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Der Tunnel als süsse Versuchung scheidet die Geister von neuem

Sieben Jahre nach dem letzten Tunnelprojekt steht eine neue Variante auf dem Prüfstand. Im Streitgespräch diskutieren Marcel Gasser und Hubert Zeis, Präsidenten des Vereins Verj beziehungsweise der IG Mobilität Rapperswil-Jona, über das Für und Wider zum «Tunnel Mitte».

24.11.18 - 04:35 Uhr
Politik
Tunnel-Disput – Marcel Gasser (links) und Hubert Zeis im Gespräch.
Tunnel-Disput – Marcel Gasser (links) und Hubert Zeis im Gespräch.
RAMONA NOCK

Im Jahr 2011 schickte das Stimmvolk in Rapperswil-Jona den Tunnel bachab. In einem Verfahren namens Mobilitätszukunft lud der Stadtrat die Bevölkerung ein, am Prozess mitzuwirken, um auf diese Weise ein neues Tunnelprojekt aufzugleisen. Im Sommer wurde bekant, dass Stadt und Kanton den Tunnel Mitte wollen, weil er die grösste Entlastung für Rapperswil- Jona mit sich bringe. Der Tunnel Direkt ohne Anschluss in Kempraten schnitt in der Zweckmässigkeitsbeurteilung deutlich schlechter ab. Marcel Gasser, Präsident des Vereins Verj (Verkehrsentlastung Rapperswil-Jona), und Hubert Zeis, Präsident der IG Mobiltät, kreuzen die Klingen zur Frage, ob der Tunnel Mitte das Ei des Kolumbus ist und für die Rosenstadt mehr Vorteile oder Nachteile mit sich bringt.

Herr Zeis, was spricht gegen die vorgestellte Verkehrsentlastungslösung?

Hubert Zeis: Die jetzt vom Kanton und Stadt als neu propagierte Variante «Tunnel Mitte» ist im Wesentlichen die bereits im Jahr 2011 an der Urne abgelehnte Lösung. Diese löst unser eigentliches Verkehrsproblem leider nicht: Sie verlagert primär die Staustrecken an die vier neuen Tunnelportale. Mit dieser Bestvariante verbauen wir uns schlicht die Zukunft in Rapperswil-Jona.

«Mit dieser Bestvariante verbauen wir uns schlicht die Zukunft in Rapperswil-Jona.»

Hubert Zeis

Herr Gasser, was spricht gegen den Tunnelbau?

Marcel Gasser: Die Zweckmässigkeitsbeurteilung seitens des Kantons und der Stadt hat aufgezeigt, dass diese Variante das Verkehrsproblem in Rapperswil-Jona lösen kann. Im Unterschied zur Variante aus dem Jahr 2011 haben wir eine andere Linienführung, bauen in einer Etappe und ohne langwierigen Störungen auf der Zürcherstrasse. Der Tunnel hat die Kapazität, einen Grossteil des Verkehr zu absorbieren, öffnet eine neue Hauptachse und kann so das Stauchaos beenden.

Zeis: Mit Verlaub, die «Bestvariante» ist alter Wein in neuen Schläuchen. Die jetzt von Kanton und Stadt als beste Lösung aus dem Prozess präsentierte Idee, stammt aus dem Jahr 2004 und ist an der Urne 2011 und im Mitwirkungsprozess bereits in der ersten Phase rausgeflogen. Sie wurde aber vom Stadtrat als «sein» Favorit zusätzlich nach St. Gallen geschickt. Die eigentliche Mitwirkungsprozesslösung wurde vom Stadtrat ohne Not vor der Zweckmässigkeitsbeurteilung abgeschossen und ist daher nie vergleichbar mitbeurteilt worden

Gasser: Es ging beim Mitwirkungsprozess nie darum, mittels demokratischer Abstimmung die beste Variante zu eruieren, sondern die Meinung der Bevölkerung abzuholen. Schliesslich waren es Moorlandschaften, das UNESCO-Weltkulturerbe, der Naturschutz und der Kanton Schwyz, die der auserkorenen Variante mit Portal Hurden den Garaus gemacht haben. Auf den «Stadttunel Ost» wiederum verzichtete der Stadtrat wegen den städtebaulichen Eingriffen auf dem Areal Grünfels in Jona und dem schwierigen Baugrund zwischen Rapperswil und Jona.

Zeis: Eben gerade darum hätte es in diesem Prozess gehen sollen! Das Thema Verkehrsentlastung krankt daran, dass man sich seit dreissig Jahren krampfhaft auf die eine Tunnelführung versteift, statt sich erst einmal auf die Frage einzulassen, was die Stadt Rapperswil-Jona wirklich braucht. Erst dann sind Lösungsvarianten abzuleiten und abschliessend die Mach- und Finanzierbarkeit zu prüfen – und nicht umgekehrt.

Zur Kostenfrage: Ist eine Milliarde Franken realistisch angesichts dessen, dass der Kanton an allen Ecken und Enden spart?

Zeis: Realistischerweise stehen jährlich nicht ganz zwanzig Millionen Franken für Verkehrsprojekte dieser Art dem Kanton zur Verfügung. Dieser Tunnel würde also fünfzig Jahre lang die gesamten kantonalen Mittel für neue Strassenbauten aufbrauchen. Der Kantonsrat wird kaum soviel Geld für ein bereits einmal abgelehntes und für die Stadtentwicklung so katastrophales Projekt bewilligen.

Gasser: Wenn die Regierung bereit ist, das Problem zu lösen und eine Milliarde Franken zu «stemmen», gehe ich davon aus, dass dies auf seriösen vorgängigen Abklärungen beruht. Die vom Verein Verj, Verkehrsentlastung Rapperswil-Jona, favorisierte Variante mit einem Eisenbahntunnel im Meienberg wäre in der Tat einiges günstiger gewesen, allerdings mochten sich der Kanton mit den SBB nicht auf dieses Projekt einlassen. Der Stadttunnel Mitte ist aus pragmatischer Sicht nun der Beste: Er bietet grösstmögliche Entlastung, lässt Langsamverkehr und Busse nicht im Stau hängen und schafft mehr Raum für moderne urbane Verkehrsformen.

«Der Stadttunnel Mitte lässt Busse nicht im Stau hängen und schafft mehr Raum für urbane Verkehrsformen.»

Marcel Gasser

Zeis: Es ist ein Irrtum zu glauben, wir könnten dank des Tunnels mehr «Stadtraum» schaffen. Die Strassen werden genau so bleiben, wie sie jetzt sind. Woran diese Tunnelvariante vielmehr krankt, ist der Umstand, dass sie den umliegenden Raum ignoriert: Diese Variante ist nicht fertig gedacht, weil sie ein lokales Stadtstrassenprojekt ist und nicht ein Projekt, das die Verkehrssituation der ganze Region mit einbezieht und alle Verkehrsteilnehmer integriert. Ein Austausch mit der Region findet bei dieser Lösung schlicht nicht statt.

Viele offene Fragen stellen sich noch bezüglich definitiver Linienführung: Was halten Sie davon, wenn aufgrund des schwierigen Baugrunds der Verkehr auf der Güterstrasse oberirdisch geführt werden müsste?

Gasser: Eine solche Linienführung würde wohl am Widerstand des betroffenen Quartiers scheitern. Naturgemäss wären weniger Leute von den Auswirkungen des Tunnels betroffen gewesen, wenn die S7-Trassee-Lösung ins Auge gefasst worden wäre. In der Tat gibt es beim Stadttunnel Mitte mehr Leute, die von den Bauwerken direkt betroffen sind. Diese gilt es ins Boot zu holen.

Zeis: Es stellt sich tatsächlich die Frage, ob sich mit dem Einschlagen von ein paar Pfählen der Tunnel quer durch die Stadt realisieren lässt, und auch die Querung des Grundwasserstroms ist noch keineswegs geklärt. Die städtebaulichen Einschnitte werden aber immens sein, daher fordert die IG Mobilität auch, dass von allen vier Tunnelportalen diesmal massstäbliche Modelle erstellt werden und bei der Auflage des Projekts verfügbar sind.

Wie wäre die Tunnelfrage gelöst worden, wenn es in Rapperswil-Jona ein Stadtparlament gäbe?

Zeis: Das ist eine hypothetische Frage. Natürlich hätte es mehr ernsthafte Diskussion gegeben und weniger Verkaufs-Shows wie die kürzlich über die Bühne gegangenen Informationsveranstaltungen des Stadtrates zum Stadttunnel Mitte. Das Stadtforum ist in keiner Weise ein Diskussionsersatz. Dort wird lediglich informiert. Grundsätzlich würde die Politik in Rapperswil-Jona mit einem Parlament in ganz anderen Bahnen verlaufen als ohne. Sicherlich würde auch die Tunneldebatte offener und transparenter ausfallen.

Gasser: Sicherlich haben Stadt und Kanton im Jahr 2011 Fehler gemacht und das ganze Projekt ungenügend aufgegleist. Beide haben aus den Fehlern gelernt und die Bevölkerung von Rapperswil-Jona im Unterschied zu damals frühzeitig miteinbezogen – auch ohne Stadtparlament.

Herr Gasser, wie werden Sie sich fühlen in zwanzig Jahren, wenn bis dann kein Tunnel gebaut würde?

Gasser: Ich würde die innerstädtischen Optionen vermissen und müsste feststellen, dass die Lebensqualität markant leidet. Zu erwarten wären in jedem Fall negative Auswirkungen auf Bevölkerung, Wirtschaft, Altstadt und die Quartiere, wenn kein Tunnel gebaut wird.

«Der Stadttunnel Mitte wird fürchterliche Löcher und heftige Zahnschmerzen hinterlassen.»

Hubert Zeis

Herr Zeis, wie werden Sie sich fühlen in 20 Jahren, wenn der Tunnel bis dann gebaut ist?

Zeis: Für mich ist diese Tunnelidee wie ein Zuckerbollen: Eine süsse Versuchung, die fürchterliche Löcher und heftige Zahnschmerzen hinterlassen wird.

 

 

 

 

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Reine Utopie und Geldvernichtung mittels unnötiger und unsinniger Planungsausgaben: der Stadttunnel. Da ohnehin weder finanzierbar noch politisch durchsetzbar.
Dazu warten andere grosse Aufgaben für den regionalen Verkehr. Mit dem Ausbau der Oberland Autobahn wird gezwungenermassen die überlastete A53 zum plötzlich dringenden Thema. Warum nicht die Verkehrsführung über den See nach Galgenen? Noch wäre das möglich. Und erst noch wesentlich günstiger.
Umfahrungen hätten ja auch noch gerne Uznach und St. Gallenkappel.
Wünschenswert wäre auch eine direkte Bahnlinie (Glarus) - Ziegelbrücke - Uznach - Schmerikon - Rüti ZH - Zürich HB. An Rapperswil vorbei, welches ohnehin immer den Füfer und das Weggli möchte..

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