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Anja Glover suchte das einfache Leben und ging durch die Decke

Auf ihrem Podcast «einfach LEBEN» spricht Anja Glover seit Lockdown-Beginn über Themen, die sie bewegen. Und die dahin zielen, wie man bescheidener, einfacher, erfüllter leben kann. Für grosses Aufsehen sorgte sie allerdings mit vier Folgen zum Thema Rassismus.

Agentur
sda
14.07.20 - 10:41 Uhr
Kultur
Freischaffende Journalistin, Yogalehrerin, Agenturinhaberin und seit dem Lockdown: Podcasterin. Anja Glover aus Lausanne ist mit vier Folgen zum Thema Rassismus regelrecht durchgestartet.
Freischaffende Journalistin, Yogalehrerin, Agenturinhaberin und seit dem Lockdown: Podcasterin. Anja Glover aus Lausanne ist mit vier Folgen zum Thema Rassismus regelrecht durchgestartet.
Keystone/JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Am 17. März 2020 feierte Anja Glover, Inhaberin der nachhaltigen Kommunikations- und Eventagentur Nunyola, ihren 27. Geburtstag. Gleichzeitig begann der Lockdown und ihre letzten Aufträge als Journalistin wurden zurückgezogen. Die Yogastunden, die sie leitet, waren auf einmal verboten und das von ihr ins Leben gerufene Schoggifestival abgesagt - um nur einige Beispiele zu nennen. Der 17. März war aber auch die Geburtsstunde ihrer Idee für einen Podcast namens «einfach LEBEN».

«Ich hatte das Bedürfnis, über meine momentane Situation zu reden», sagt die in Lausanne lebende Willisauerin im Gespräch mit Keystone-SDA. Sie habe in der ersten Folge unter dem Titel «Wer ich bin und warum ich diesen Podcast starte» von ihren Projekten erzählen aber auch ihr Leben überdenken und Wege finden wollen, einiges darin zu ändern. Zu vereinfachen eben.

Die Rückmeldungen waren gut. So produzierte sie in der Folge Sendungen zu Themen wie Zero Waste, Kaltbaden oder Tiny Houses, sie diskutierte mit dem Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer über dessen Buch «Trennt euch!» und das Thema an sich, mit ihrer Grossmutter über heute und früher.

Und dann starb am 25. Mai in Minneapolis der Afroamerikaner George Floyd durch Polizeigewalt, was eine neue globale Rassismus-Debatte und eine massive Protestwelle auslöste. Und auch über Anja Glover, die Aktivistin, brach ein Wirbelsturm herein.

Podcast als Schutzzone

Die studierte Soziologin und Kulturwissenschaftlerin beschäftigt sich schon sehr lange mit dem Thema Rassismus, schreibt und spricht regelmässig darüber. Als Tochter einer Schweizerin und eines Ghanaers ist sie unmittelbar davon betroffen und es ist ihr wichtig, ihre Erfahrungen darzulegen und die Menschen zu sensibilisieren. In einem Artikel im Magazin «Friday» etwa schrieb sie, wie es sich als «Afro-Europärin» in der Schweiz lebe, mit welchen Vorurteilen und anderen Problemen sie sich regelmässig konfrontiert sieht.

Anja Glover hatte unabhängig von den jüngsten Ereignissen ein paar Podcastfolgen zum Thema Rassismus geplant. Die Geschehnisse in den USA waren also lediglich ein spontaner Anstoss, die Sendungen aus Aktualitätsgründen vorzeitig zu produzieren. Als ihr die Podcasterinnen Kafi Freitag und Sara Satir dann auch noch ihr Format «Kafi am Freitag» zur Verfügung stellten, bekam das Unterfangen eine noch viel grössere Dimension.

Die vier Rassismus-Folgen, die Glover als Gastpodcasterin ausstrahlte, waren ein grosser Erfolg. Dafür sprachen hochschnellende Zuhörerzahlen, die Anja Glover bis zu diesem Gespräch noch nicht im Detail vorlagen. Das zeigten aber auch die wachsende Follower-Gruppe auf dem Instagram-Account von «Kafi am Freitag», den Glover zwischenzeitlich bewirtschaftete, sowie die persönlichen Rückmeldungen. «90 Prozent der Reaktionen waren sehr, sehr positiv», so Glover.

Sie ist sich auch anderes gewohnt. Reaktionen auf Zeitungsartikel, beispielsweise jene im Zusammenhang mit der von ihr abgelehnten SRF-Rassismus-Diskussion mit SVP-Nationalrat Roger Köppel, waren heftig. Und dabei ging es gerade da nicht einmal um das Thema Rassismus selbst, sondern ihrer Meinung nach «nur um Klicks» für eine «Geschichte, die nicht hätte existieren sollen».

Wogegen der Podcast eine Art Schutzzone bot. «Nach diesen Sendungen kam nichts dergleichen zurück», sagt sie. «Sehr wahrscheinlich, weil da Leute zuhören, die sich ernsthaft für das Thema interessieren.»

Grosse Reichweite

Der Gastauftritt bei einem renommierten Podcast hat Anja Glover also positive Rückmeldungen und eine grosse Reichweite beschert. Für «einfach LEBEN» (unter anderem auf Apple oder Spotify zu finden) habe sie nie Werbung gemacht, insofern habe es sie ganz besonders gefreut, mit einem ihr so wichtigen Thema so viele Menschen erreichen zu können. Die Links zu den Podcasts wurden in den Sozialen Medien geteilt, «ich hatte eine Aufmerksamkeit, wie ich sie mit meinen Texten nie hatte», sagt Anja Glover.

Und was ihr das Podcast-Format ebenfalls erlaubt hatte, war das uneingeschrränkte «Ich konnte endlich mal erklären, was zu dem Thema unbedingt erklärt werden muss.» Ohne zeitliche oder inhaltliche Vorgaben. In den klassischen Medien sei das anders: «Da wird man ständig irgendwo reingedrückt oder falsch zitiert - und entsprechend oft missverstanden.»

Fazit: Glover sieht den Podcast als ideales Gefäss für Aktivismus. Und obwohl diese Sendungen im Gegensatz zu Artikeln in grossen Zeitungen vermutlich nur die Leute verfolgen, die dem gleichen Lager angehören, hält sie daran fest. «Wenn ich im 'Blick' etwas veröffentliche, dann kann ich auch nicht davon ausgehen, dass ich die Menschen wirklich erreiche», sagt sie. Mit Podcasts dagegen lasse sich eine grosse Anhängerschaft kreieren - «ja, unter Umständen natürlich auch mit einer Botschaft, die nicht unbedingt positiv ist».

Einen weiteren Vorteil sieht Glover in der einfachen Umsetzung. «Um einen Podcast zu produzieren braucht man nicht unbedingt ein Studio - und man ist schnell auf allen Plattformen. Wenn dich die Leute also suchen, dann finden sie dich auch.» Ausserdem sieht sie es als wirkungsvoller, auf diese Weise über Themen wie Rassismus zu reden, anstatt darüber zu schreiben. «Es gibt viele Leute, die viel lieber jemandem zuhören, während sie am Kochen oder Waschen sind, als dass sie lesen.»

Trotz allem will sie mit «einfach LEBEN» nun erst einmal eine Pause einlegen. «Man muss schon aufpassen, schliesslich ist diese Arbeit sehr aufwändig - aber nicht bezahlt», sagt sie. Sie wolle sich damit nicht stressen. Gleichzeitig denkt Anja Glover aber bereits darüber nach, einige Folgen auf Französisch zu übersetzen. Gerade jene über Rassismus, die viele Leute in ihrem Westschweizer Umfeld interessiert hätten, wie sie sagt.

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