×

Der sanfte Riese

Er hat mit Brasilien die Junioren-WM gewonnen und wurde Meister in seinem Heimatland. Nun spielt Michael Dos Santos zum ersten Mal in Europa Volleyball – für den TSV Jona.

Linth-Zeitung
08.12.18 - 04:30 Uhr
Mehr Sport
Zwei-Meter-Mann: Springt Michael Dos Santos hoch, überragt er die Netzkante bei Weitem.Bild Mario Gaccioli
Zwei-Meter-Mann: Springt Michael Dos Santos hoch, überragt er die Netzkante bei Weitem.Bild Mario Gaccioli

von Stefan Kleiser

Und dann war es zu spät: Michael Dos Santos durfte in den ersten fünf Partien der laufenden NLA-Meisterschaft nicht mitmachen. «Ich dachte ‘Oh mein Gott! Meine Freunde spielen und ich kann ihnen nicht helfen’», erinnert er sich. Der italienische Pass des Neo-Doppelbürgers liess auf sich warten – und der war nötig für das Engagement beim TSV Jona. Der 35-Jährige hatte zwar bereits mit dem Team trainiert, «aber trainieren und nicht spielen dürfen, das ist wie trainieren für nichts».

Viele Jahre ist es her, da war der Mittelblocker und Diagonalangreifer am Knie verletzt und musste sogar sechs Monate pausieren. «Aber das war nicht das Gleiche. Nun war ich bereit zu spielen.» Inzwischen ist alles geregelt. Dos Santos ist nicht mehr nur Brasilianer, sondern auch Italiener. Seit drei Wochen verstärkt er das NLA-Team vom Obersee. Der ruhige, freundliche Zwei-Meter-Mann mit den sanften Augen erscheint in der warmen Sportjacke. Er hat sie vom Trainer erhalten. «Ich bin gerne hier», sagt er.

Es begann im Bodenturnen

Doch vieles ist anders als in Brasilien, «in erster Linie das Wetter». Sein Urgrossvater war einst aus Italien ausgewandert, nun sind Michael Dos Santos, sein Cousin Bruno, dessen Cousine Andreia und deren Tochter nach Europa zurückgekehrt. Die Verwandten sehen hier bessere Möglichkeiten, um zu arbeiten. Für den Volleyballer wiederum ist es die Gelegenheit, Neues zu erleben. «Ich habe zuvor nie irgendwo anders gespielt als in Brasilien.»

Die Ankunft in Italien sei allerdings «ein Schock» gewesen, gesteht er. «Wir haben nichts verstanden, alles war kompliziert.» Noch immer spricht Michael Dos Santos nur wenig Italienisch. «Aber ich verstehe jetzt das meiste.» Nur ist es in Jona jetzt wieder dasselbe: Alles anders, und portugiesisch spricht nur Coach Denis Milanez. Der hält grosse Stücke auf seinen neuen Spieler. «Michael ist ein harter Arbeiter. Er bringt alles mit, was wir brauchen. Er ist ein toller Mensch, den das Team gerne bei sich hat.»

Einer von 13 Auserwählten

Michael Dos Santos verbrachte fast sein ganzes Leben im Volleyball. Als Zehnjähriger, in Birigui, wo er aufwuchs, da war er zuerst Kunstturner. «Aber die Stadt ist klein, wir turnten nur am Pferd und am Boden.» Sein Talent? «Keines, ich habe alles verlernt», sagt Michael Dos Santos und lacht. Doch über das Kunstturnen fand er zu den Volleyballern – denn sie übten in der gleichen Halle. Der Trainer sprach ihn an, «weil ich grösser war als die anderen». So wurde er Mittelblocker der Mannschaft.

Danach ging es rasch voran. Mit 16 zog Michael Dos Santos ins 600 Kilometer entfernte São Paulo in ein Volleyball-Internat – ausgewählt in Probetrainings, als einer von 13 unter 800 Jugendlichen. 2001 wurde Dos Santos Junioren-Weltmeister. «Russland galt als das beste Team des Turniers», erzählt er. Doch im Final trafen die Brasilianer auf den Iran. «Ich war extrem nervös. Nach dem Sieg rannten wir alle in der Halle herum und schrien.»

17 Jahre ist Michael Dos Santos inzwischen Volleyballer von Beruf, mit Santander São Bernardo gewann er 2005 die brasilianische Meisterschaft, zwei weitere Male reichte es in den Final. Was wird nach dem Sport sein? «Ich weiss es nicht», sagt der 35-Jährige. «Ich würde gerne etwas mit Volleyball machen. Aber ich weiss nicht, was ich über die Zukunft denken soll. Ich lasse die Dinge einfach geschehen.» Vorerst sei er jetzt einmal in Jona, und das «vielleicht noch zwei, drei Jahre».

Kommandant in erster Linie

Am Obersee ist Michael Dos Santos der Routinier in einem jungen Team, als Mittelangreifer oder auf Diagonal. Beide Positionen hätten ihren Reiz, erklärt er. «Am Mittelblock kommandierst du die vordere Linie, als Diagonalspieler hast du mehr Verantwortung und stehst immer auf dem Feld.»

In den bisherigen acht Partien der NLA-Meisterschaft reichte es Jona aber nur zum Gewinn von zwei Punkten, auswärts gegen Uni Bern. Und diese Mannschaft reist heute an zum nächsten Heimspiel der Joner in der Sporthalle Grünfeld (Anpfiff 18 Uhr). Die Hauptstädter haben ein halbes Dutzend Ausländer im Kader. Ein erneuter Sieg sei trotzdem möglich, meint Michael Dos Santos. «Unsere Spieler haben sehr viel Potenzial.»

Wegen Homosexualität von Fans beschimpft
Michael Dos Santos ist homosexuell. «In meinem Team wusste das jeder. Alle haben mich respektiert, ich musste das nie erwähnen», sagt er. Bis am 1. April 2011. Es war in Brasilien das erste Halbfinal-Spiel zwischen Sada Cruzeiro und Vôlei Futuro, seinem damaligen Verein. Die Fans des Gegners beschimpften Dos Santos. Danach sei sein Präsident zu ihm gekommen, erzählt Dos Santos. «Er sagte mir ‘Wir mögen dich. Ich kann es nicht verstehen, dass dir das passiert ist’.» Dos Santos war darauf sogar ein Thema im brasilianischen TV, «es war eine grosse Sache». Und das Team von Sada Cruzeiro wurde mit einer Busse von 32 000 Dollar bestraft. 

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Mehr Sport MEHR