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Für die «stille Schafferin» Amherd ist die Zeit hinter den Kulissen vorbei

Die neu gewählte Bundesrätin Viola Amherd sieht sich als Brückenbauerin und Mittepolitikerin. Die aktuelle Zuwanderung hält sie für verkraftbar. Nicht zuletzt ihr kürzlicher Spitalaufenthalt hat sie darin bestärkt.

Agentur
sda
05.12.18 - 09:29 Uhr
Politik
Sieht sich als Brückenbauerin zu Minderheiten und zu anderen Positionen: die frisch gewählte CVP-Bundesrätin Viola Amherd. (Archivbild)
Sieht sich als Brückenbauerin zu Minderheiten und zu anderen Positionen: die frisch gewählte CVP-Bundesrätin Viola Amherd. (Archivbild)
KEYSTONE/PETER KLAUNZER

Als Amherd ihre politische Karriere bei der Oberwalliser CVP im Jahr 1992 begann, hätte sie nie gedacht, dass sie eines Tages Bundesrätin werden würde. Am Anfang ihrer Laufbahn musste sie laut eigenen Aussagen eher dazu überredet werden, für ein Amt zu kandidieren. Auch in die nationale Politik stieg sie 2005 durch die Hintertüre ein. Als erster Ersatz auf der Liste der CVP konnte sie Jean-Michel Cina im Nationalrat beerben, als dieser in den Walliser Staatsrat gewählt wurde.

Als diskrete Politikerin bevorzugt Amherd - eigentlich - die Arbeit hinter den Kulissen. Damit dürfte mit der Wahl in die Landesregierung allerdings Schluss sein.

Fristenlösung und Homo-Ehe

Im Nationalrat galt Viola Amherd als stille Schafferin, die ihre Dossiers im Griff hat. Ein Blick auf Abstimmungsverhalten und politische Vorstösse im Parlament zeigt, dass sich Amherd für die Berggebiete und einen starken Service publique in den Randregionen engagierte. Ausserdem war sie stets eine vehemente Befürworterin des Ausbaus des Lötschbergtunnels, und sie überzeugte das Parlament davon, ein Verbot von Gefahrenguttransporten über den Simplon umzusetzen.

Am Herzen liegen der CVP-Frau auch Kinderrechte und Anliegen der Jugendlichen. So forderte sie kürzlich mit einer parlamentarischen Initiative, dass Cybergrooming mit Minderjährigen unter Strafe zu stellen sei. Amherd ist ledig und hat keine Kinder.

Der CVP-Politikerin wurde von konservativen Kreisen oft das Etikett «zu links und zu feministisch» angeheftet. Sie kämpfte in den 1990er-Jahren für die Fristenlösung und spricht sich heute für einen vierwöchigen Vaterschaftsurlaub und die Homo-Ehe aus.

Trotzdem beansprucht sie für sich einen Platz in der Mitte des politischen Spektrums. Sie spricht, liest und schreibt fliessend Französisch und sieht sich als Brückenbauerin zur Westschweiz, aber auch zu anderen Minderheiten und Positionen. Als Oberwalliserin vertritt sie eine deutschsprachige Minderheit in einem frankophonen Kanton.

«Nicht zu viele Ausländer»

Als grösste Herausforderungen der näheren Zukunft nennt die 56-Jährige die Digitalisierung, die Beziehungen zwischen der Schweiz und Europa, die Sicherung der Altersvorsorge, die Mobilität und die Kostenexplosion im Gesundheitswesen.

Die Zuwanderung hingegen hält sie nicht für ein zentrales Problem. So antwortetet sie etwa auf die Frage der Zeitungen von CH Media «Hat die Schweiz zu viele Ausländer?» mit «Nein». Es brauche die ausländischen Fachkräfte.

Die Negativschlagzeilen um eine Mietzinsaffäre und Notariatsgebühren, die Amherd in den letzten Tagen und Wochen vor ihrer Wahl begleitet haben, hat sie gekontert und offenbar weggesteckt. Zwischenzeitlich musste sie allerdings pausieren: Nierensteine zwangen sie zu einem Spitalaufenthalt. Im Spital habe sie gesehen, sagte sie zu den Tamedia-Medien, dass die Gesundheitsversorgung ohne ausländische Fachkräfte zusammenbrechen würde. Dasselbe gelte für den Tourismus.

Freundschaft mit Hauser-Süess

Ein Blick zurück: Die heute 56-jährige Viola Amherd wurde 1962 in eine katholische Familie hineingeboren. Bereits ihr Vater war CVP-Mitglied. Nach dem Besuch des Lateingymnasiums am Kollegium Spiritus Sanctus in Brig studierte sie an der Universität Freiburg Rechtswissenschaften und schloss mit dem Lizentiat als Anwältin und Notarin ab.

Seit 1991 ist die künftige Bundesrätin freiberuflich als Anwältin und Notarin mit eigenem Büro in Brig-Glis tätig. Die Oberwalliserin verbindet eine enge Freundschaft mit Brigitte Hauser-Süess, der früheren Präsidentin der CVP-Frauen. Die 64-jährige Hauser-Süess war Förderin von alt CVP-Bundesrätin Ruth Metzler und unter anderem Kommunikationschefin von alt BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf.

Die ebenfalls aus dem Oberwallis stammende Hauser-Süess soll ihre Freundin zum Einstieg in die Politik ermuntert haben. So wurde Amherd 1992 mit erst 30 Jahren in die Exekutive der Stadtgemeinde Brig-Glis gewählt, von 1996 bis 2000 war sie deren Vizepräsidentin und von 2000 bis 2012 Stadtpräsidentin. Kritiker warfen Amherd vor, sie habe sich eine Legislatur zu lange an dieses Amt geklammert und damit den Verlust dieser CVP-Bastion an die SVP provoziert.

1999 kandidierte Amherd für die Nachfolge von Peter Bodenmann (SP) in der Walliser Kantonsregierung. Sie landete hinter dem Sozialdemokraten Thomas Burgener auf dem zweiten Platz und verpasste es somit knapp, als erste Frau in die Walliser Kantonsregierung einzuziehen.

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