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May stellt sich nach Brexit-Pleite im Parlament Misstrauensvotum

Das Chaos in London ist komplett: Nach der klaren Zurückweisung des Brexit-Abkommens im britischen Unterhaus muss sich Premierministerin Theresa May nun am Mittwochabend einem Misstrauensvotum stellen.

Agentur
sda
16.01.19 - 17:56 Uhr
Politik
Brexit-Gegner demonstrieren am Mittwoch vor dem britischen Unterhaus in London für den Verbleib Grossbritanniens in der EU. Unterdessen debattieren die Abgeordneten über einen Misstrauensantrag gegen Premierministerin Theresa May.
Brexit-Gegner demonstrieren am Mittwoch vor dem britischen Unterhaus in London für den Verbleib Grossbritanniens in der EU. Unterdessen debattieren die Abgeordneten über einen Misstrauensantrag gegen Premierministerin Theresa May.
KEYSTONE/EPA/NEIL HALL

Für May war es eine historische Niederlage: Das Unterhaus wies den von der Premierministerin mit der EU ausgehandelten Brexit-Vertrag am Dienstagabend deutlich mit 432 zu 202 Stimmen zurück. May trat dennoch nicht zurück.

Unmittelbar nach der Abstimmung beantragte Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn ein Misstrauensvotum gegen Mays Regierung. Am Mittwoch sagte dieser im Unterhaus, die «Zombie»-Regierung der konservativen Premierministerin habe «das Vertrauen und die Unterstützung» des Parlaments verloren. May solle daher ihr Amt niederlegen. Die Abstimmung soll gegen 20.00 Uhr (MEZ) stattfinden.

Allerdings hat May sehr gute Chancen, das Misstrauensvotum zu überstehen. Die mit den Konservativen verbündete nordirische Partei DUP kündigte an, für die Premierministerin votieren zu wollen. Auch parteiinterne Kritiker wollen für die Regierungschefin stimmen.

Verliert die Regierung jedoch die Abstimmung, muss innerhalb von zwei Wochen eine neue Regierung gebildet werden oder das Vertrauen erneut hergestellt werden. Beides muss durch eine Abstimmung nachgewiesen werden. Gelingt das nicht, gibt es eine Neuwahl.

Plan B am Montag

Übersteht May die Abstimmung, muss sie bis Montag einen Plan B zum Brexit vorlegen. Mehrere Szenarien sind möglich: Sie könnte versuchen, weitere Zugeständnisse von der EU zu erreichen und das Abkommen dann erneut zur Abstimmung stellen.

Denkbar ist auch die Forderung nach einer Verschiebung des Austrittsdatums - oder ein ungeordneter Brexit am 29. März. Der britische Ex-Aussenminister und Brexit-Hardliner Boris Johnson sagte, das Votum vom Dienstag gebe May ein «massives Mandat», ihren Deal mit der EU nachzuverhandeln.

Die EU ist jedoch nicht bereit, den ausverhandelten Vertrag nochmals zu öffnen. EU-Chefunterhändler Michel Barnier sagte am Mittwochmorgen in Strassburg, das Brexit-Abkommen sei der «bestmöglichen Kompromiss».

Und der Chefsprecher von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker machte deutlich, «zum jetzigen Zeitpunkt gibt es nichts, was die EU noch tun könnte.»

Einigkeit bei EU-Staaten

Laut der deutschen Kanzlerin Angela Merkel ist es jetzt an der britischen Seite «uns zu sagen, wie es weiter geht». Man wolle den durch den britischen Austritt aus der EU entstehenden Schaden «so klein wie möglich halten. Deshalb werden wir auf jeden Fall versuchen, eine geordnete Lösung weiter zu finden».

Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte, man könne möglicherweise «ein oder zwei Punkte» im Austrittsvertrag verbessern. «Ich glaube aber nicht wirklich daran, denn wir sind mit dem Abkommen bereits an die Grenzen gegangen.» Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sagte: «Es wird jedenfalls keine Nachverhandlungen geben.» Die Hand der EU bleibe aber ausgestreckt, um einen harten Brexit zu verhindern.

Aus diesem Grund hält der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte einen Aufschub für Grossbritannien für möglich. Wenn die Regierung in London die EU um mehr Zeit bitten sollte, dann werde das in Europa wohlwollend geprüft werden, sagte Rutte am Mittwoch in Den Haag dem niederländischen Fernsehen.

EU-Chefunterhändler Barnier liess zudem durchblicken, dass wenn Grossbritannien seine «roten Linien» überdenken sollte, die EU darauf eingehen werde. Heisst übersetzt: Bliebe Grossbritannien doch in der Zollunion oder gar im Binnenmarkt, würde man sich rasch einig.

Zweites Referendum gefordert

Unterdessen werden in Grossbritannien die Rufe nach einem zweiten Referendum lauter. 71 Abgeordnete der oppositionellen Labour-Partei unterzeichneten am Mittwoch einen Brief, in dem sie eine weitere Volksabstimmung forderten mit der Option, die Brexit-Entscheidung rückgängig zu machen. Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon sagte, ein zweites Referendum sei «die einzige glaubwürdige Option».

Den Brexit eingebrockt hatte der damalige Premierminister David Cameron. Er hatte das Referendum schon im Jahr 2013 für den Fall seiner Wiederwahl angekündigt und 2015 wurde unter seiner Ägide dann das entsprechende Gesetz verabschiedet.

Für einen Fehler hält Cameron das Brexit-Referendum trotz der aktuellen Regierungskrise nicht. «Ich bereue es nicht, das Referendum ausgerufen zu haben», sagte der konservative Politiker am Mittwoch der BBC. Den Ausgang des Referendums bedauerte der Ex-Premierminister hingegen.

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