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Anschlag bringt Ruhani in Zwickmühle zwischen Rache und Diplomatie

Die Ermordung des Atomphysikers Mohsen Fachrisadeh auf offener Strasse bei Teheran bringt den iranischen Präsidenten Hassan Ruhani in arge Bedrängnis. Die gesamte politische Führung der Islamischen Republik sieht heimische Söldner der beiden Erzfeinde USA und Israel hinter dem Attentat. Ein inakzeptabler Vorfall, der nicht unbeantwortet bleiben darf, so die Reaktionen. Überall ist die Rede von Rache. Aber genau die will Ruhani verhindern. «Der arme Ruhani steckt schon wieder in einer Zwickmühle», kommentiert ein iranischer Journalist.

Agentur
sda
29.11.20 - 12:33 Uhr
Politik
HANDOUT - Der iranische Präsident Hassan Ruhani. Foto: Uncredited/Office of the Iranian Presidency/AP/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits
HANDOUT - Der iranische Präsident Hassan Ruhani. Foto: Uncredited/Office of the Iranian Presidency/AP/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits
Keystone/Office of the Iranian Presidency/AP/Uncredited

Ruhani gibt sich abgeklärt. «Wir wussten doch schon im Vorfeld, dass die letzten Wochen für unsere Feinde eng werden könnten und sie daher alles unternehmen würden, um eventuelle Änderungen in der Weltpolitik zu verhindern», sagt er. Mit den Feinden meinte er den US-Präsidenten Donald Trump und Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, mit den letzten Wochen die Zeit bis zum Abgang Trumps und zur Amtsübernahme Joe Bidens am 20. Januar 2021.

Denn für Trump steht seine ganze Nahost-Strategie auf dem Spiel, die eine Neuordnung der Region samt der Stärkung Israels und der Zurückdrängung des iranischen Einflusses vorsieht. Nach seiner Wahlniederlage hatte Trump sich US-Medien zufolge nach Optionen für ein militärisches Vorgehen gegen den Iran erkundigt. Teheran interpretierte dies als Trumps Versuch, eine Annäherung einer Biden-Regierung an Ruhanis Team schon vorab zu blockieren. «Die Ermordung Fachrisadehs sollte nicht Irans Kriegspotenzial behindern, es sollte Diplomatie behindern», twitterte auch der frühere Direktor am Internationalen Institut für Strategische Studien, Mark Fitzpatrick, ein US-Experte für die Nichtverbreitung von Atomwaffen.

Insbesondere will Trump nach iranische Lesart - ganz im Interesse Netanjahus - eine Rückkehr Washingtons zum Wiener Atomabkommen von 2015 verhindern, aus dem der US-Präsident 2018 ausgestiegen war. «Die Zionisten (Israel) haben teuflische Pläne und versuchen (mit dem Anschlag) nun für Unruhe zu sorgen, aber der Iran ist klug und wird nicht in diese Falle tappen», sagt Ruhani. Der Tod des Kernphysikers werde zwar nicht unbestraft bleiben, «aber zu gegebener Zeit». Ruhani hat mehrmals angedeutet, dass er sich nicht nur eine Zusammenarbeit, sondern auch eine Einigung mit Biden durchaus vorstellen könne.

Die grosse Hoffnung Ruhanis und seiner Reformer ist, dass die USA unter Biden zum Atomdeal zurückkehren werden. «Das ist eine Gelegenheit, die wir nicht ungenutzt verstreichen lassen sollten» mahnt der Präsident. Denn dann könnte sich der Iran aus der Zwinge der US-Sanktionen befreien und bekäme die Chance, die schwere Wirtschaftskrise zu überwinden. Dies sei im nationalen Interesse und dürfe nicht aus internen und parteipolitischen Erwägungen infrage gestellt werden, meint Ruhani.

Doch Ruhani wird es schwer haben, die Hardliner und insbesondere die mächtigen Revolutionsgarden (IRGC) von seine Vorstellungen zu überzeugen. Die fordern lautstark Rache für die Ermordung des Kernphysikers und ehemaligen IRGC-Offiziers Fachrisadeh. Ihre Anhänger verbrannten am Samstag vor dem iranischen Aussenministerium nicht nur amerikanische und israelische Flaggen, sondern auch Bilder von Trump und Biden. Ungefähr 50 Studenten verurteilten dort neben dem Anschlag auch Ruhanis Haltung zu Biden; einige forderten sogar den Rücktritt von Aussenminister Mohammed Dschawad Sarif, der wie Ruhani für Verhandlungen mit Biden eintritt.

Aber neben Rache haben die Hardliner auch längerfristige Ziele im Hinterkopf. Im Iran wird am 18. Juni ein neuer Präsident gewählt. Ruhani darf bei der Wahl nach zwei Amtszeiten nicht wieder antreten. Und wer sein Nachfolger wird, hängt auch von der künftigen US-Aussenpolitik ab. Mit der Verhängung drakonischer Sanktionen hatte Trump den ölreichen Iran in eine existenzielle Krise gestürzt. Viele Iraner machten aber nicht nur Trump, sondern auch Ruhanis Reformer für diese in der iranischen Geschichte einmalige Krise haftbar.

Trumps Politik des maximalen Drucks führte dazu, dass die Hardliner im Iran aus der politischen Versenkung der letzten sieben Jahre wieder auferstehen konnten. Die Wirtschaftskrise kam wie gerufen für ihre harte Kritik an Ruhanis Annäherung an den Westen und insbesondere an seinem Atomdeal mit den fünf UN-Vetomächten sowie Deutschland: Seht her, was die ganzen Kompromisse gebracht haben.

Auch die krisenbedingte Politikverdrossenheit und Demobilisierung im Reformlager spielte den Hardlinern in die Hände. Wegen der niedrigen Wahlbeteiligung gewannen sie die Parlamentswahl im Februar. Nun hoffen sie, auch das Präsidialamt zu erobern. Böse Zungen behaupten sogar, dass sie deswegen Trump bei der US-Wahl die Daumen gedrückt hätten. «Zwischen dem 20. Januar und dem 18. Juni wird es auf Bidens Politik ankommen, wie Irans politische Konstellation demnächst aussehen wird», prognostiziert ein Politologe in Teheran.

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Der Getötete war ein wissenschaftlich ausgebildeter Terrorist, sozusagen ein Osama bin Laden mit Professorentitel im Staatsdienst. Leute, die eine Atombombe bauen wollen, um Israel zu zerstören und auch andere Länder bedrohen, müssen jedoch mit ihrem vorzeitigen Ableben rechnen.

Die Machenschaften des Mossad sind ja hinlänglich bekannt. Und es ist ja nicht der erste Mordanschlag, welcher auf das Konto des israelischen Geheimdienstes geht. Natürlich mit der Rückendeckung der "israelischen Regierung". Jetzt ist es wichtiger denn je, das beide Seiten die Nerven behalten, und diese Krise nicht noch weiter eskaliert. Aber in den letzten Amtstagen des US-amerikanischen Präsidenten Trump, muss man auf alles gefasst sein, welcher ja ein enger Freund Israels ist.

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