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Kampf für Toleranz: Olga Tokarczuk erhält Nobelpreis

Ihre Kunst besteht aus Worten, doch die Nachricht über den Literaturnobelpreis machte Olga Tokarczuk erstmal sprachlos. Als eine der bekanntesten polnischen Autorinnen ihrer Generation spart sie nicht mit klaren Worten.

Agentur
sda
10.10.19 - 16:53 Uhr
Kultur
Die polnische Autorin Olga Tokarczuk scheut sich nicht, auch die dunklen Seiten polnischer Geschichte zu erzählen. Jetzt wird sie die 57-Jährige mit dem Literaturnobelpreis 2018 geehrt. (Archivbild)
Die polnische Autorin Olga Tokarczuk scheut sich nicht, auch die dunklen Seiten polnischer Geschichte zu erzählen. Jetzt wird sie die 57-Jährige mit dem Literaturnobelpreis 2018 geehrt. (Archivbild)
Keystone/EPA/FACUNDO ARRIZABALAGA

Als der Anruf aus Stockholm kam, war Olga Tokarczuk gerade in Deutschland auf der Autobahn unterwegs und musste erst mal einen geeigneten Haltepunkt finden. «Literaturnobelpreis! Sprachlos vor Freude und Glück!» schrieb sie am Donnerstag auf ihrem Facebook-Profil.

Dabei sind Tokarczuk, einer der bekanntesten polnischen Autorinnen der Gegenwart, Auszeichnungen wirklich nicht fremd: Gleich zweimal erhielt sie den Nike-Preis, den bedeutendsten Literaturpreis Polens, im vergangenen Jahr wurde sie mit dem Booker-Preis ausgezeichnet. Auf der Werbereise für «Die Jakobsbücher», Tokarczuks gerade auf Deutsch erschienenem jüngstem Roman, erhielt sie nun die Nachricht über den Nobelpreis.

Fast sieben Jahre schrieb die polnische Schriftstellerin an diesem Opus Magnum, das in Polen 2014 erschien und den Nerv der Zeit traf. Der Historienroman sei angesichts der Migrationskrise hochaktuell, lobten Kritiker damals das Werk über die multikulturelle Geschichte des heute katholisch geprägten Polens.

Kritik an Fremdenfeindlichkeit

Die studierte Psychologin legt sowohl in ihren Büchern als auch bei öffentlichen Auftritten immer wieder den Finger in die Wunden ihres Landes und spart nicht mit Kritik - etwa an Fremdenfeindlichkeit, an der nach wie vor ablehnenden Haltung Polens bei der Aufnahme insbesondere muslimischer Flüchtlinge.

In rechtskonservativen Medien wird die in Sulechow bei Zielona Gora (Grünberg) geborene Schriftstellerin dafür teils heftig angegriffen. Sogar Todesdrohungen habe sie erhalten, erzählte sie einmal der Zeitung «Gazeta Wyborcza».

Ihre Kritik an antisemitischen Vorfällen, an aggressiver Berichterstattung über Regierungskritiker in den staatlichen Medien machte ihr nicht nur Freunde. Erst im vergangenen Monat hiess es in einem Artikel in dem rechtskonservativem Portal «niezalezna.pl», Tokarczuk verdiene keine Auszeichnungen. Damals wollten gerade örtliche Ratsvertreter der in Polen regierenden nationalkonservativen Partie PiS verhindern, dass sie einen Verdienstpreis in ihrer Region erhielt.

In ersten Reaktionen wertete etwa der polnische Kulturminister Piotr Glinski den Nobelpreis zugleich als Auszeichnung für die polnischer Kultur. Er verpflichte sich, wieder zur Lektüre einiger Bücher Tokarczuks zurück zu kehren, die er nicht beendet habe. EU-Ratspräsident Donald Tusk twitterte, er habe jedes Buch Tokarczuks «von Anfang bis zum Ende gelesen».

In den sozialen Medien in Polen wurde am Donnerstag nicht nur der Nobelpreis für Tokarczuk diskutiert, sondern auch die bisherige Haltung derjenigen, die nun loben und gratulieren. «Erst vor ein paar Tagen hat Minister Glinski damit geprahlt, nie eines von Olga Tokarczuks Büchern gelesen zu haben. Nun hat sie den Nobelpreis gewonnen», schrieb etwa die amerikanische Publizistin Anne Applebaum.

Geschichte neu aufschreiben

Geradezu genüsslich listete die regierungskritische «Gazeta Wyborcza» die Schmähbegriffe auf, mit denen Tokarczuk in der Vergangenheit in PiS-nahen Medien bedacht worden war - von «Verräterin» über «Sie spuckt auf Polen» bis zur «Anti-Polin».

Dabei ist Tokarczuk mit ihren Büchern vor allem an Ehrlichkeit gelegen. Sie wolle die Geschichte ihres Landes neu aufschreiben, ohne dabei «die schrecklichen Dinge», zu verstecken, sagte die 57-Jährige einmal. «Wir stellen die Geschichte Polens als die eines toleranten Landes dar, aber wir haben schreckliche Dinge getan», sagte sie und nannte Pogrome und die Diskriminierung ethnischer Minderheiten als Beispiele. Das Buch, an dem sie derzeit arbeitet, dürfte ebenfalls Diskussionen entfachen: Es geht auch um das nicht immer einfache Verhältnis zwischen Polen und Ukrainern.

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