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Michel wird einst wieder ein normales Leben führen können

Gut fünf Wochen nach seinem schweren Sturz in Altenberg spricht Bob-Anschieber Sandro Michel erstmals über den Unfall und seinen Gesundheitszustand.

Agentur
sda
25.03.24 - 10:09 Uhr
Schneesport
Sandro Michel sitzt beim Interview im Rollstuhl, weil er die Hüfte noch nicht belasten darf.
Sandro Michel sitzt beim Interview im Rollstuhl, weil er die Hüfte noch nicht belasten darf.
KEYSTONE/URS FLUEELER

Im Training zu den Weltcuprennen stürzte der Viererbob von Michael Vogt. Dabei verletzte sich Sandro Michel so schwer, dass er im Universitätsspital Dresden notoperiert werden musste. Fünfeinhalb Wochen später und kurz vor dem Weltcup-Finale vom Wochenende traf Keystone-SDA in der Rehaklinik Bellikon im Kanton Aargau einen beeindruckend gefassten und zuversichtlichen Sandro Michel an.

Der 27-jährige Spitzenathlet, unter anderem WM-Bronzegewinner und Olympia-Vierter mit Vogt im Zweierbob, sitzt im Rollstuhl und hat bereits 15 Kilo Körpergewicht verloren. Erstmals fühlt sich der Fricktaler in der Lage, öffentlich über seinen Unfall, bei dem sein Leben ernsthaft in Gefahr war, und die Folgen zu sprechen. Was sprachlos macht: Vom internationalen Bobverband oder der betreffenden Bahn in Deutschland hat sich nicht einmal jemand gemeldet.

Sandro Michel, es ist eine banale Frage, aber in ihrem Fall leider sehr angebracht: Wie geht es Ihnen?

«Den Umständen entsprechend wirklich nicht schlecht. Es geht momentan relativ gut vorwärts und ich hoffe, es geht so weiter. Es gibt immer gewisse Tage und gewisse Momente, in denen es weniger gut läuft, aber ich denke, das gehört dazu. Am Wichtigsten war es für mich, als mir die Ärzte bestätigen konnten, dass ich wieder ein normales Leben werde führen können.»

Gibt es Momente, in denen Sie sich fragen, warum das gerade Ihnen passiert ist?

«Ja, die hat es schon auch gegeben. Es bringt aber auch gar nicht extrem viel, wenn man sich diese Frage jeden Tag stellt. Am Anfang habe ich das ein bisschen mehr gehabt, jetzt ist es ziemlich okay. Man muss die positiven Sachen sehen.»

Können Sie sich an den Unfall selber erinnern?

«So gut wie gar nicht, eigentlich ist alles weg. Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist das Einlaufen, und dann wieder im Spital in Dresden.»

Können Sie erklären, wie es zu dem schweren Unfall kommen konnte?

«Wir sind in Altenberg in der Kurve 13, 14 gestürzt. Dann haben wir irgendwo nochmal einen rechten Schlag bekommen, und ich bin bewusstlos geworden, aus dem Schlitten gefallen und in der Bahn liegen geblieben. Sonst versucht man immer, irgendwie im Schlitten zu bleiben. Im Zielbereich, wo die Bahn wieder bergauf geht, ist er dann leider wieder retour und in mich hinein gerutscht.»

Von wie viel Gewicht sprechen wir da?

«Sicher eine halbe Tonne. Der Schlitten ist etwas über 200 Kilo, dazu drei Leute von je über 100 Kilo.»

Was sind die gravierendsten Verletzungen?

«Auf der Seite bei den Hüften hat es mir diverse Haut- und Muskelfetzen abgerissen oder aufgerissen. Dann hat es mir die Hüfte ausgekugelt, also der Oberschenkelknochen ist sichtbar gewesen. Das war sicher keine schöne Sache. Dann hat es mir diverse Rippen gebrochen, dazu hatte ich eine Lungenblutung oder wie man dem sagt. Das sind so die wesentlichen Sachen, in Aarau musste man dann auch noch Muskeln beim Brustkorb fixieren.»

Insgesamt mussten Sie viermal operiert werden. Kann man schon sagen, wie es nun weitergeht?

«Das ist im Moment noch schwierig zu sagen. Momentan habe ich noch relativ grosse Schmerzen im Brustkorb und in den gebrochenen Rippen. Das braucht ein bisschen Zeit, wird aber immer ein bisschen besser. Der Hüftbereich tut mir eigentlich nicht extrem weh, ist aber von der Bewegung her noch extrem eingeschränkt. Ich habe momentan täglich Therapie. Es braucht halt wirklich noch Zeit und Geduld, was man auch ein bisschen lernen muss. Als Sportler wäre man am liebsten gestern schon fertig gewesen mit dieser ganzen Reha.»

Wie sieht der Zeithorizont aus?

«Am 2. April bin ich nochmal in Aarau, dort wird dann nochmal geröntgt, und ich habe eine Besprechung mit dem Arzt. Dort wird ein bisschen auskommen, wie der weitere Rehaprozess aussehen wird und ob ich die Hüfte etwas mehr belasten kann. Im Moment ist noch ziemlich offen, wie lange es dauern wird.»

Es wurde viel über die Unfallursache diskutiert. Hätte er verhindert werden können oder müssen?

«Meiner Meinung nach definitiv! Ich denke, es wäre eigentlich nicht so eine grosse Sache gewesen, dass man irgendwelche Sicherheitskriterien einführen würde, damit das eben nicht passiert. In Altenberg passiert das schon seit X Jahren. Am Morgen vor unserem Sturz hatte der deutsche Toppilot Johannes Lochner ebenfalls einen Sturz und einen Anschieber, der in der Bahn liegen blieb. Er machte deutlich auf die Gefahr aufmerksam und forderte explizit Massnahmen, um ein Zurückrutschen des Schlittens zu verhindern. Ich finde es extrem schade, dass es so weit hat kommen müssen. Meiner Meinung nach ist das von den Bahnbetreibern extrem schwach, dass man das nicht schon längst in Angriff genommen hat und, blöd gesagt, einfach einen Toten in Kauf genommen hat. Bei mir ist es ja relativ knapp gewesen.»

Hat sich vom Internationalen Verband mal jemand bei Ihnen gemeldet?

«Von Seiten des internationalen Verbandes habe ich nie irgendetwas gehört. Da muss ich auch sagen, da bin ich extrem enttäuscht.»

Nicht einmal eine Nachfrage wie es Ihnen geht?

«Gar nichts! Das finde ich schon extrem schwach, muss ich ehrlich sagen. Sonst haben sich extrem viele Leute gemeldet, auch von meinem Verband, das ist wirklich sehr gut organisiert gewesen und sehr gut abgelaufen. Die von der Bahn in Altenberg haben an einer Pressekonferenz nach dem Unfall noch irgendwelche Vorwürfe gegenüber den Athleten gemacht.»

Machen Sie denn Ihrem Piloten Michael Vogt einen Vorwurf wegen dem Sturz?

«Auf keinen Fall. Stürze gehören im Bobsport dazu, dieses Risikos ist sich jeder Bobfahrer bewusst. Dass es dann so schlimm herauskommt, damit rechnet sicher niemand.»

Sie würden also auch wieder bei Vogt in den Schlitten steigen, wenn Sie wieder fit sind?

«Natürlich.»

Vom Bobsport haben Sie also nicht die Nase voll. Machen Sie sich Hoffnungen, noch einmal als Anschieber antreten zu können?

«Es ist sicher noch ein sehr langer Weg. Es hängt extrem von meiner Hüfte ab. Es ist so, dass sie momentan meine Hüfte mit meinen Knochen rekonstruiert haben. Ob das gut kommt, das kann man momentan noch nicht sagen. Man weiss einfach, dass das ganze Gelenk oder ein Hüftknochen extrem lange nicht durchblutet worden ist. Ob die Durchblutung wiederhergestellt wird, ist ein relativ grosses Fragezeichen. Das weiss man momentan noch nicht. Ich hoffe natürlich, dass es gut kommt und dass es auch wieder möglich ist, weiterhin Bobrennen zu fahren. Das ist definitiv mein grosses Ziel.»

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