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Reformierte Kirche sieht Übergriff durch ex-Präsidenten bestätigt

Machtmissbrauch, ungebührliche Avancen und Einschüchterungsversuche: die Evangelisch-Reformierte Kirche Schweiz stellt ihrem ehemaligen Präsidenten Gottfried Locher ein schlechtes Zeugnis aus. Am Mittwoch veröffentlichte sie eine entsprechende Untersuchung.

Agentur
sda
04.08.21 - 17:23 Uhr
Politik
Der ehemalige Präsident der Reformierten Kirchen Schweiz, Gottfried Locher. (Archivbild)
Der ehemalige Präsident der Reformierten Kirchen Schweiz, Gottfried Locher. (Archivbild)
KEYSTONE/ANTHONY ANEX

Aus dem Bericht der Untersuchungskommission geht hervor, dass Locher eine ehemalige Mitarbeiterin in ihrer sexuellen, psychischen und spirituellen Integrität verletzt habe. Statt als Vorgesetzter das Verhältnis zur Mitarbeiterin auf das Berufliche zu beschränken, habe Locher ihr immer wieder unerwünschte Avancen gemacht.

Als Verantwortlicher einer Institution, «einer kirchlichen noch dazu», habe Locher nicht rechtschaffen gehandelt und gegenüber der ehemaligen Angestellten kein vorbildliches Verhalten gezeigt, sagte Marie-Claude Ischer, Präsidentin der Untersuchungskommission, am Mittwoch vor den Medien in Bern. Locher habe Berufliches und Privates nicht genügend getrennt.

Auch andere Frauen erhoben Vorwürfe gegenüber Locher. Mit seinem Führungsstil eckte der Präsident auch bei anderen Mitarbeitenden an. Laut Untersuchungsbericht kam es zwischen 2016 und 2019 vermehrt zu personellen Abgängen.

Nicht kooperativ

Locher habe sich bei der Aufarbeitung des Falls überhaupt nicht kooperativ gezeigt, nahm Ischer kein Blatt vor den Mund. «Die Haltung Lochers sei »weder akzeptabel noch professionell". Stattdessen habe Locher versucht, den Kirchenrat einzuschüchtern, dies sei einer kirchlichen Institution unwürdig.

Die Untersuchungskommission gab mehrere Empfehlungen ab, wie solche Fälle künftig früher erkannt und richtig aufgearbeitet werden können.

Rita Famos, seit Anfang Jahr neue Präsidentin der Evangelisch-Reformierten Kirche Schweiz, entschuldigte sich bei der Betroffenen für das Leid, das sie erfahren habe und dafür, dass es so lange dauerte, bis sie Gehör gefunden habe. Durch die Vorfälle sei auch die Kirche stark erschüttert worden.

Machtgehabe

Als Gottfried Locher 2011 Präsident der Evangelisch Reformierten Kirche Schweiz (EKS) wurde, galt er vielen als Hoffnungsträger. Dem charismatischen Theologen mit viel Selbstbewusstsein und gewandtem Auftreten wurde zugetraut, der Protestantischen Kirche mehr Sichtbarkeit und ein klareres Profil zu verschaffen.

Locher hielt denn auch nicht mit teilweise provokanten Äusserungen hinter dem Berg. Zunehmend stiess er damit aber auch in eigenen Reihen auf Kritik.

Sauer stiess vielen Protestanten auf, dass Locher auf eine starke Stellung des Kirchenpräsidenten pochte und dies auch in der Kirchenverfassung niederschreiben wollte. In der wenig hierarchisch strukturierten Reformierten Kirche regte sich Widerstand gegen Lochers Pläne.

Für Anstoss sorgte etwa auch eine Äusserung in einem Weltwoche-Artikel, in dem Locher Bedenken zur «Feminisierung» in der Kirche äusserte. Für Kopfschütteln sorgte ebenfalls seine Aussage: «Befriedigte Männer sind friedlichere Männer. Darum sage ich, wir sollten den Prostituierten dankbar sein. Sie tragen auf ihre Art etwas zum Frieden bei.»

Irrlauf durch die Institution

Im vergangenen Frühjahr erhob eine ehemalige Angestellte gegen Locher Vorwürfe wegen «Grenzüberschreitungen». Sie hatte zuvor lange versucht, ihrem Anliegen bei verschiedenen Ansprechpersonen Gehör zu verschaffen.

Nun wandte sie sich mit ihrer Beschwerde an zwei weibliche Mitglieder der Kirchenexekutive. Diese nahmen die Sache an die Hand. Allerdings wurde bald darauf ruchbar, dass eine von ihnen mit Locher eine Beziehung gehabt hatte. Sie trat daraufhin von ihrem Amt zurück.

Gottfried Locher wiederum schaltete eine Anwältin und einen PR-Berater ein, um die Deutungshoheit der Geschehnisse in seiner Hand zu behalten und sich gegen die aus seiner Sicht ungerechtfertigten Vorwürfe zur Wehr zu setzen. Seine Kritiker hätten eine Kampagne gegen ihn lanciert, so die Sicht Lochers. Ende Mai 2020 trat er als Kirchenpräsident zurück.

Die Aufarbeitung des Falls kostete die Kirche bisher rund 400'000 Franken. Mit Locher wurde bezüglich seines Abgangs ein Vergleich geschlossen. Die Parteien haben Stillschweigen vereinbart.

Neue oberste Protestantin wurde im November 2020 Pfarrerin Rita Famos. Sie hatte bereits 2018 erfolglos gegen Locher kandidiert.

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