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Neonazis planten Feier im Kaltbrunner Schützenhaus

Die Polizei hat ein Treffen sowie ein Konzert von Rechtsextremen in Kaltbrunn vereitelt. Dutzende Neonazis wollten im Lokal der Sportschützen feiern. Kein Zufall, die Bewegung ist in der Region aktiv.

Fabio
Wyss
20.06.22 - 18:31 Uhr
Ereignisse
Neonazis wollten in Kaltbrunn ihrem rechtsextremen Gedankengut frönen: Die Polizei hat Wind bekommen und frühzeitig interveniert.
Neonazis wollten in Kaltbrunn ihrem rechtsextremen Gedankengut frönen: Die Polizei hat Wind bekommen und frühzeitig interveniert.
BILD KEYSTONE

Für die St. Galler Kantonspolizei bedeutet es ein Novum: Sie hat letzten Samstag erstmals ein Treffen von Rechtsextremen verhindern können. In Kaltbrunn plante ein Neonazi-Netzwerk aus der Schweiz und Deutschland «ein Treffen und ein mögliches Konzert», teilt die Kantonspolizei mit. Sie ging von einem Aufmarsch von mehreren Dutzend Personen aus, wie die Polizei auf Anfrage der «Linth-Zeitung» bekannt gibt.

Die Kantonspolizei sprach gegen den Veranstalter ein Veranstaltungsverbot im ganzen Kanton aus. Ein Zufall, dass im zürcherischen Rüti (siehe Box) gleichentags Rechtsextreme aufmarschierten? Kaum. Das glaubt auch Polizeisprecher Hanspeter Krüsi nicht. «Aufgrund der örtlichen Nähe kann man davon ausgehen, dass zumindest teilweise die gleichen Leute nach Rüti gegangen sind, welche sonst in Kaltbrunn gewesen wären.»

Diese Kreise seien sehr flexibel: «Sie wissen, dass sie kurzfristig mit Verboten rechnen müssen. Darum mieten sie gleichzeitig verschiedene Lokalitäten an und haben so verschiedene Optionen offen», sagt Krüsi. Beim Lokal in Kaltbrunn handelt es sich gemäss zwei unabhängigen Quellen um jenes der Sportschützen. Das für Vermietungen zuständige Vereinsmitglied verwies auf Anfrage an die Polizei.

Ruhe statt Rechtsextreme: Die Verantwortlichen vom Schützenhaus in Kaltbrunn lösten umgehend den Vertrag mit den Neonazi-Mietern auf. BILD URS SCHNIDER
Ruhe statt Rechtsextreme: Die Verantwortlichen vom Schützenhaus in Kaltbrunn lösten umgehend den Vertrag mit den Neonazi-Mietern auf. BILD URS SCHNIDER

Was können Vermieter tun?

Mediensprecher Krüsi macht den Sportschützen keinen Vorwurf. «Der Vermieter zeigte sich sehr kooperativ.» Dasselbe sagt Kaltbrunns Gemeindepräsidentin Daniela Brunner. Die Gemeinde sei überdies früh von der Polizei einbezogen worden. «Sie kontaktierten uns Mitte letzte Woche.» Es hätte durchaus auch die Politische Gemeinde direkt betroffen sein können, sagt Brunner. «Da wir selbst Lokalitäten vermieten.»

Brunner appelliert an andere Vermieter: «Überprüft Reservationen von unbekannten Personen!» Dies empfiehlt auch Krüsi. Bei unbekannten Personen sei es ratsam, einen Ausweis zu verlangen und nach dem Grund der Veranstaltung zu fragen. Wenn der Mieter keinen nachvollziehbaren Grund nennen kann, sollte das Lokal nicht vermietet werden oder soll mit der Polizei Kontakt aufgenommen werden. «Wir können dann zur Mieterschaft Nachforschungen betreiben», sagt Krüsi.

Unter welchem Vorwand das Lokal der Sportschützen gemietet wurde, konnte er aus ermittlungstaktischen Gründen nicht sagen. Ebenfalls will die Polizei geheim halten, ob der Mieter aus dem Linthgebiet stammt.

Region ist rechtsextremes Nest

Bekannt ist aber, dass erst 2016 eine Veranstaltung der rechtsradikalen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) in Kaltbrunn stattfand. Ihr Treffen im Restaurant «Löwen» löste damals einen grösseren Polizeieinsatz aus. Diesen Februar löste sich die Pnos auf. Rechtsextremismus im Linthgebiet bleibt aber auch ohne diese Partei ein Thema.

Zum Beispiel wegen der aufkommenden Gruppierung Junge Tat. Letztes Jahr drehten diese in einem Schänner Garten ein Werbevideo. Mindestens zwei junge Schänner liessen sich dabei filmen, wie sie Kampfsport üben. Zudem hat die Junge Tat vor einem Jahr eine Wanderung auf den Federispitz unternommen, eine Aktion in Rapperswil durchgeführt und in Schänis öffentliche Orte wie Bushaltestellen mit Stickern zugeklebt.

Ob die Junge Tat hinter den Anlässen in Rüti oder Kaltbrunn steckt, ist laut den Kantonspolizeien St. Gallen und Zürich Gegenstand von Ermittlungen. Auf ihren Internetkanälen veröffentlichte die Junge Tat am späten Samstagnachmittag verpixelte Fotos von Wanderungen in den Schwyzer Alpen. Dazu würde passen, dass das Lokal in Rüti unter dem Namen «Wandergruppe Züger» gemietet wurde.

Ein Neonazi von der Gruppierung Blood-and-Honour stammt ebenfalls aus Schänis. Der Mann musste 2018 21 500 Franken Busse und Verfahrenskosten bezahlen, weil er 2015 mindestens zwei Juden physisch bedroht hatte. Zudem beschimpfte er sie mit antisemitischen Aussagen, zeigte den Hitlergruss und schrie «Heil Hitler».

Die Kantonspolizei hält sich zu diesen Aktivitäten bedeckt. Laut Krüsi gehören «aus nachrichtendienstlicher Sicht nur wenige Personen im Kanton St. Gallen rechtsextremen Bewegungen an. Diese sind uns bekannt», so der Polizeisprecher.

Zumindest in der Vergangenheit gab es weitere rechtsextreme Verbindungen nach Rapperswil‑Jona oder ins Zürcher Oberland. Beispielsweise bei einem der grössten Schweizer Neonazi-Aufmärsche: 2016 mietete ein in Rüti wohnhafter Ostdeutscher eine Halle für ein Konzert in Unterwasser. Gegen 6000 Rechtsradikale aus der Schweiz und dem benachbarten Ausland kamen. Der Mitorganisator aus Rüti wurde nach einer Hausdurchsuchung wegen illegalen Waffenbesitzes des Landes verwiesen.

Kanton zog seine Lehren

Trotz der grossen Dimension des Neonazi-Aufmarsches im Toggenburg wurde die Polizei damals überrumpelt. Im Nachgang wurde das Polizeigesetz im Kantonsrat angepasst. Nun ist es der Kantonspolizei St. Gallen möglich, ein Veranstaltungsverbot auszusprechen.

Dies, wenn «die demokratische und rechtsstaatliche Grundordnung oder das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung durch die Veranstaltung massgeblich beeinträchtigt werden», so die Polizeimeldung.

Dieser Nachtrag im Polizeigesetz wurde nun in Kaltbrunn zum ersten Mal angewendet. Dafür nötig war ein Hinweis, der bei der Kantonspolizei eingegangen war. Danach folgten umfangreiche Ermittlungen. Schliesslich sei der Veranstaltungsort aber ein «Zufallsfund» gewesen, wie es Polizeisprecher Krüsi formuliert.

«Heil Hitler»-Rufe an Neonazi-Feier in Rüti
Gemäss Belegungsplan des Pfadiheims in Rüti buchte letztes Wochenende die «Wandergruppe Züger» das Lokal. Tatsächlich sind am Samstagabend aber über 55 Neonazis aus der Schweiz und Deutschland aufgetaucht (siehe Ausgabe vom Montag). Dem Portal «20 Minuten» liegt ein Video vor, auf dem Rechtsextreme zu Liedern mit antisemitischen und rassistischen Texten mitsingen und Parolen aus der NS-Zeit schreien. Eine Anwohnerin berichtet dem «Tages-Anzeiger» von «Heil-Hitler»-Rufen. Zudem seien die umliegenden Parkplätze komplett überfüllt gewesen. Die vielen schwarz gekleideten Männer fielen ebenso auf. Wegweisungen waren bei rund 30 Personen wegen starken Alkoholkonsums nicht mehr möglich. Bislang ist der Kantonspolizei Zürich unklar, ob es sich bei den Mietern um die gleiche Gruppierung wie in Kaltbrunn handelt. «Das entzieht sich meiner Kenntnis. Abklärungen dazu sind am Laufen», sagt Mediensprecherin Carmen Surber. Laut der Kantonspolizei St. Gallen liegt ein Zusammenhang auf der Hand (siehe Haupttext). (wyf)

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