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Die vorbildliche Skulpturenallee

Für seine wöchentlichen Kolumne «So ein Ding!» geht Martin Mühlegg mit offenen Augen durchs Linthgebiet und präsentiert jeden Mittwoch eine auffällige Entdeckung.

Linth-Zeitung
03.10.18 - 10:21 Uhr
Leben & Freizeit
Die Wengistrasse ist mir ihren Briefkästen auch eine Skulpturenallee.
Die Wengistrasse ist mir ihren Briefkästen auch eine Skulpturenallee.
MARTIN MÜHLEGG

von Martin Mühlegg

Lampertschwand, Kühneberg, Berggarten, Jostenberg, Stollenberg: Entlang der Wengistrasse oberhalb Kaltbrunn-Steinbrugg gibt es viele schöne Flurnamen. Der Briefträger, der diese Tour macht, darf also ein bisschen Poesie geniessen, wenn er die Anschriften auf den Briefen und Paketen liest.

Die Tour in dieses Gebiet gibt aber – neben der aussergewöhnlichen Landschaft – noch mehr her. Unter den Briefträgern der Region dürfte es wegen der Arbeitspläne sogar zu Streit oder Eifersüchteleien kommen. Die Anwohner der Wengistrasse und ihrer Nebenstrassen sind nämlich sehr pflichtbewusst. Die meisten von ihnen verbringen hier die Wochenenden und Ferien. Sie wissen, was sich als Briefkastenbesitzer gehört. Sie haben genug Zeit, um die entsprechenden Reglemente zu lesen. So muten sie dem Briefträger zum Beispiel keine Umwege und Abstecher zu. Viele Briefkästen sind so platziert, dass der Briefträger nicht einmal aus dem Auto steigen muss.

Ich gebe zu, dass ich an manchen Stationen meines Umherziehens kein vorbildlicher Briefkastenbesitzer war. Vor allem an meinem letzten Wohnort im Südquartier mutete ich den Pöstlern viel zu. Unser WG-Briefkasten war gar kein richtiger Briefkasten, sondern ein Schlitz in einem verlotterten und zehn Meter von der Strasse entfernten Garagentor. Weil das Tor morsch war, löste sich alle paar Wochen die Klappe. Der Milchkasten befand sich auf der Rückseite des Hauses und war manchmal zugemüllt. Meinen Hund, der Ankömmlinge mit lautem Gebell und bedrohlichem Knurren begrüsst, fanden die Briefträger wohl so daneben wie unseren «Briefkasten».

Welch ein Kontrast zur Wengistrasse: Mit ihren vielen Briefkästen ist sie auch eine Skulpturenallee. So pflichtbewusst die Anwohner als Postempfänger sind, so individuell kultivieren sie die Kunst des Briefkastenkaufs und -platzierens. Manche von ihnen haben ihre Briefkästen sogar selber gebaut und mit allerlei Firlefanz versehen. Einsame Figürchen sind zu sehen, herzige Pärchen und Grüppchen, verwitterte Gesellen und patinierte Kisten.

Eine besonders beeindruckende Ansammlung von Briefkästen gibt es bei der Abzweigung zur Altwies (Bild). Dort sind die Briefkästen an der Aussenwand eines Schopfs wie die Klötzchen eines Tetris-Spiels angeordnet. «Die Post kann an der Zufahrt oder bei den Häusergruppen eine zentrale Stelle als Zustellort bestimmen», heisst es dazu im Briefkastenreglement der Post unter dem Kapitel «Ferien- und Wochenendhäuser».

Liebe Briefträger, ich werde euren Anliegen künftig so viel Aufmerksamkeit schenken wie die Anwohner der Wengistrasse. Ihr seid immer so freundlich, und ich will nicht, dass ihr am Pausentisch oder am Weihnachtsessen schlecht über mich sprecht. An meinem Briefkasten an der Hombrechtikerstrasse gibt es, glaube ich, nichts auszusetzen.

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