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Ukrainische Schulkinder büffeln in Uznach noch zu fünft

Wie geht es geflüchteten Kindern aus der Ukraine in der Region? In Uznach erhalten sie Deutschunterricht von einer geflüchteten Lehrerin. Und Uzner Oberstufenschüler kümmern sich um die Integration.

Fabio
Wyss
21.05.22 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Kleine Klasse: In Uznach bringt die aus Kiew geflüchtete Deutschlehrerin Kateryna Ntumba Muambayi fünf ukrainischen Kindern Deutsch bei.
Kleine Klasse: In Uznach bringt die aus Kiew geflüchtete Deutschlehrerin Kateryna Ntumba Muambayi fünf ukrainischen Kindern Deutsch bei.
BILD FABIO WYSS

Sacha steht vor dem Lavabo im Klassenzimmer. Soeben hat er erfahren, dass die Zeitung ein Foto machen will. Darum macht sich der Zwölfjährige hübsch und glättet seine Haare mit Wasser. Er ist der Älteste der fünf ukrainischen Kinder in der Auffangklasse in Uznach. Der Altersunterschied der geflüchteten Schülerinnen und Schüler ist gross: David, der Jüngste, ist erst sechs Jahre alt. «Deutsch ist ihm zu kompliziert. Er will lieber spielen», sagt Lehrerin Kateryna Ntumba Muambayi.

Sie ist ebenfalls geflohen – zusammen mit ihrem Mann, den Kindern und ihrer Mutter. Von Kiew ist die Familie Ntumba Muambayi Mitte März in Wangen bei einer Gastfamilie gelandet. «Die ersten zwei Tage nach der Ankunft war ich extrem müde», sagt sie. Dann ist die 31-jährige Deutschlehrerin auf das Jobangebot der Schule Uznach aufmerksam geworden.

Ungewissheit und volle Klassen

Rektor Felix Rüegg suchte im März eine Lehrperson, die nach den Frühlingsferien den Flüchtlingskindern Deutsch beibringen kann. «Unsere Regelklassen waren schon recht voll.» Wie viele ukrainische Schulkinder eintreffen werden, wusste damals niemand. Wegen dieser Ungewissheit habe die Schule eine separate Klasse für Kindergarten- und Primarschüler bevorzugt, erklärt Rüegg. Die Oberstufenschüler hingegen werden direkt in Regelklassen integriert.

Schliesslich wäre das wohl auch mit den jüngeren Schülerinnen gegangen. Denn Rüegg sagt: «Die erwartete Welle wurde nicht zur Welle.» Uznach ist dabei kein Einzelfall. Gemessen an der Bevölkerung sind hier noch am meisten ukrainische Flüchtlinge im gesamten Linthgebiet untergebracht (siehe Tabelle unten).

Erste zurück in Polen

Maximal sind in der Uzner Auffangklasse zehn Schülerinnen und Schüler unterrichtet worden. Ein paar von ihnen reisten mittlerweile zurück nach Polen. Zwei weitere besuchen nun den regulären Kindergarten in Uznach. So ist nach vier Wochen Unterricht die Auffangklasse auf fünf zusammengeschrumpft. Die Verbliebenen engagieren sich dafür umso mehr: Artig strecken sie auf – trotz der gerade laufenden Grammatikübung. «Wir sind ein richtiges Team geworden», sagt Lehrerin Ntumba Muambayi.

Sie sei anfangs skeptisch gewesen, ob zielführender Unterricht wegen des grossen Altersunterschieds überhaupt möglich sei. Zudem habe sie in Kiew jeweils eine Lektion für 45 Minuten vorbereiten müssen. «Jetzt müssen die Schülerinnen den ganzen Tag Deutsch lernen», so Ntumba Muambayi. Neben Grammatikübungen tun sie das mit Gesang, Spielen und Sport.

Integration als Schulprojekt

Was zu kurz kommt, ist die Integration. Die Spiele auf dem Pausenplatz der einheimischen Kinder sind den ukrainischen Flüchtlingen teils fremd. «Kontakt mit Schweizern gibt es für sie nur wenig», stellt Lehrerin Ntumba Muambayi fest. Das ist auch Uzner Lehrpersonen aufgefallen. Auf der Oberstufe wird darum ein Projekt initiiert: Oberstufenschüler organisieren Ausflüge mit der Auffangklasse.

«Die erwar­tete Welle wurde nicht zur Welle», sagt Felix Rüegg, Rektor der Schule Uznach.
«Die erwar­tete Welle wurde nicht zur Welle», sagt Felix Rüegg, Rektor der Schule Uznach.
PRESSEBILD

Dass die Hilfsbereitschaft gross ist bei diesem Thema, stellt auch Rektor Rüegg fest. Mehrere Helfer und Helferinnen unterstützen die Integrationsklasse als Klassenassistenzen. Ntumba Muambayi ist begeistert: «Die Menschen in der Schweiz sind sehr freundlich. Sie geben alles, was sie können.» Als Mensch hoffe sie, sie könnte selbst so nett sein in der gleichen Situation. Als Lehrerin stellt sie fest, dass das den Kindern guttut. «Sie sind fröhlicher als am Anfang – und wollen unbedingt Deutsch lernen.»

Die aufgeweckte Milena ist so ein Beispiel. Die Zehnjährige hatte in der Ukraine noch keinen Englischunterricht. Darum war sie mit dem lateinischen Alphabet nicht vertraut. Am Anfang hinkte sie den anderen in der Auffangklasse hinterher. Mittlerweile schnellt Milenas Hand als erste nach oben, wenn die Lehrerin eine Frage stellt.

Wie weiter nach dem Sommer?

Nach den Sommerferien werden die Kinder dann den regulären Unterricht besuchen – sofern sie noch in der Schweiz leben. Uznachs Rektor Felix Rüegg rechnet bis dahin nicht mit zusätzlichen Schülerinnen und Schülern aus der Ukraine. Auch, weil Uznach bereits verhältnismässig viele Flüchtlinge aufgenommen hat.

Was Lehrerin Ntumba Muambayi nach den Sommerferien tut, weiss sie noch nicht. Ihre Stelle in Uznach ist nur befristet. Sucht sie einen neuen Job? Kehrt sie zurück in ihr Heimatland? Einige Freunde von ihr haben das schon gemacht – und bereuen die Rückkehr: «Sie sagten mir, es sei noch nicht der richtige Zeitpunkt, um nach Kiew zurückzukommen.» Das Leben in der Oberseeregion sei für sie dagegen wie im Paradies.

 

Ausblick: Wie geht es weiter?

Auf Kanton und einige Gemeinden des Linthgebiets dürften noch viele ukrainische Flüchtlinge zukommen

Unterricht ist aufzugleisen und Unterkünfte sind zu organisieren – ohne zu wissen, wie viele Flüchtlinge wirklich kommen. Eine Umfrage der «Linth-Zeitung» zeigt, wie die zehn See-Gaster-Gemeinden mit den Herausforderungen rund um den Ukrainekrieg umgehen. Und dass wohl in den nächsten Wochen noch einige Flüchtlinge im Linthgebiet eintreffen werden.

Viele Gemeinden sind weiterhin auf der Suche nach Wohnraum für ukrainische Flüchtlinge. «Zeitnah fehlen Unterkunftsmöglichkeiten», sagt etwa Schmerikons Gemeindeschreiber Claudio De Cambio. Die Gemeinde ist bestrebt, einen Wohncontainer für die Menschen aus der Ukraine bereitzustellen. Dabei hat Schmerikon schon verhältnismässig viele Flüchtlinge aufgenommen (siehe Tabelle).

Kaltbrunn etwa liegt deutlich unter dem Soll-Kontingent des Trägervereins Integrationsprojekte St. Gallen (TISG). Der TISG weist die Anzahl Flüchtlinge proportional zur Bevölkerung den Gemeinden zu. Statt 28 Personen wie gemäss Verteilschlüssel vorgesehen, leben derzeit bloss 15 Flüchtlinge aus der Ukraine in Kaltbrunn. Die meisten von ihnen sind in Mietwohnungen untergebracht, welche die Gemeinde gemietet hat. «Wir suchen noch weitere Wohnungen», gibt Gemeindepräsidentin Daniela Brunner an.

Weil in Kaltbrunn vergleichsweise wenig Ukrainer leben, dürften künftig der Gemeinde mehr zugewiesen werden. Das Gleiche gilt für Benken, Weesen, Gommiswald oder Eschenbach. Denn nicht nur diese Gemeinden liegen im Hintertreffen, was die Anzahl Flüchtlinge angeht, sondern auch der Kanton St. Gallen.

Mehr Flüchtlinge für St. Gallen

Seit Wochen liegt der Kanton unter dem gemessen an der Bevölkerung errechneten Soll des Staatssekretariats für Migration (SEM). Kantone wie Schaffhausen, Appenzell-Ausserhoden oder der Thurgau liegen deutlich darüber. Das SEM versucht darum, Neuankömmlinge vermehrt an Kantone wie St. Gallen zuzuweisen, welche unter dem Soll liegen. Der Ostschweizer Kanton nähert sich dem aber nur langsam (siehe Grafik). Das heisst: Von den täglich 300 bis 500 in der Schweiz ankommenden Ukrainern werden künftig anteilsmässig viele in St. Galler Gemeinden landen.

In Eschenbach ist man laut der Kommunikationsverantwortlichen Tanja Schmucki darauf vorbereitet: «Um bei Bedarf innert kurzer Zeit reagieren zu können, haben wir schon früh Wohnraumangebote gesammelt.» Die Bevölkerung trug ihren Teil mit Sachspenden in Form von Mobiliar dazu bei. «Auf diese Ressourcen können wir nun schrittweise zurückgreifen.»

Zudem startete diese Woche für ukrainische Schulkinder in Eschenbach der Unterricht. Im Generationenhaus der Evangelischen Kirchgemeinde wird eine Integrationsklasse unterrichtet – analog Uznach (siehe Artikel oben). Sieben Kinder werden von ukrainisch sprechenden Lehrpersonen unterrichtet. Ein älteres Schulkind folgt zudem via Fernunterricht dem ukrainischen Lehrplan. Eine Beschulung in einer Oberstufen-Regelklasse wäre ebenfalls möglich.

Rapperswil-Jona andersrum

Einen anderen Weg geht die Schule in Rapperswil‑Jona. Hier erhalten ältere Schüler separaten Unterricht und jüngere besuchen die Regelklasse. «Mit zunehmendem Alter nimmt die Wichtigkeit der Sprache für die soziale und schulische Integration zu», begründet Andrea Frei Gschwend, Leiterin Fachstelle Kommunikation. Nach rund einem Jahr sollten alle Kinder und Jugendlichen in eine Regelklasse integriert werden.

In Schmerikon können das Schülerinnen, sobald sie in Deutsch genügend Fortschritte gemacht haben. Einzelne Schüler nehmen aber bereits an Schulausflügen teil, «um eine langsame Integration zu ermöglichen», wie Ratsschreiber De Cambio sagt. Zudem haben sie einmal pro Woche Sportunterricht.

In anderen Gemeinden ist die Anzahl schulpflichtiger Flüchtlinge zu klein, um einen separaten Unterricht zu organisieren. Sie besuchen die regulären Klassen. «Dies ist möglich, solange nicht mehr Kinder zuziehen. Zur Zeit wird ein Kindergärtner in Ernetschwil und ein Schüler in Rieden beschult», sagt Peter Hüppi, Gemeindepräsident von Gommiswald. Sie werden mit zusätzlichem Deutschunterricht gefördert.

Das handhaben viele andere Gemeinden ähnlich – bis auf Amden. Dort stellt sich die Frage nach der Beschulung derzeit nicht. Die drei Personen mit Schutzstatus S im Bergdorf sind alle erwachsen. Und mit mehr Flüchtlingen muss Amden nicht rechnen. Vom Kanton werden keine Ukrainer zugewiesen wegen des dortigen kantonalen Asylzentrums.

Wie viele kommen noch?

Trotzdem sagt Gemeindepräsident Peter Remek: «Wir haben vereinzelt Rückmeldungen von Haus- und Wohnungseigentümern erhalten, dass diese bereit wären, ihre Unterkünfte zur Verfügung zu stellen.» In Amden gebe es zudem noch einige Gruppenunterkünfte, in denen Personen kurzfristig untergebracht werden könnten. Ob das nötig wird, weiss niemand.

Klar ist: Der Flüchtlingsstrom hat abgenommen. Im März kamen zeitweise täglich doppelt so viele Ukrainer und Ukrainerinnen in der Schweiz an. Damals rechneten die Kantone noch mit bis zu 300 000 Menschen aus der Ukraine, die bis Ende Jahr in der Schweiz eintreffen werden. Aktuell rechnet das Staatssekretariat für Migration noch mit 80 000 bis 120 000 Flüchtlingen.

Stand diese Woche leben exakt 51 351 Ukrainerinnen und Ukrainer in der Schweiz.

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