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Tatort Glarnerland: Die mysteriöse Kofferleiche von Mollis

Die True-Crime-Serie der «Glarner Nachrichten» berichtet heute von dem Fund einer zerstückelten Leiche in Mollis, deren Identität bis heute nicht geklärt werden konnte.

Südostschweiz
20.04.24 - 04:30 Uhr
Glarus
Hier wurden die Leichenteile gefunden: Die Koffer steckten in dem Baum an der Kerenzerbergstrasse in Mollis. 
Hier wurden die Leichenteile gefunden: Die Koffer steckten in dem Baum an der Kerenzerbergstrasse in Mollis. 
Bild Sasi Subramaniam

von Julia Benz

Es ist ein Sommerabend im Jahr 1997, als das Telefon bei der Kantonspolizei Glarus klingelt. Der ehemalige Kriminalpolizist Willy Elmer kann sich noch gut an den Tag zurückerinnern. Die Luft ist stickig und heiss und die Freude über den Nationalfeiertag am nächsten Tag ist gross. Er und sein Kollege, Kriminalpolizist Rudolf Gubser, sind in Feiertagslaune und wähnen sich bereits mit einem kühlen Bier in der Hand im heimischen Garten vor dem Grill. Doch dann nimmt Elmer den Hörer ab und das ersehnte Feierabendbier rückt mit jedem Wort weiter in die Ferne. 

Drei Koffer und eine Leiche

Ein Glarner Polizist hat gerade Dienst, als eine Anwohnerin einen seltsamen Geruch in der Nähe ihres Hauses an der Kerenzerbergstrasse in Mollis meldet. Und tatsächlich. Als der Polizist der Sache nachgeht, entdeckt er zwischen Bäumen eingeklemmt drei Koffer, die einen fauligen Geruch verströmen. Als er die Koffer bergen will, fällt ihm einer davon aus Versehen herunter. Durch den Aufprall öffnet sich der Koffer und ein Müllsack wird sichtbar, der auf einer Seite aufgerissen ist. Als er genauer hinschaut, bemerkt er entsetzt, dass es sich bei dem Inhalt um Leichenteile handelt. Der Polizist holt die beiden anderen Koffer vom Baum und fährt sofort zu seinem Posten nach Näfels zurück, die Beweisstücke im Kofferraum. Er alarmiert Willy Elmer und Rudolf Gubser von der Kantonspolizei in Glarus. Was sich den beiden Kriminalpolizisten präsentiert, als sie den Koffer näher inspizieren, ist das nackte Gesäss eines Menschen. 

Ein Leichenwagen wird gerufen, um die Körperteile in den Koffern in die Gerichtsmedizin nach Zürich zu transportieren. Noch ahnt niemand, welche Folgen der Transport haben wird. Bis am nächsten Morgen die Telefone bei der Kantonspolizei Glarus heiss laufen. Schnell wird klar: Der Chauffeur des Leichenwagens hat dem «Blick» heimlich Informationen zugesteckt. Für Willy Elmer beginnt am 1. August statt eines entspannten Feiertages im Kreise der Familie der absolute Horror. Während Rolf Gubser, damals Kriminaltechniker, sich den Fundort der Koffer in Mollis nochmals genau anschaut, versucht Elmer, den Medienrummel zu bewältigen, der nach der Enthüllung des «Blick» nun über ihn hereinbricht. Der Druck, schnell Ergebnisse zu liefern, steigt. Die Beamten gehen zunächst die Vermisstenmeldungen in der Schweiz durch, bald schon wird auch Interpol hinzugezogen.

Würgemale und verpackte Innereien

In der Gerichtsmedizin in Zürich werden die Leichenteile nach dem Wochenende zusammengesetzt und untersucht. Es ergibt sich das Bild eines Menschen, der aus dem asiatisch-tibetischen Raum stammte, männlich und zum Zeitpunkt seines Todes etwa 40 Jahre alt sowie starker Raucher war. Besonders unheimlich erscheint Willy Elmer dabei die Tatsache, dass kein einziges Teil vom Körper des Toten fehlt, selbst die Innereien wurden sorgfältig in ein kleines Säckchen eingepackt.

Der Hals des Toten weist zudem Würgemale auf, die allerdings laut Obduktion nicht zum Tod geführt haben. Auch einen kräftigen Schlag auf den Brustkorb können die Gerichtsmediziner anhand der Spuren nachweisen. Ausser den Leichenteilen findet man im Koffer ein Schloss, verziert mit einem Ginkgoblatt, ein Badetuch der Firma Weseta in Engi, eine Kette mit Anhängern und ein besticktes blütenweisses Hemd. Kriminalkommissar Elmer steht vor einem grossen Rätsel. Denn trotz der gefundenen Gegenstände, einer DNA-Analyse und Fingerabdrücken, lässt sich die Identität des Mannes nicht herausfinden. 

Ein Urlaub bringt mögliche Erkenntnis

Etwa ein Jahr, nachdem die Leiche in Mollis gefunden wurde, fliegt Willy Elmer gemeinsam mit seiner Frau nach Thailand in die Ferien. Sie unternehmen viele Ausflüge, einer davon führt sie in eine traditionelle Kampfschule. Dort erzählt man den beiden bei einer Führung, dass im Kampf mit den Stöcken niemals auf die Körpermitte gezielt werde, denn dort befinde sich die Seele eines Menschen. Bei Elmer gehen alle Alarmglocken an. Er erinnert sich, dass die Leiche nicht nur fachmännisch und sauber zerteilt wurde, sondern auch im Bauchbereich sauber mit einem professionellen chirurgischen Schnitt um den Bauchnabel herumgeschnitten wurde, um die Bauchhöhle zu öffnen und die Organe zu entnehmen. Elmer vermutet ein religiöses Ritual hinter der Zerstückelung der Leiche. 

Zurück in der Schweiz hört sich Elmer genauer bei der tibetischen Gemeinschaft um. Er will der Spur einer möglicherweise rituellen religiösen Bestattung nachgehen. Ganz wohl ist ihm in den Räumen der Gemeinschaft dabei nicht. Die Räume sind farbig gestaltet und auf einem Altar brennen unzählige Kerzen. Er glaubt, zu spüren, dass die Leute mehr wissen, als sie vorgeben. Ohne aufschlussreiche Informationen, aber mit einem eigenartigen Bauchgefühl verlässt Elmer die Gemeinschaft schliesslich wieder. Später erfährt er durch Zufall von einem tibetischen Ritual, bei dem die Leiche traditionell von einem Priester zerteilt und anschliessend verpackt wird. 

Irritiert hat Elmer bei seinen Ermittlungen auch die spezielle Lage des Fundortes. Im Unterschied zu anderen Tötungsdelikten, bei dem Täter die Leiche schnell verschwinden lassen wollen, wurden in diesem Fall die Koffer mit den Leichenteilen sorgfältig im dreigabeligen Baum drapiert. Elmer sieht darin einen gewissen Respekt gegenüber dem Toten, was bei einem grausamen Tötungsdelikt oder einem Mord eher unüblich ist. 

Diese Gegenstände wurden unter anderem in den Koffern vorgefunden: Ein besticktes Hemd mit Emblem und eine Kette mit Anhängern.
Diese Gegenstände wurden unter anderem in den Koffern vorgefunden: Ein besticktes Hemd mit Emblem und eine Kette mit Anhängern.
Bild Kantonspolizei Glarus
Dieser Gegenstand wurde in den Koffern ebenfalls vorgefunden: Ein Handtuch der Firma Weseta aus Engi. 
Dieser Gegenstand wurde in den Koffern ebenfalls vorgefunden: Ein Handtuch der Firma Weseta aus Engi. 
Bild Fahndungsfoto Kantonspolizei Glarus
In diesen Koffern wurden die Leichenteile gefunden: Sie lagern noch immer im Archiv der Kantonspolizei Glarus. 
In diesen Koffern wurden die Leichenteile gefunden: Sie lagern noch immer im Archiv der Kantonspolizei Glarus. 
Bild Kantonspolizei Glarus 

Zu Besuch bei «Aktenzeichen XY»

Die letzte Hoffnung, die Willy Elmer hegt, ist ein Besuch bei der Fernsehsendung «Aktenzeichen XY» im Dezember 1997 in Zürich. Denn in diesem Format werden bislang ungeklärte Kriminalfälle thematisiert. Fällt einem Zuschauer ein wichtiger Hinweis ein, kann er unter einer eingeblendeten Nummer direkt im Studio anrufen und die Ermittler kontaktieren. Die erste Sendung von «Aktenzeichen XY» wird 1967 im ZDF ausgestrahlt, zwei Jahre später beteiligt sich auch das Schweizer Fernsehen. Eine Chance, die Elmer nutzen will. 

Nachdem die Beweisaufnahme und die Spurensuche abgeschlossen sind, reinigt Elmer die Koffer für den Fernsehauftritt. Doch auch das Kärchern, draussen Abspritzen und im Freien Trocknen helfen nicht gegen den Gestank, den die Koffer von sich geben. Am Abend der Sendung lädt Elmer die Koffer in seinen VW-Bus. Leider bleibt die Teilnahme bei «Aktenzeichen XY» erfolglos, es ergeben sich keine weiteren Erkenntnisse. 

Der Kriminalpolizist vermutet heute, dass der Mann im asiatischen Raum wohnte und im Glarnerland nur zu Besuch war. Eine Möglichkeit, die erklären könnte, warum die Identität des Mannes nie geklärt wurde. Er schläft heute gut, losgelassen hat ihn der Fall aber nie.

Verbrechen faszinieren. Der Grund dafür sind Endorphine, die bei Nervenkitzel und Spannung freigesetzt werden. Es erklärt, warum so viele Menschen sich von True Crime mitreissen lassen, obwohl es sich eigentlich um furchtbare Geschehnisse handelt. Was den «Glarner Nachrichten» fehlte, war eine True-Crime-Serie, bei der die Kriminalfälle aus dem Glarnerland aufgegriffen und als Geschichte neu erzählt werden. Für diesen Fall gab der ehemalige Kriminalpolizist Willy Elmer den «Glarner Nachrichten» Auskunft. Bis heute konnte der Fall nicht aufgeklärt werden, was ihn gerade so faszinierend macht. Elmer zeigte vor allem auf, wie schwierig die Ermittlungen waren und wie auch die Teilnahme an der Serie «Aktenzeichen XY» zu keinem neuen Ergebnis führte. Das Gespräch mit dem ehemaligen Kriminalpolizisten war dabei gerade wegen seiner lebhaften Erzählungen das spannendste, dass im Zuge der Recherchen von den «Glarner Nachrichten» geführt wurde. Die «Glarner Nachrichten» stellen im Wochenrhythmus vier wahre Kriminalfälle aus dem Kanton Glarus vor. Auf der Onlineplattform «suedostschweiz.ch» gibt es zudem ein Video, in welchem der ehemalige Kriminalpolizist Willy Elmer persönlich von diesem Fall erzählt. Das Thema des Falles dieser Woche lautet: «Die mysteriöse Kofferleiche von Mollis».In der kommenden Woche geht es mit dem Fall eines Auftragsmordes in Bilten weiter.

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