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EU-Klimaschutz: Das grosse Feilschen beginnt

Nach der unerwarteten aussenpolitischen Krise um Belarus wendet sich der EU-Gipfel an diesem Dienstag einem heiklen innereuropäischen Thema zu: Wie schafft die Europäische Union gemeinsam ihr verschärftes Klimaziel für 2030?

Agentur
sda
25.05.21 - 10:21 Uhr
Politik
Ab heute diskutieren die EU-Staaten wieder über die Frage, wie die selbstgesetzten Klimaziele bis 2030 eingehalten werden können. Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa
Ab heute diskutieren die EU-Staaten wieder über die Frage, wie die selbstgesetzten Klimaziele bis 2030 eingehalten werden können. Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa
Keystone/ZB/Patrick Pleul

Dass Deutschland vor wenigen Tagen mit einem eigenen neuen Ziel vorgeprescht ist, könnte helfen: Die grösste Volkswirtschaft der EU erklärt sich bereit, weitere Lasten zu schultern. Trotzdem bahnt sich ein langwieriger Streit der 27 Staaten an. Denn es geht unter anderem um viel Geld.

Die Staats- und Regierungschefs hatten im Dezember vereinbart, den Ausstoss von Klimagasen bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu bringen - statt bisher 40 Prozent. Schon das gelang nur nach einer endlosen Nachtsitzung und einem sehr hartnäckigen Streit mit dem Kohleland Polen. Nun geht es um die Umsetzung. Die EU-Kommission will dazu am 14. Juli ihr Paket «Fit für 55» mit zwölf Massnahmen vorlegen. Vorher wollen die EU-Staaten beim Gipfel Pflöcke einrammen. Nur sind sie sich dabei nicht einig.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte immerhin ein Angebot im Gepäck. «Deutschland ist in Vorleistung getreten, wir haben unsere nationalen Ziele verschärft und wollen Klimaneutralität bereits bis 2045 erreichen», sagte die CDU-Politikerin am Montagabend in Brüssel. Getrieben wurde die Regierung durch ein Verfassungsurteil. Aber damit liegt Deutschland nun ziemlich genau auf dem künftigen EU-Kurs.

«Das neue deutsche Klimaziel von minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030 passt ziemlich gut zu dem neuen EU-Ziel von mindestens minus 55 Prozent im Vergleich zu 1990», bestätigt Klimaexperte Jakob Graichen vom Ökoinstitut in Berlin. Trotzdem ist aus seiner Sicht nicht ausgeschlossen, dass Deutschland nachbessern muss. Das hängt davon ab, an wie vielen Schräubchen gedreht wird.

Traditionell fährt die EU beim Klimaschutz zweigleisig. Der europäische Emissionshandel ETS soll die Klimagase aus Energieerzeugung, Industrie und Luftfahrt drücken; bei den übrigen grossen Verursachern wie Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Müll setzt man auf Lastenteilung - im Englischen etwas freundlicher «Effort Sharing» genannt. Das bedeutet, die nötige Reduzierung der Klimagase in diesen Sektoren wird mit nationalen Zielen unter den 27 Staaten aufgeteilt. Jetzt muss in beiden Strängen nachgelegt werden.

Im Entwurf der Gipfelerklärung sind einige Eckpunkte genannt: Man will weiter nationale Ziele, die Lastenteilung soll wie bisher «breit angelegt» sein, und zur Verteilung sollten dieselben Kriterien gelten wie bisher. Zugleich betont man die Notwendigkeit, «EU-weite sektorale Massnahmen» zu stärken. Zahlen werden noch nicht erwähnt.

Der Entwurf ist sehr allgemein. Das heisst aber nicht, dass er unumstritten wäre, im Gegenteil. Ob die Erklärung überhaupt zustande kommt, sei unklar, hiess es vor dem Gipfel von Diplomaten.

Eine der Streitfragen: Müssen die östlichen EU-Staaten mehr tun - und wie viel finanzielle Hilfe bekommen sie dafür? Bisher hatten sie geringere Vorgaben, weil sie wirtschaftlich aufholen sollen. So muss Bulgarien nach derzeitigen Regeln bis 2030 gar keine Treibhausgas-Minderung in den Sektoren erreichen, die nicht vom Emissionshandel erfasst sind. Für Rumänien sind es minus 2 Prozent, für Polen minus 7 Prozent im Vergleich zu 2005. Im EU-Schnitt sind es hingegen für diese Sektoren bisher minus 30 Prozent, für Deutschland minus 38 Prozent, für Luxemburg und Schweden sogar minus 40 Prozent.

«Der Abstand zwischen armen und reichen EU-Ländern bei den geforderten Anstrengungen für den Klimaschutz muss schrittweise verkleinert werden, weil alle bis 2050 klimaneutral werden sollen», sagt Graichen. «Länder wie Bulgarien müssten also künftig mehr tun als unter der bisherigen Vereinbarung zur Lastenteilung.» Widerstand ist absehbar. Polen gilt dabei als grösster Bremser. EU-Diplomaten mutmassen, dass sich das Land zumindest weitere Hilfen für den Kohleausstieg sichern will, auch wenn dafür bereits Geld aus Brüssel zugesagt ist.

Der zweite Knackpunkt: Soll der Emissionshandel ausgeweitet werden und künftig auch den Verkehr und Gebäude erfassen? Das sei «eine konkrete Möglichkeit», sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans vor einigen Tagen. Das würde bedeuten, dass auch für den Verbrauch von Kraft- oder Heizstoffen EU-weit einheitlich Verschmutzungsrechte benötigt würden, ähnlich wie für die Abgase aus Kraftwerken oder Fabriken. Hohe Kosten sollen Anreiz sein, in neue Technik zu investieren.

Deutschland hat das auf nationaler Ebene gerade eingeführt, und Merkel lässt erkennen, dass sie die Ausweitung auf EU-Ebene unterstützt. Im Kreis der EU-Staaten sei Deutschland damit aber isoliert, orakeln die Grünen im Europaparlament. Sie sind selbst strikt gegen die Ausweitung des EU-Emissionshandels auf Verkehr und Gebäude und warnen, dass ein hoher CO2-Preis ohne Ausgleich direkt Verbraucher treffen würde. Ihr Argument: Besser Autobauern niedrigere Abgaswerte vorschreiben, als Autofahrern untragbare Kosten aufbürden.

Es geht also um Richtungsentscheidungen, aber mangels Einigkeit werden die EU-Staaten wohl doch erstmal die Vorschläge der Kommission abwarten. Im Herbst dürfte der Streit dann richtig heiss laufen, sagen Diplomaten.

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