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Fast nur Zuspruch für Annullierung der Volksabstimmung

Mit Ausnahme der SVP begrüssen alle Bundesratsparteien die Wiederholung der Volksabstimmung über die Heiratsstrafe. Die SVP bekräftigt ihre Haltung, die Behörden hätten sich jeglicher Propaganda zu enthalten. Der Experte spricht von einem «historischen Urteil».

Agentur
sda
10.04.19 - 16:17 Uhr
Politik
Der Solothurner CVP-Ständerat Pirmin Bischof nach dem Urteil des Bundesgerichts zu den Medien: "Ich freue mich unwahrscheinlich und es ist für mich eine echte Überraschung."
Der Solothurner CVP-Ständerat Pirmin Bischof nach dem Urteil des Bundesgerichts zu den Medien: "Ich freue mich unwahrscheinlich und es ist für mich eine echte Überraschung."
KEYSTONE/JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Erleichtert über die Annullierung zeigte sich CVP-Präsident Gerhard Pfister. Es gehe nicht zuletzt um «die Wiederherstellung des Vertrauens in den Bundesrat», sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Denn das Bundesgericht habe entschieden, dass die Informationen im Abstimmungsbüchlein «krass falsch» waren. Parlament und Stimmvolk hätten also aufgrund falscher Zahlen entschieden.

«Ich freue mich unwahrscheinlich und es ist für mich eine echte Überraschung», erklärte der Solothurner CVP-Ständerat Primin Bischof nach dem Urteil gegenüber Keystone-SDA-Video. Er wisse, über welche Hürde das Gremium gesprungen sei, denn man hebe nur mit grossen Bedenken eine Volksabstimmung auf. Er freue sich vor allem aber auch für die 1,4 Millionen verheirateten Menschen, die der Bundesrat einfach vergessen habe.

Eine reine Wiederholung der Abstimmung ist für Pfister und Bischof deshalb keine Option. Vor einer erneuten Abstimmung brauche es eine neue Botschaft des Bundesrates und eine Diskussion im Parlament, erklärten beide unisono.

Neue Ausgangslage im Parlament

Die CVP erhielt formale Unterstützung von der SP, die den Bundesgerichtsentscheid «aus demokratischer Sicht» begrüsste. Es stelle sich nun die Frage, wie viel die 450'000 betroffenen Ehepaare mehr zahlten und wie gross die Einbussen für den Bund wären, sagte der Basler SP-Nationalrat Beat Jans gegenüber Keystone-SDA. Deshalb müsse sich das Parlament noch einmal mit der Vorlage befassen.

Wegen der Definition der Ehe im Initiativtext werde die SP die Vorlage aber sicher erneut ablehnen, weil sie ein rückständiges Gesellschaftsbild festige und zu Milliardenausfällen in der Bundeskasse führe.

Auch LOS und Pink Cross, die Dachverbände der homo- und bisexuellen Menschen in der Schweiz, verlangten in einer Stellungnahme, dass das Parlament die Initiative mit ihrer «rückständigen Ehe-Definition» nochmals debattieren kann. Das Ehe-für-alle-Verbot in der Verfassung sei damit noch nicht vom Tisch, hiess es in der Mitteilung.

Die SVP äusserte sich nicht zum Prozedere, sondern erneuerte in ihrer Reaktion auf das Urteil ihre Forderung nach totaler Propagandaabstinenz der Behörden. Der Bundesrat, die Angehörigen des obersten Kaders der Bundesverwaltung und die Bundesämter hätten sich der Propagandatätigkeit zu enthalten.

SVP: «Heikel» - FDP: «Hart»

Der Entscheid des Bundesgerichts sei auch «äusserst heikel». Diesmal habe das Bundesgericht ein Urteil aufgrund falscher Zahlen gefällt, heisst es in der Mitteilung der SVP. Sie befürchtet, dass Richter künftig auch «falsche» Argumente überprüfen und «so die direkte Demokratie aushebeln» könnten.

FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann sprach nach der Annullierung der Abstimmung über die Abschaffung der Heiratsstrafe von einem «harten Entscheid». Er befürchtet, dass dieser für «die eine oder andere Abstimmung» zu einer neuen Praxis führen könnte.

Auch Portmann will die neue Vorlage noch einmal vom Parlament behandeln lassen. Denn «auf Steuerseite» sei seit der Abstimmung viel passiert und auch die Gesellschaft habe sich seit damals verändert. Doch ob die Initianten ihre Initiative zurückziehen könnten, falls der Bundesrat und das Parlament einen Gegenvorschlag präsentierten, sei noch nicht klar.

Von einer «wichtigen und positiven Botschaft» an das Volk sprach nach dem Bundesgerichtsurteil der Lausanner Staatsrechtsprofessor Vincent Martenet. Vom Entscheid sei er grundsätzlich nicht überrascht, da die rechtlichen Grundlagen gut etabliert seien: die Schwere der verfassungsrechtlichen Verletzung und der Einfluss auf den Ausgang der Abstimmung.

Zuversichtlicher Staatsrechtler

Martenet zeigte sich gegenüber Keystone-SDA zuversichtlich, dass Bundesrat und Bundesverwaltung diese Botschaft verstanden hätten und in Zukunft sicherstellten, dass die in den Abstimmungsunteralgen enthaltenen Informationen richtig sind.

Der Bundesrat will laut seinem Sprecher André Simonazzi die schriftliche Urteilsbegründung abwarten, bevor er über das weitere Vorgehen entscheidet. Er sei bestrebt, im gesetzgeberischen Prozess verlässliche Entscheidgrundlagen zu unterbreiten, betont der Bundesrat.

Bundeskanzler Walter Thurnherr habe im vergangen Jahr eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema eingesetzt. Diese soll zusätzliche qualitätssichernde Massnahmen vorschlagen für die Vorbereitung von Entscheidgrundlagen zuhanden des Parlaments und der Stimmberechtigten.

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