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Donnergrollen

Südostschweiz
29.08.19 - 04:30 Uhr
Ereignisse
Kommentar

von Silvio Lebrument

Die «Neue Bündner Zeitung» vom 29. August 1939 liest sich wie ein Albtraum. Die heute exakt achtzig Jahre alte Ausgabe enthielt zahlreiche Artikel, die den nahen Krieg mit deutlichen Worten ankündigten. Schon tags zuvor konnten unter dem Titel «Geheimklausel zum Russenpakt?» beunruhigende Details zum Abkommen zwischen Hitler und Stalin nachgelesen werden. «Polen soll zwischen Russland und Deutschland aufgeteilt werden, …», hatten die Diktatoren unter anderem bestimmt. Damit war das Schicksal des Landes auf Papier besiegelt. Wenige Tage später wurde das Abkommen in blutige Wirklichkeit umgesetzt. Zehntausende verloren in den ersten Wochen des Krieges ihr Leben.

Die «Neue Bündner Zeitung» vom Dienstag, 29. August 1939, berichtete drei Tage, bevor der erste Schuss fallen sollte, über die letzten Kriegsvorbereitungen. Holland, Belgien und Frankreich mobilisierten ihre Soldaten. Wegen einer «grossen Anzahl deutscher Unterseeboote» durften britische Schiffe das Mittelmeer nicht mehr anlaufen. Derweil liefen die diplomatischen Drähte heiss. Europaweit wurden verzweifelte Versuche unternommen, den Krieg in letzter Minute abzuwenden. Die britische Regierung schlug einen drei- bis sechsmonatigen Waffenstillstand zur Beilegung des «deutsch-polnischen» Streitfalls vor. Man wollte in einem ersten Schritt erreichen, dass die «Truppen an den Grenzen» zurückgezogen werden.

Unter dem Titel «Wird Italien marschieren?» wurde in derselben Ausgabe versucht, die Stimmung im Belpaese für die Teilnahme an einem Krieg an «der Seite Deutschlands» einzuschätzen. Sie wurde mehrheitlich als negativ beschrieben. Das hinderte Mussolini bekanntlich nicht daran, seinem mörderischen Gesinnungskameraden im Norden bald auf die Schlachtfelder zu folgen.

Auch die Schweiz bereitete sich auf den Konflikt vor. Auf der Front der «Neuen Bündner Zeitung» wurde die «Teilmobilmachung in der Schweiz» und die Wahl eines Generals durch die Bundesversammlung für den 30. September 1939 in grossen Lettern angekündigt. Die Direktion der Swissair liess verlauten, verschiedene Flüge, darunter Zürich–Basel–Paris, streichen zu müssen.

Für die einheimische Bevölkerung einschneidend war der Artikel über die «Vorsorgliche Bezugssperre einzelner Nahrungsmittel». Die Haushalte waren bereits im April 1939 aufgefordert worden, Nahrungsvorräte für zwei Monate anzulegen. Nun wurden Massnahmen getroffen, um «Angst- und Panikkäufe» zu vermeiden. Von der Rationierung war eine ganze Reihe von Produkten betroffen. Darunter wurde eine Bezugssperre für Zucker, Reis, Teigwaren, Butter und Mehl erlassen. Bei Missachtung drohte ein Bussgeld von «bis zu 5000 Fr.». Wer nicht über die erforderlichen Vorräte verfügte, erhielt «blaue Karten» und konnte «gesperrte» Güter weiterhin kaufen. Ausnahmen wurden auch für die «Armenfürsorge» und für «Wohltätigkeitszwecke» gemacht.

Unsere Zeit scheint weit entfernt von einem ähnlichen Konflikt zu sein. Doch der Ton zwischen einigen Mächtigen ist rauer geworden. Militärische Verträge, die für Stabilität sorgten, werden aufgekündigt. Handelsstreitigkeiten bedrohen die Wirtschaft. Der Zusammenhalt in Europa bröckelt. Rechtsradikale Ideen fallen auf fruchtbaren Boden. Im näheren und ferneren Osten wird gezündelt. Mancher täte gut daran, in Zeitungsarchive hinabzusteigen, um sich die Ereignisse in Erinnerung zu rufen, die vor achtzig Jahren Verzweiflung und unsägliches Leid hervorgerufen haben.

Mit einem Klick auf das Bild unten erhaltet Ihr die Ausgabe der damaligen «Neuen Bündner Zeitung» vom 29. August 1939 als PDF:

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