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«Silences» - Stille Bilder im Musée Rath in Genf

Malerei sei «stumme Dichtung», hiess es schon in der Antike. Warum, das zeigt das Genfer Musée Rath vom 14. Juni bis 27. Oktober in der Ausstellung «Silences».

Agentur
sda
13.06.19 - 15:17 Uhr
Kultur
Das Gemälde "Japanischer Holzschnitt" (um 1930) von Aimé Barraud ist Teil der Ausstellung "Silences" im Musée Rath in Genf. Die Schau dauert vom 14. Juni bis 27. Oktober 2019.
Das Gemälde "Japanischer Holzschnitt" (um 1930) von Aimé Barraud ist Teil der Ausstellung "Silences" im Musée Rath in Genf. Die Schau dauert vom 14. Juni bis 27. Oktober 2019.
Musée des beaux-arts de La Chaux-de-Fonds / P. Bohrer

Museen sind stille Orte. Kunst verlangt scheinbar nach schweigender Betrachtung, die Institution nach Respekt, und die Höflichkeit verbietet es, anderen Besuchern die eigenen Eindrücke ungefragt mitzuteilen. Deshalb mögen manche Menschen Museen so sehr und andere überhaupt nicht. Es ist ähnlich wie bei Kirchen.

Vielleicht schweigt man in Museen aber auch, weil man im Verhältnis zu all dem auf den Bildern Dargestellten nichts anderes ist als ein Eindringling in eine Welt, die es auch gäbe, würde sie überhaupt niemand sehen.

Das Musée Rath treibt diesen Gedanken auf die Spitze, indem es eine Ausstellung mit lauter Bildern zeigt, die Stille zeigen, genauer: «Silences», Stille in der Mehrzahl, weil es nicht nur eine Stille gibt, sondern die des Sakralen, der Landschaft, des Alltäglichen, des Todes.

In solche Themenblöcke sind die 130 Werke aus fünf Jahrhunderten gruppiert, hauptsächlich Malerei, einiges aus Privatsammlungen, das noch kaum zu sehen war, erfreulich viele Schweizer: Félix Vallotton, Alexandre Calame, die Brüder Aimé und Charles Barraud, Charles-Auguste Humbert, Madeleine Woog, um nur einige zu nennen.

Zeitgenössisches neben Historischem

Die Wände schwarz, die Böden gedämpft, das Haus an der nicht ganz ruhigen Place Neuve gibt sich als Kapsel der Stille, als Erfahrungsraum, der in die Stille der Bilder hinein führen soll.

Als Übergang fungieren Werke wie der «Japanische Holzschnitt» von Aimé Barraud. Er zeigt einen Kampf zwischen Samurais, aber nicht direkt, sondern eben als Holzschnitt, der in einem Atelier koloriert wird, als Bild im Bild also. So erreicht Barraud, der im Stil der Neuen Sachlichkeit malte, einen schreienden Kontrast zwischen der lärmigen Szene auf der Grafik und der Stille im Studio, in der sie hergestellt wird.

Diese «nature morte» aus dem Atelier gehört zu der Gattung der Stillleben, die in der Ausstellung aus nahe liegenden Gründen gut vertreten ist. In der Mitte des 17. Jahrhundert begannen die Niederländer damit, ihre Bilder regloser Objekte oder toter Pflanzen und Tiere «still-leven» zu nennen, unbewegtes oder paradox: totes Leben. Und tatsächlich ist die Abwesenheit von Klang, physikalisch gesehen, nichts anderes als die Abwesenheit von Bewegung, von Schwingung.

Hier, in der Auseinandersetzung mit den Themen Tod und Melancholie hat die von der Kuratorin Lada Umstätter eingerichtete Ausstellung ihre stilsichersten, besten Momente, wo sie sich andernorts Unschärfen und Übersüsses leistet.

Problemlos gelingt die Integration zeitgenössischer Kunst: Fast unmerklich wie im Fall von Mat Collishow, der die Henkersmahlzeiten von zum Tode Verurteilter im Stile barocker Memento mori fotografiert, oder prominent wie in in den Grossformaten Simon Edmondsons, der das Interieur eines Palastes von Velázquez in ein Lazarett verwandelt.

Ruhelose Psyche

Innenräume sind auch für Félix Vallotton, den Meister der Schilderung des Ungesagten, von entscheidender Bedeutung. In seiner Grafik-Serie «Intimitäten», die in Genf komplett zu sehen ist, fängt er angeblich Momente des Liebeslebens der Pariser Künstlerfreundin und Künstlerförderin Misia Sert ein und verlieht den verschwiegenen Seiten der bürgerlichen Gesellschaft Ausdruck.

Die «Poesie der Stille» eines ebenso bürgerlichen, aber weit weniger mondänen Lebens fängt der dänische Maler Vilhelm Hammershøi mit seinen Innenansichten ein, ein Höhepunkt der Genfer Ausstellung. Bisweilen tritt seine Frau Ida in ihnen auf und spätestens dann ist klar, dass Hammershøi psychische Interieurs meint, deren augenscheinliche Stille nicht unbedingt Ruhe bedeuten muss.

Leonardo da Vinci soll davon gesprochen haben, dass die Malerei «stumme Dichtung» sei und die Dichtung «blinde Malerei», weil jede die Natur nachahme «wie es ihren Fähigkeiten entspricht».

Leonardo griff damit eine antike Beschreibung auf, Plutarch hat sie dem Dichter Simonides von Keos in den Mund gelegt. Hinter dem Vergleich stand die Frage, welche Kunst sich wozu am besten eigne.

Wie eine Versöhnung zwischen den Künsten sieht es aus, wenn Maurice Quentin de La Tour oder der namentlich nicht bekannte «Meister der Halbfiguren» Porträts Lesender oder Schreibender zeigen, Tätigkeiten, die das menschliche Stillsein als Handlung ausdrücken. Genau an diese Praxis knüpft das Musée Rath mit «Silences» an.

Verfasser: Martin Bieri, ch-intercultur

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