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Konzernverantwortungsinitiative scheitert am Ständemehr

Die Konzernverantwortungsinitiative ist am Ständemehr gescheitert. Die jahrelange Kampagne der Befürworter scheint nur in den städtisch geprägten Kantonen gewirkt zu haben. Ein Trostpflaster bleibt: Nun tritt der indirekte Gegenvorschlag in Kraft.

Agentur
sda
29.11.20 - 13:43 Uhr
Politik
Die jahrelange Kampagne hat nicht gewirkt: Die Konzernverantwortungsinitiative ist am Ständemehr gescheitert. Nur die Städte und die Westschweiz stimmten mehrheitlich Ja.
Die jahrelange Kampagne hat nicht gewirkt: Die Konzernverantwortungsinitiative ist am Ständemehr gescheitert. Nur die Städte und die Westschweiz stimmten mehrheitlich Ja.
KEYSTONE/JEAN-CHRISTOPHE BOTT

In den Abstimmungsumfragen hatte sich jeweils ein Ja abgezeichnet, der Vorsprung schmolz in den Wochen vor dem Urnengang aber zusehends. Schliesslich haben die Wirtschaftsverbände, die Mehrheit der bürgerlichen Parteien und der Bundesrat das Volk von einem Nein überzeugen können.

Die Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen - zum Schutz von Mensch und Umwelt (Konzernverantwortungsinitiative)» wollte Firmen mit Sitz in der Schweiz einem zwingenden Regelwerk unterstellen, wenn es um die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutzstandards bei ihren weltweiten Tätigkeiten geht. Wäre ein Unternehmen der neuen Sorgfaltsprüfungspflicht nicht nachgekommen, hätte es auch für allfällige Schäden gehaftet, die seine Tochterfirmen und kontrollierten Zulieferer im Ausland verursacht haben. Mit der konkreten Umsetzung des Verfassungsartikels hätte sich das Parlament beschäftigen müssen.

Unternehmen zur Sorgfalt verpflichtet

Nun tritt der indirekte Gegenvorschlag in Kraft, den Justizministerin Karin Keller-Sutter konzipiert und das Parlament nach langem Hin und Her im Sommer schliesslich knapp verabschiedete. Das Gesetz beinhaltet Berichterstattungspflichten für gewisse Unternehmen. Geht es um Konfliktmineralien und Kinderarbeit, müssen die Unternehmen zusätzlich Sorgfaltsprüfungspflichten erfüllen. Verstösse werden mit Busse bestraft.

Eine Ausweitung der Haftungsregeln ist nicht vorgesehen. Tochterunternehmen und wirtschaftlich abhängige Zulieferer haften für Schäden, die sie verursachen, weiterhin selber und in der Regel vor Ort nach dem dort geltenden Recht. Das Initiativkomitee sprach wegen des Verzichts auf zusätzliche Haftungsregeln von einem «Alibi-Gegenvorschlag». Die Initiativgegner hielten nur den Gegenvorschlag für umsetzbar und wirksam.

Emotionaler Abstimmungskampf

In Erinnerung bleibt nach diesem Abstimmungssonntag auch der vergleichsweise intensive Abstimmungskampf von beiden Seiten. Sowohl Initianten und Gegner waren während der vergangenen Wochen und Monaten im Kampagnenmodus. Zu reden gaben vor allem ethisch-moralische Fragen.

Die Meinungsverschiedenheiten gingen teils quer durch die Parteien. Die bürgerlichen Parteien waren in der Frage pro oder kontra Initiative gespalten. Die Landeskirchen schalteten sich in den Abstimmungskampf ein und empfahlen ein Ja.

Im ganzen Land wehen seit Jahren zehntausende orange Fahnen, die auf das Anliegen der Initianten aufmerksam machen. Insgesamt dürfte es einer der teuersten Abstimmungskämpfe der jüngeren Vergangenheit gewesen sein.

Gegner warnten vor Generalverdacht

Das Volksbegehren war deshalb so populär, weil sogar die Gegner dessen Kernanliegen als selbstverständlich bezeichnen. Das Anliegen, wonach Schweizer Unternehmen die Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland einhalten sollen, war unbestritten. Gestritten wurde über den Weg zum Ziel.

Economiesuisse bezeichnete die Initiative als «radikal, realitätsfremd und überheblich». Sie setze Schweizer Unternehmen unter Generalverdacht. Betroffen vom Volksbegehren seien nicht nur Konzerne, wie es die Initianten oft behaupteten, sondern alle KMU. Das Wirtschaftskomitee sprach deshalb wie weitere Gegner von der «Unternehmensverantwortungsinitiative».

Wirtschaft gespalten

Auch dem Bundesrat ging das Volksbegehren zu weit. Zum einen störte ihn, dass sich die Sorgfaltsprüfungspflicht auf die gesamte Lieferkette erstreckt. Das würde in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten und Umsetzungsproblemen führen, hiess es in der Botschaft. Zum anderen lehnte der Bundesrat die Haftungsregeln ab. Diese seien strenger als in praktisch allen anderen Rechtsordnungen, argumentierte er.

Vonseiten der Parteien wehrten sich SVP, FDP und die CVP gegen das Volksbegehren, jedoch gab es auch in den Reihen der bürgerlichen Parteien viele Sympathisanten der Initiative. Und auch die Wirtschaft war gespalten.

Für die Initianten und deren Unterstützer - über 130 Hilfswerke, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften, kirchliche Organisationen und andere Vereinigungen - ist das Nein eine Enttäuschung. Für sie ist es wohl kein Trost, dass das linke Anliegen überdurchschnittlich grossen Rückhalt über die Parteigrenzen genoss. Letztlich reichte die Allianz aus SP, Grünen, GLP, BDP und EVP nicht für einen Sieg.

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