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EU billigt neues Brexit-Abkommen - doch Rückhalt in London fraglich

Die Zitterpartie um den Brexit geht trotz eines neuen Abkommens zwischen London und Brüssel in die nächste Runde. Die 27 bleibenden EU-Staaten billigten den neuen Deal am Donnerstag beim EU-Gipfel. Doch kam sofort Widerstand aus dem britischen Unterhaus.

Agentur
sda
17.10.19 - 18:31 Uhr
Politik
Die deutsche Kanzlerin Merkel hat am Donnerstag in Brüssel die Einigung der EU mit Grossbritannien über den Brexit-Deal als "eine gute Nachricht" bezeichnet.
Die deutsche Kanzlerin Merkel hat am Donnerstag in Brüssel die Einigung der EU mit Grossbritannien über den Brexit-Deal als "eine gute Nachricht" bezeichnet.
KEYSTONE/AP EPA Pool/JULIEN WARNAND

Der Durchbruch war unmittelbar vor dem EU-Gipfel gelungen, zu dem die 28 EU-Staats- und Regierungschefs nach Brüssel kamen. Der britische Premierminister Boris Johnson wandte sich dort noch einmal an seine Kollegen und warb für den Deal.

Eine Reihe von Teilnehmern fragten den Premier nach Angaben eines Diplomaten nach der innenpolitischen Situation. Von Seiten der 27 bleibenden EU-Staaten gab es aber keine entscheidenden Vorbehalte. Sie versprachen, sich für ein pünktliches Inkrafttreten am 1. November einzusetzen.

«Wo ein Wille ist, ist auch ein Deal», schrieb EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker auf Twitter. «Es ist eine faire und ausgewogene Vereinbarung für die EU und Grossbritannien und es steht für unseren Einsatz, Lösungen zu finden.» Auch das EU-Parlament könnte sich rasch mit der Ratifizierung befassen.

DUP lehnt Deal ab

Ganz anders waren die Reaktionen in London. Nicht nur die Labour-Opposition attackierte die Vereinbarung, sondern auch Johnsons parlamentarischer Partner, die nordirische Protestantenpartei DUP. Sie werde im Unterhaus nicht zustimmen, kündigte die DUP an. Die vereinbarte Lösung sei dem wirtschaftlichen Wohl Nordirlands nicht zuträglich und untergrabe die Einheit des Vereinigten Königreichs.

Zum Schwur kommen könnte es bei einer Sondersitzung des Parlaments am Samstag. Johnson hat im Unterhaus ohnehin keine Mehrheit und kann nur auf Unterstützung aus der Opposition hoffen.

«Ich hoffe sehr, dass meine Abgeordneten-Kollegen in Westminster jetzt einig werden, um den Brexit zu vollziehen, um diesen hervorragenden Deal über die Ziellinie zu bringen und den Brexit ohne weitere Verzögerung zu liefern», sagte Johnson weiter.

Zu Halloween aus der EU raus

Der britische Premier will sein Land unbedingt zu Halloween, am 31. Oktober, aus der Staatengemeinschaft führen. Lange hatte er versichert, Grossbritannien werde auch ohne Deal aussteigen.

Ein britisches Gesetz verpflichtet ihn aber, bei der EU um Aufschub zu bitten, falls bis Samstag kein Abkommen vom Parlament gebilligt ist. In dem Fall dürften die EU-Staaten dies auch gewähren.

In Brüssel beharrte Johnson auf einem pünktlichen Austritt. Juncker sprang ihm bei und sagte: «Wir haben einen Deal. Und dieser Deal bedeutet, dass es keine Notwendigkeit für irgendeine Verlängerung gibt.» Auch EU-Unterhändler Michel Barnier hält die zwei Wochen bis zum Termin für ausreichend für die Ratifizierung.

Mehrere Streitpunkte

Streitpunkt war bis zuletzt die ursprünglich vereinbarte Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland, der sogenannte Backstop. Derzeit gibt es keine Kontrollen zwischen beiden Teilen der irischen Insel. Das wollen Dublin und Brüssel erhalten, um den zerbrechlichen Frieden in dem ehemaligen Bürgerkriegsgebiet nicht zu gefährden.

Nach Barniers Worten umfasst die Einigung nun vier Punkte: Nordirland hält sich weiter an bestimmte EU-Warenstandards, und Nordirland bleibt sowohl in einer speziellen Zollpartnerschaft mit der EU als auch in der Zollunion des Vereinigten Königreichs.

Ausserdem gibt es eine Vereinbarung über die Mehrwertsteuer, um Marktverzerrungen zu vermeiden. Zudem kann die nordirische Volksvertretung vier Jahre nach Inkrafttreten der Vereinbarung und dann nach bestimmten Zeiträumen immer wieder darüber abstimmen, ob sie weiter gelten soll.

Der vom Brexit besonders betroffene EU-Staat Irland trägt dies mit. «Wir haben eine einzigartige Lösung für Nordirland gefunden, die der einzigartigen Geschichte und Geografie Rechnung trägt», schrieb Regierungschef Leo Varadkar auf Twitter. Die deutsche Kanzlerin Merkel nannte die Unterstützung Varadkars ein «ganz wichtiges Zeichen» und die Einigung vom Donnerstag «eine gute Nachricht».

Corbyn hat Bedenken

Geändert wurde auch die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen der EU zu Grossbritannien, wie Barnier erläuterte. Darin gebe Grossbritannien «solide Garantien», dass EU-Standards etwa bei Umwelt- oder Sozialauflagen nicht unterboten werden. Das sei das bestmögliche Ergebnis gewesen, sagte Barnier.

Labour-Chef Jeremy Corbyn sieht trotzdem die Sicherheit von Lebensmitteln, den Umweltschutz und die Rechte von Arbeitnehmern nach dem EU-Austritt in Gefahr und spricht von einem «Ausverkauf». Der Vorsitzende der grössten Oppositionspartei erklärte: «Es scheint, dass der Premierminister einen noch schlechteren Deal verhandelt hat als Theresa May.» May ist die Vorgängerin von Johnson.

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