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Mit ihrer Arbeit will sie die Kultur der Walser bewahren

Marietta Kobald ist eine Spezialistin für Walser Mundartliteratur und archiviert gedruckte Texte aus den Regionen Prättigau und Davos. Doch Kobald verfasst auch eigene Mundarttexte.

Südostschweiz
27.08.18 - 04:30 Uhr
Kultur
In ihrem Heimatdorf Fideris arbeitet Marietta Kobald derzeit an ihrem Buch «Waldarbeit im Furner Tobel».
In ihrem Heimatdorf Fideris arbeitet Marietta Kobald derzeit an ihrem Buch «Waldarbeit im Furner Tobel».
GIAN EHRENZELLER/KEYSTONE

Von Christa Stalder

«Fideris-Straalig ischt albig miis Tähei gsi.» Straalig nennen die Einheimischen den Weiler Strahl-egg, der etwas ausserhalb von Fideris liegt. Dort ist Marietta Kobald aufgewachsen, dort wohnt sie noch heute. Hinter der grossen Fensterfront spriessen die Wildstrauchhecken, Johannisbeersträucher und Zwetschgenbäume. Auf den nahen Wiesen suchen die Kühe den Schatten, die Hauskatze blinzelt zufrieden und rekelt sich fett und faul auf den warmen Steinplatten.

Kobald kommt gerade von ei-nem Arbeitstreffen zu ihrer ak- tuellen Publikation «Waldarbeit im Furner Tobel», die Ende dieses Jahres erscheint. Begeistert breitet sie die historischen Schwarz-Weiss-Fotografien auf dem massiven Holztisch aus. Bilder aus vergangenen Zeiten, als die Waldarbeiter mit ihren Pferden ihr schweres Werk im Schnee verrichteten. «Waldarbeit im Furner Tobel», in Walser Mundart verfasst, schildert das Leben im Tal Anfang des 20. Jahrhunderts. «Auch dieses Projekt ist mir zugefallen, wie so vieles», meint Kobald vielsagend.

Lieber Literatur als Gesetze

«Nachdem ich mich als Hochbauzeichnerin – auch beim Architekten Peter Zumthor – als Baufachchefin und Brandschutzsachverständige vorwiegend mit Gesetzen herumgeschlagen hatte, reichte es mir», erinnert sich Kobald. «Ich fasste den Entschluss, Verlegerin zu werden, und wollte vergessene Mundartliteratur aufstöbern und herausgeben.» Diesen Traum habe sie jedoch «gschwindhaft» begraben müssen, denn dazu wäre einiges an Geld nötig gewesen.

Kobald wurde nicht Verlegerin, sondern Journalistin. Erste Erfahrungen sammelte sie als Redaktorin bei der Regionalzeitung «Prättigauer & Herrschäftler» in Schiers, bald machte sie sich selbstständig und arbeitete auf Mandatsbasis als Kulturbeauftragte des Verbandes Pro Prättigau. In diese Zeit fiel die Neuauflage des «Prättigauer Wör-terbuches». Kobald übernahm die Redaktion des Geschichtenteils.

Reise durch die Archive

Eine beiläufige Bemerkung eines Redaktors des «Schweizerischen Idiotikons» während der Arbeit für das «Prättigauer Wörterbuch» war ein Schlüsselerlebnis für Kobald. Während eines Gesprächs meinte er: «Mach doch eine Anthologie über die Walser Mundart.» Sie holt tief Luft und schmunzelt: «Ich bin blauäugig an das Projekt herangegangen und habe in den vermeintlich sauren Apfel gebissen.»

Kobalds ehrgeiziges Projekt stiess bei den Verantwortlichen der Walservereinigung Graubünden auf offene Ohren. Der Weg für die abenteuerliche und faszinierende Reise durch die Archive war geebnet. Sie stöberte in alten Zeitungen und forschte nach vergessenen lokalen Publikationen. «Ich suchte mit Aufrufen in Zeitungen und in den Sozialen Medien nach den Namen der längst verstorbenen Verfasser. Einige hatten Pseudonyme benutzt, unter denen sie die kleinen Gaunereien und Eseleien im Tal beschrieben.» Während der Nachforschungen wuchs Kobalds Archiv der ihr schon 70 bekannten Autoren auf knapp 130 an.

2500 Texte spürte Kobald so auf, darunter viele Anekdoten, Gedichte und Kurzgeschichten. Sie las fast jeden Text und traf mit Fachleuten und einer gemischten Jury die Auswahl für das Werk. «Es war eine grosse Freude, die schönsten Blüten aus unserem Walserdialekt zu pflücken», sagt Kobald. «Die Anthologie ‘Läsiblüescht’ soll die kulturelle Bedeutung der Mundart besonders bei jungen Menschen wecken und lebendig erhalten.»

Fotografie – die zweite Passion

Kobalds kulturelles Engagement beschränkt sich aber nicht auf den Dialekt allein. Ihre zweite grosse Leidenschaft ist die Fotografie. Das Bündner Kunstmuseum in Chur zeigte diesen Sommer die Ausstellung «Museum in Bewegung» und vermittelte damit einen Einblick in das Schaffen des Prättigauer Künstlers Peter Trachsel. Der Kurator wählte für das Ausstellungsplakat ein Foto von Kobald aus. Es zeigt den Performance- und Installationskünstler Boris Nieslony, der mit einem auf den Rücken geschnallten Tisch durchs Prättigau wandert.

Kobald ist ausserdem Mitglied der Künstlervereinigungen Kabinett der Visionäre mit Aktionsschwerpunkt in Chur und der Prättigauer Kunstschaffenden (Präkuscha). Beide Künstlergruppen vereinen unterschiedliche Stilrichtungen und organisieren regelmässig Ausstellungen.

Rückzug aufs Maiensäss

Manchmal ist Kobald selbst ihr Heim in Strahlegg nicht abgelegen genug. Dann zieht es sie in die Höhe in ihre «Barge», ihr Maiensäss in den Fideriser Heubergen. Umgeben von einer kargen Landschaft baute ihr Vater vor fast 50 Jahren die früher als Heulager genutzte Holzhütte zu einem einfachen Feriendomizil um. «Da oben gibt es kein Telefon und kein Internet. Nur meine Kamera. Hier ist mein Refugium, mein Kraftort», erzählt Kobald. Wenn der Himmel in tiefes Dunkel getaucht sei und der Mond leuchte, warte sie auf dem nahen Hügel auf das perfekte Bild. «Oder ich lasse im stillen Kämmerlein meinen Ideen und Gedanken freien Lauf. Dann schreibe ich ein Mundartgedicht.»

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