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Wenn das «Kerzenkonzert» naht, naht auch Weihnachten

Am 14. Dezember wird Christoph Kobelts Weihnachtsgeschichte zum 107. Mal aufgeführt. Musiktherapeutin und Tenorsängerin Catherine Fritsche erklärt, warum das immer Gleiche immer neu fasziniert.

Südostschweiz
03.12.19 - 04:30 Uhr
Kultur
Musikalisches Multitalent: Catherine Fritschi beherrscht mehrere Instrumente – im Konzert braucht sie aber vor allem ihre tiefe Stimme.
Musikalisches Multitalent: Catherine Fritschi beherrscht mehrere Instrumente – im Konzert braucht sie aber vor allem ihre tiefe Stimme.
SASI SUBRAMANIAM

von Swantje Kammerecker

An die 1000 Menschen strömen jeweils in die Stadtkirche, um das Weihnachtskonzert bei Kerzenlicht zu hören. Es ist die meist aufgeführte Komposition des Glarner Kulturpreisträgers Christoph Kobelt. Die Partitur wurde ins Landesarchiv aufgenommen. 1977 uraufgeführt, erklingt das Werk in Glarus in ungeraden Jahren (dieses Jahr zum 107. Mal), dazu jährlich im Fraumünster Zürich.

Die zirka 200 Mitwirkenden – Singende, Instrumentalisten samt drei Dirigenten, Lektor und Solisten – seien eine eingeschworene Gemeinschaft, stellt Catherine Fritsche fest, die ebenfalls wieder mitwirkt – im Männerchor.

Nachdem sie 1999 in Glarus eine Stelle als Musiktherapeutin angetreten war, hatte sie das Weihnachtskonzert in der Stadtkirche 2001 erstmals als Zuhörerin erlebt und war überwältigt. Und sie wundert sich heute, dass sie – obwohl sie vorher in Zürich wohnte – damals nicht damit in Berührung kam.

«Ein ergreifender Moment»

Doch in Glarus ist die Musikszene dicht verwoben. So geschah es 2003: «Im Glarner Kammerorchester, in dem ich Cello spiele und das ebenfalls von Christoph Kobelt geleitet wurde, fragte der Dirigent, wer noch im Tenor mitsingen möchte.» Der Cellokollege neben ihr sagte gleich zu – und sie auch. Als Frau im Männerchor? Ja, richtig, es sei nicht etwa eine Verlegenheitslösung gewesen, sondern diesen Part, die tiefere Mittellage, die habe sie immer sehr gerne gehabt. «Mein Vater war auch in einem Männerchor. Dieser Klang war mir nah.»

Erstaunlich. Aber wie manche zierliche Frau – man denke nur an Edith Piaf – hat auch Catherine Fritsche eine eher tiefe Frauenstimme. Sie erzählt: «Der Anfang des Konzerts, wenn der singende Männerchor in die Stadtkirche einzieht, ist für mich und auch für die Zuhörer ein ergreifender Moment. Es ist etwas Grosses, das sich da in Bewegung setzt.»

Die erste Strophe des Liedes, «es kommt ein Schiff, geladen bis an sein’ höchsten Bord», habe eine starke Symbolik. Wie in einem Schiff sei das ganze Menschengeschlecht als Gemeinschaft auf seinem Weltenweg unterwegs. «Das Segel ist die Liebe, der Heilige Geist sein Mast.» Und doch, wie die 4. Strophe sage, seien wir oft verloren in dieser Welt, beladen mit Zweifeln und Sehnsucht, die sich gerade in der dunkelsten Jahreszeit offenbarten.

Tröstliches Kerzenlicht

Die Dunkelheit habe etwas zu sagen, ist Fritsche überzeugt. «Es ist wichtig anzuerkennen, dass wir durch Tiefen gehen, etwa mit Seelennot, globalen und gesellschaftlichen Herausforderungen kämpfen, anstatt dies mit möglichst heller, bunter Beleuchtung zu verdrängen.»

Etwas Tröstliches habe der warme Schein der 2000 Kerzenlichter, die in der Kirche alle von Menschenhand angezündet würden, ein fast meditativer Akt: «Wenn wir fürs Konzert nach Zürich fahren, auf dem Weg zum Fraumünster, nehme ich den Kontrast besonders wahr: Um die Kirche, die von den Besuchern als Ort der inneren Einkehr aufgesucht wird, regiert die laute, hektische, auf Konsum und Kommerz ausgerichtete Einkaufsmeile.»

Im Chor erlebte sie bei ihrem ersten Mitwirken etwas Wundersames: «Ich war noch etwas unsicher, ob ich es schaffe, beim Einmarsch die sechs Strophen auswendig zu singen. Doch sobald ich inmitten dieser Männergruppe lief, übertrug sich etwas. Die Worte waren wie von selbst da, ich sang sie mühelos, war im Strom einer grossen Kraft. Hatte teil an einem tiefen Wissen, das es schon lange vor mir gab.»

Damit meint Fritsche auch die zum Teil sehr alten Liedtexte. «Sie scheinen aus der Zeit zu fallen, sind aber lebendig, wenn sie neu gefüllt werden.»

Moses Kobelt, der Dirigent des Glarner Singvereins, der an nur zwei Proben mit dem Chor das Werk einstudiert, fordere eine bewusste Auseinandersetzung mit Text und Musik.

Musik als Ritual

Verstehen, sich etwas aneignen, das mache den Unterschied zur Routine, zum blossen Wiederholen, und das spüre auch der Zuhörer, so Fritsche: «Weihnachten kann es auch nur werden, wenn die Botschaft im Herzen neu geboren wird. In einer Zeit der Individualisierung fehlt uns oft der Bezug dazu, dass wir in einem grossen Ganzen aufgehoben sind. Musik vollbringt es, das wieder wahrzunehmen.»

Musik als heilsames Ritual? Die Musiktherapeutin hat dazu differenzierte Ansichten. «Ein Ritual ist nicht per se etwas Gutes. Es kann auch Zwang, Erstarrung, Abwehr bedeuten. Musik wird in Ritualen oft zweckentfremdet, missbraucht.» Andererseits sei Musik als Ursprung und Teil menschlicher Rituale immer wichtig gewesen. Mit ihr werde Unsagbares in eine Handlung übersetzt. «Übergänge und Schwellenerfahrungen können begleitet werden mit einer Form, die Sinn und Sicherheit vermittelt.»

Rituale haben immer noch ihren Platz im menschlichen Lebenszyklus, so erlebt sie es im Beruf bei sterbenden oder genesenden Patienten. Sie zieht die Parallele zur Musik: «Sie ist im Grunde immer vorhanden. So, wie eine Pflanze, die über das Jahr in verschiedenen Seinsformen lebt.»

Beim Weihnachtskonzert sei das wie bei einer Blume, die zu einer bestimmten Zeit blühe. Es sei zwar dieselbe Pflanze, aber nie die gleiche Blüte. Und dafür müsse immer wieder Energie zugeführt werden – bei der Musik von den Aufführenden. «Und die Grundenergie muss vorhanden sein wie bei einem glimmenden Feuer. Mit einem neuen Holzscheit lodern dann die Flammen wieder.»

Die entstehende Wärme schätzt sie so sehr, dass sie stets gerne mitwirkt. Und freudig feststellt, dass auch sie inzwischen für andere Sänger eine Stütze ist. Langweilig werde es nie, im Gegenteil: «Immer wieder entdecke ich Neues. Texte und Musik sprechen in mein Leben.» So heisse es etwa in der dreichörigen Motette Nr. 19: «Die Weisen und die mächtig sind, sie träumen wie der leichte Wind vom eignen Rausche taub und blind.» Das habe sie letztes Mal tief getroffen. «Es war für mich gerade ein brennendes Thema.»

Samstag, 14. Dezember, um 18 Uhr, Stadtkirche Glarus, Einlass ab 17.15 Uhr, Kollekte.

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