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Sibylle Berg bläst zum grotesken Abgesang auf die Paarbeziehung

Auf die dystopische Weltbetrachtung in ihrem soeben mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichneten Roman «GRM. Brainfuck» liess Sybille Berg am Samstag im Theater Basel eine bissige postfeministische Farce zum Untergang der Paarbeziehung folgen.

Agentur
sda
17.11.19 - 17:40 Uhr
Kultur
Abgesang auf die Paarbeziehung: Szenenbild von der Uraufführung von Sybille Bergs Liebesuntergangs-Farce "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2"
Abgesang auf die Paarbeziehung: Szenenbild von der Uraufführung von Sybille Bergs Liebesuntergangs-Farce "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2"
Theater Basel/Sandra Then

Das ist es also nun, was von uns Menschen übrig geblieben ist: puppenhafte Wesen mit gelber, grüner, blauer oder rosafarbener Haut. Avatare von dem, was Frau und Mann einst waren, als sie noch zu heterosexuellen Beziehungen fähig waren - sie im Hostessen-Look, er als Elvis-Abklatsch. Eingezwängt in Glasvitrinen mit Schlafzimmer-, Küchen-, Toiletten- oder Speisezimmer-Einrichtung, werden sie zur Schau gestellt.

«Ein wunderbarer Tag für einen Museumsbesuch», wird verkündet, «ein prächtiger Tag, um sich mit Wehmut an die frühere Welt zu erinnern.» Diese frühere Welt ist die Gegenwart der #MeToo-Ära, der Frauenstreik-Bewegung beziehungsweise der Realität, die diese Bewegungen zur Folge hatte. Und sie ist die Zeit vor 2500 Jahren, als Aristophanes mit Lysistrata eine Figur erfand, die zum Frauenstreik aufrief, um die Männer dazu zu nötigen, einen zwanzigjährigen Krieg zu beenden.

Auf diese erste Antikriegskomödie der Geschichte nimmt Sibylle Berg mit ihrer Auftragsarbeit für das Theater Basel Bezug. Als «Nachdichtung» des antiken Stoffs wird das Stück «In den Gärten oder Lysistrata Teil 2» angekündigt.

Doch ausser dem Namen Lysistrata für das Frauenbild, das von fünf Schauspielerinnen verkörpert wird, hat Berg vom Ursprungsstoff nicht viel übrig gelassen. Hier geht es nicht mehr darum, einen Krieg der Armeen zu beenden, sondern darum, dem ewigen und letztlich ermüdenden Kampf zwischen den Geschlechtern ein Ende zu setzen. Zwischen Lysistrata, die sich auftakelt, um den Testosteron-getriebenen Begierden des Mannes - hier als dreifach anwesender «Bernd» - zu genügen.

Das starke Geschlecht will schwach sein

Berg lässt diesen Kampf anders ausarten, als man es vielleicht erwarten würde. Nicht die Frau schreitet zur Verweigerung, sondern der Mann. Das ehemals starke Geschlecht will schwach und nicht mehr ständig auf Geschlechtsverkehr aus sein, ja will schliesslich gar keinen Sex mehr. Und die Frau merkt von all dem nichts. Der Mann stirbt aus, die Frau findet mit Sexspielzeugen endlich ihre Befriedigung und der Nachwuchs wird in Kühlschränken gezeugt.

Berg hat diese Neudeutung in einer überbordenden Kalauerkaskade auf Papier gebracht, die sich zuweilen bis an die Grenze zur Albernheit emporschwingt. So sind Sätze zu lesen wie: «Ich paare mich und weiss genau, das Resultat ist immer mau.» Alles in allem ist es aber ein ebenso hintersinnig komischer wie gnadenlos bissiger Blick auf das aneinander Vorbeileben der Geschlechter.

Regisseur Miloš Lolić packt die bissig-komische Kaskade in ein von einer Hyper-Künstlichkeit geprägtes Setting. Das Publikum wird von einem Dauerstakkato von Textfetzen bombardiert, die von den Schauspielerinnen und Schauspielern wie Pingpong-Bälle einander zugespielt werden, die von Chorpassagen zu Monologen und wieder zurückspringen.

Für etwas Entspannung zwischendurch sorgt einzig ein Musikerinnentrio mit Harfe, Violine und Saxophon, und ein männlicher Sopransänger, der aufkeimenden oder auch nur gespielten Orgasmen koloraturartigen Widerhall verleiht.

Bergs Textkaskade und die ausgesprochen temporeiche Umsetzung auf der Bühne führen die Zuschauerinnen und Zuschauer zuweilen an den Rand der Überforderung. Die Pointen folgen einander im Sekundentakt, so dass kaum Zeit zum erlösenden Lachen bleibt. Lolić und das bestechend präzise und lustvoll aufspielende Ensemble sorgen aber letztlich für ein höchst vergnügliches Erlebnis, das nach einer gewissen Erholungsphase nach dem Schlussapplaus womöglich sogar zum Nachdenken anzuregen vermag.

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