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Risikobericht des WEF Teil der Lösung?

Wer den Welt-Risikobericht des WEF http://www3.weforum.org/docs/WEF_Glo- bal_Risks_Report_2019.pdf
eingehend studieren möchte, muss gut Englisch können und er benötigt einen Tag um ihn einigermassen zu verstehen.
Sämtliche im Netz auffindbaren «Zusammenfassungen» scheinen aus einer einzigen Quelle zu kommen. Sie gleichen sich wie ein Ei dem andern. Versucht man in die Tiefe der Thematik zu gehen, verliert man sich im Knüppelholz der schieren Menge an Risiken, welche die Welt und das Klima, die Wirtschaft, die Arbeit und die Menschen ausgesetzt sind.
Der Bericht teilt die Risiken in 3 Schwerpunkte ein:
a) Wirtschaft
b) Umwelt
c) Geopolitik
Im Jahr 2019 werden die Themen um das Klima priorisiert. Die Menschen laufen Gefahr, von den globalen Klima-Veränderungen, Umwelt-Zerstörungen, Wassernot etc erdrückt zu werden. Bei der Vorstellung wurde das Verhalten des Menschen als Schlafwandel in die Katastrophe bezeichnet.
In der Geopolitik sieht der Bericht das Zerfallen von regionaler, nationaler und globaler Regierungsführung / fähigkeit (governance). Darunter kann man den Zerfall der Demokratien und das Anwachsen von autoritären Systemen verstehen. Dazu die Zunahme vom Unterschied von Arm und Reich, die ideologischen Polarisierungen der verschiedenen Gesellschaften, das Zunehmen nationalistischer Gefühle als Grund sozialer Instabilität.
Was im ganzen Bericht nicht steht ist eigentlich das Entscheidende:
Die globalisierte Wirtschaft, die Grosskerne mit ihren alle staatlichen Grenzen ignorierenden Multilateralität kommen explizit nicht vor.
Die Grundfrage, ob die Art der Globalisierung, so wie sie das WEF seit Jahrzehnten angeblich flankiert, im Grunde aber nur hofiert, die richtige Reaktion sei auf die technischen Veränderungen, auf die Bevölkerungsexplosion, auf die wirklichen Bedürfnisse des Menschen, diese Frage kommt und kam im WEF nie wirklich vor.
Die vielen Versuche, das WEF mit Gegenthesen oder Alternativen zu flankieren sind inzwischen beinahe alle eingeschlafen. Die NGO’s, (Public Eye, Atac Schweiz, das andere Davos,) die lange als «das andere Davos» ins WEF eingebunden wurden, empfanden ihre Teilnahme immer mehr als Reduktion einer Feigenblatt-Funktion und sistierten aufgrund von Vereinnahmung, Marginalisierung oder der empfunden Sinnlosigkeit ihres Unterfangens die weitere Teilnahme.
(Einen Überblick über die alternativen Foren - das andere Davos - findet man unter https://de.wikipedia.org/wiki/Weltwirtschaftsforum)
Das Weltsozialforum http://weltsozialforum.org/ in Puerto Alegre hingegen erlebt im Jahr 2018 ihr 14. Bestehen. Doch das WSF ist tief gespalten.
In seinen Gründungsurkunden stand die planetarische Gesellschaft im Mittelpunkt ihres Fokus:
„1. Das Weltsozialforum ist ein offener Treffpunkt für reflektierendes Denken, demokratische Debatte von Ideen, Formulierung von Anträgen, freien Austausch von Erfahrungen und das Verbinden für wirkungsvolle Tätigkeit, durch und von Gruppen und Bewegungen der Zivilgesellschaft, die sich dem Neoliberalismus und Herrschaft der Welt durch das Kapital und jeder möglichen Form des Imperialismus widersetzen, und sich im Aufbauen einer planetarischen Gesellschaft engagieren, die auf fruchtbare Verhältnisse innerhalb der Menschheit und zwischen dieser und der Erde engagieren.“[1]
Doch das ist lange her:
Heute sind die Fliehkräfte zwischen den sogenannten Linken, den ehemaligen Linken wie Lula da Silva, der im 2018 am WSF seinen wohl eindrücklichsten Auftritt für eine Wahl bekam, zu der er schliesslich gar nicht zugelassen wurde und den heutigern Linken, den engagierten, unterdrückten, sozialen Kräften - meist aus Lateinamerika, diese Fliehkräfte sind so gross, dass man mit Fug und Recht behaupten kann, das WES sei an einem Ende angekommen. Zerrieben in den Kämpfen der ehemaligen Linken und den heutigen Linken, die sich fragen, was ein Linker heute überhaupt noch ist ...
„Was ist das Projekt des Wandels, das wir im 21. Jahrhundert brauchen?“ fragt Tadzio Müller von der Rosa Luxenburg Stiftung, in einer Zusammenfassung des letzten WSF und endet mit der Feststellung: «Produktivismus vs. Antiproduktivismus, Zentralismus vs. Horizontalismus, Patriarchat vs. Feminismus. Nationalismus vs. Globalismus. Das sind für mich die Kernfragen, zu deren Beantwortung das WSF nicht mehr fähig ist.»
So sind wir an einem Punkt angekommen, wo die alternativen, die oft als links bezeichneten Ideen, Veranstaltungen und Projekte, die als Echo auf das WEF gegründet und durchgeführt wurden, diesen Echoraum nicht mehr zur Verfügung stellen wollen oder können. Die Parallele zum Mauerfall von 1989 drängt sich auf. Der neoliberale, totale Sieg des entfesselten globalisierten Kapitals findet augenscheinlich auch in den letzten Refugien der Reflexion statt. Selbst der Streit gegen den praktischen Neoliberalismus scheint sinnlos geworden zu sein, weil der Sieg des nun global herrschenden Leviatans ein totalitärer scheint. Das bedeutet aber, dass dieser Monolith der Ideenlosigkeit, dieser Koloss der Geldvermehrung, der sich im WEF eine globale Plattform aus geheimer und öffentlicher Selbstdarstellung geschaffen hat, nun selbst in der Pflicht wäre, sich zu reflektieren.
Die Organisatoren und Teilnehmer am WEF müssten die fundamentale Erkenntnis zulassen: Wir sind das Problem. Wir, die neoliberalen Geldvermehrer, wir, die wir alles dem Gewinn opfern, die wir das Wohl der Menschen hinter unsere Konzern-Strategie stellen, die Umwelt hinter unsere Gewinnmaximierung, wir, die multinationalen Konzerne und Staaten. Unsere Strategie des «höher weiter mehr» führt dazu, dass die Menschheit in den Abgrund läuft. Sei dies nun durch eine Klimakatastrophe, den wirtschaftlichen Blowout der Rohstoffe auf Grund der Totalausbeute der Ressourcen, durch einen Zusammenbruch des maroden Finanzsystems, durch die Schere zwischen Arm und Reich, die immer weiter aufgeht und durch die aufgrund des globalen Nihilismus ausgelöste Verzweiflung der Menschen, die im Bericht als increasing chronic deseasis aufgelistet ist und nach dem 700 Millionen Menschen auf der Erde als psychisch krank gelten.
In einem System, indem es weder Sinn stiftende Alternativen, noch ethische Dominanz, kein effektives Recht auf Dasein, nur das nackte Leben (G. Agamben) des Konsumenten gibt, dort wandert die Zivil-Gesellschaft in eine Art Lager, das ohne Perspektive und ohne geistig/seelische Inhalte ist. In einem Dasein ohne Metadiskurs, ohne Hoffnung auf Ganz- und Heilwerden ist der Ausweg in psychische Krankheiten die einzige «gesunde» Reaktion eines Organismus.

Für das schnellen Lesen sind am Ende des WEF Risikoberichts noch die Zukunftschocks aufgelistet. Tanto per cambiare: Von Atomkatastrophe bis Klimakollaps, der Bericht kann und wird erneut Angst und Hoffnungslosigkeit stiften. Er beinhaltet leider keinen Ansatz zur wirklichen Veränderung der desolaten Situation. Denn, ich wiederhole mich: diese Änderung kann nur durch eine Kehre des Systems stattfinden und diese Kehre müsste von Menschen eingeleitet und getragen werden, die heute selbst das System repräsentieren. Immerhin geht es um das Weiterleben der Menschheit auf diesem Planeten. Dazu scheinen aber weder die Organisatoren noch die Teilnehmer des Davoser Wirtschaftsforums bereit oder fähig.
Auf Grund dieser persönlichen Analyse, komme ich zum Schluss, dass die Zeit der sog linken oder rechten Alternativen vorbei ist. Die Ideologien streiten nicht mehr, denn entweder haben sie sich im Nirgendwo verirrt, oder sie sind gar nicht mehr als Ideologien erkennbar. Der einzige Echoraum, der noch möglich ist, liegt in der Frage nach einer neuen sowohl individuellen als auch gemeinschaftlichen Sinnstiftung. Es geht um die Frage nach der Metaebene für eine Zivilgesellschaft, die sich aus ihrem Schlaf wieder in eine Wachheit erhebt, die sie dazu befähigt, das Ruder noch einmal herum zu reissen.

Linard Bardill
22.01.19 - 17:39 Uhr
Leserbrief
Ort:
Scharans
Zum Artikel:
Schlafwandelnd in die Katastrophe»: WEF warnt ... 22.jan 19
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