegeben, ich war dem Land gegenüber etwas voreingenommen. Nicht in einer negativen Weise, ich hatte aber bei einigen Punkten das Gefühl, das Land ein wenig zu kennen. Tatsächlich sollten sich einige meiner Vorurteile während der Reise bestätigen. 

Tacos, Highways und Extreme

Kulinarische Höhenflüge habe ich aufgrund verschiedener Erzählungen nicht erwartet. Ich habe mir Mühe gegeben, die amerikanische Küche nicht auf Fast Food zu reduzieren. Trotzdem: Burger, Pommes und literweise Softgetränke waren mit Abstand am einfachsten aufzufinden. An jeder Ecke gab es mindestens drei Fast-Food-Ketten zur Auswahl, die meiner Urteilsfähigkeit nach genau die gleichen Kombinationen an Fleisch, Beilagen und übersüssten Getränken verkauften. Es ist mir aber gelungen, lokal hergestellte Spezialitäten und frische Produkte zu finden. Gerade in den grösseren Städten gibt es unzählige Markthallen mit diversen internationalen Gerichten. Ein internationaler Mix trifft auf die amerikanische Küche ziemlich gut zu. Mehr als einmal hörte ich die Aussage «Du willst in Amerika gut essen? Dann musst du unbedingt mexikanische Gerichte probieren!». Gesagt, getan. Ich wurde nicht enttäuscht.

Gehen wir zu einem Aspekt, dem ich zuerst keine Zeilen widmen wollte. Im Nachhinein finde ich es aber interessant, wie sehr mich das Thema zum Nachdenken gebracht hat. Ich weiss, hier in der Schweiz sind wir verwöhnt, was öffentliche Verkehrsmittel angeht. Kleinste Bergdörfer in abgelegenen Tälern sind mit dem gelben Postauto zu erreichen. Geprägt vom Schweizer Standard war ich etwas naiv und deshalb überrascht, wie selbstverständlich das Autofahren in den Vereinigten Staaten ist. In ländlichen Gebieten sind öffentliche Verkehrsmittel oft keine Option, da es keine Buslinien oder Züge gibt. Fernverkehrszüge sind für die meisten Reisenden keine Variante. Somit bleibt oftmals keine andere Möglichkeit als das eigene Auto. An sechsspurige Autobahnen konnte ich mich als Bündnerin bis zum Schluss nur schwer gewöhnen.

Ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten zu sein, war ebenfalls ein aussergewöhnliches Erlebnis. Obwohl man noch nicht allzu viel vom Wahlkampf mitbekommt, sind politische Auseinandersetzungen überall mitzuverfolgen, und aktuelle Geschehnisse sind oft Gesprächsthema. So kam es in den wenigen Wochen, in denen ich im Land war, zu einer historischen Abwahl im Repräsentantenhaus, Donald Trump musste vor dem New Yorker Gericht in seinem Betrugsprozess aussagen und es kam zu einer tragischen Schiesserei mit 18 Todesopfern. Diese drei Themen sollen symbolisch stehen für die unterschiedlichsten Auseinandersetzungen und Herausforderungen, die das Land aktuell beschäftigen. Nicht nur darüber zu lesen, sondern mit Amerikanerinnen und Amerikanern darüber zu sprechen, war äusserst spannend und bereichernd. Wie ich beobachtete, sprechen Amerikanerinnen und Amerikaner vorsichtig über politische Themen. Vielleicht deshalb, weil man unangenehmen Diskussionen aus dem Weg gehen will. 

Doch wie würde ich das Land ganzheitlich beschreiben? Geht das überhaupt? An jedem Ort habe ich Gegensätze gefunden: stundenlange Fahrten durch menschenleere Gegenden und dicht besiedelte Grossstädte mit 100-stöckigen Wolkenkratzern. Millionenteure Villen von internationalen Berühmtheiten im einen Quartier, lange Zeltstrassen und Obdachlosigkeit im anderen. Superreiche mit mehreren teuren Autos vor den Häusern, Armutsbetroffene ohne Krankenversicherung.

Menschenleer: Acht-Stunden-Fahrten durch Wüsten und karge Landschaften haben mich sehr beeindruckt.
Menschenleer: Acht-Stunden-Fahrten durch Wüsten und karge Landschaften haben mich sehr beeindruckt.
Bild Anna Nüesch
Dicht besiedelt: Während meiner Reise konnte ich unterschiedliche Seiten von Amerika kennenlernen.
Dicht besiedelt: Während meiner Reise konnte ich unterschiedliche Seiten von Amerika kennenlernen.
Bild Anna Nüesch

Ein allumfassendes Fazit zum Land der Gegensätze und Extreme zu ziehen, fällt mir auch Wochen nach meiner Reise schwer. Etwas verrückte und von ihren Träumen getriebene Menschen, unendliche Fast-Food-Möglichkeiten und riesige Autobahnen? Ja, das ist Amerika. Die typischen Häuser mit perfekt dekorierten Einfahrten in den Vororten erinnerten mich tatsächlich an «Modern Family». Auch die Luft der schwerreichen Villabesitzenden von Hollywood aus «Selling Sunset» durfte ich schnuppern. Somit hat sich ein Teil meiner Vorstellungen von Amerika bestätigt. Ich erlebte in den sechs bereisten Bundesstaaten jedoch eine riesige Diversität, die ich mir zuvor nicht vorstellen konnte. Stereotypen und Vorurteile wurden zum Teil bestätigt, aber auch gesprengt und widerlegt durch interessante Gespräche und einmalige Erlebnisse.

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