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Kripo-Chef Rolf Gubser zum «Amigos»-Fall: «Die Wände, der Boden, alles war voller Blut»

Im August 2009 wird ein junger Glarner in der «Amigos»-Bar brutal niedergestochen. Kripo-Chef Rolf Gubser erzählt davon, was er vor Ort für ein Blutbad angetroffen hat – und wie es danach weiterging.

31.03.24 - 04:30 Uhr
Glarus
Hier geschah die Bluttat: Das «Amigos del Sound» in Glarus wurde daraufhin geschlossen.
Hier geschah die Bluttat: Das «Amigos del Sound» in Glarus wurde daraufhin geschlossen.
Originalkopie aus den Untersuchungsakten

Es ist ein Freitagmorgen, als Matthias* seine Wohnung verlässt. Noch am selben Abend, dem 14. August 2009, wird der 25-Jährige in einer Bar niedergestochen. Zuvor besucht er mit einem Freund die Chilbi in Glarus. Auch seine Freundin Anna* ist vor Ort sowie deren Ex-Freundin Nadine* mit zwei ihrer Kollegen, darunter Raphael*. Nach der Chilbi besuchen Anna und Matthias das «Amigos del Sound» in Glarus. Nadine ist eifersüchtig, als sie erfährt, dass die beiden den Abend gemeinsam in der Bar ausklingen lassen. Zusammen mit Raphael sucht Nadine die Bar auf, fliegt kurzerhand aber wieder raus, weil sie Matthias gegenüber handgreiflich wird. Auch Raphael muss die Bar verlassen. 

Anna folgt den beiden nach draussen. Vor der Bar gibt sie Nadine wütend eine Ohrfeige und kehrt dann wieder zurück zu Matthias in die Bar. Nadine rast vor Eifersucht. Voller Hass sagt sie zu Raphael: «Ich würde Matthias am liebsten aufschlitzen.» Dieser reicht ihr daraufhin sein Messer, das er in der Hosentasche bei sich führt, mit den Worten: «Da, mach!»

Eine grausame Tat

Mit dem Klappmesser von Raphael bewaffnet, betritt Nadine um kurz nach halb zwölf erneut die Bar, aus der sie einige Minuten zuvor herausgeflogen war. Raphael folgt ihr. Ohne zu zögern geht sie auf Matthias zu und sticht ihm – so steht es später im Polizeibericht – «schnell, gezielt und wuchtig» mit der achteinhalb Zentimeter langen Klinge in den Hals. Matthias greift sich hilflos an den Hals und strauchelt. Dann fällt er zu Boden. Dunkelrot läuft das Blut in einem grossen Schwall aus der Wunde und sammelt sich um seinen Körper herum. 

Panik bricht aus, Barbesucher schreien. Fassungslos angesichts dessen, was sich gerade vor ihren Augen ereignet hat. Manche Gäste flüchten in die Ecken der Bar, verkriechen sich hinter Stühlen und Tischen aus Angst vor einem weiteren Angriff oder einem Amoklauf. Nadine lässt das Messer fallen und will flüchten, doch der Barkeeper und zwei weitere Leute reagieren schnell und halten sie am Durchgang der Treppe fest. Der Barkeeper wählt mit seinem Mobiltelefon den Notruf in der Hoffnung, dass für Matthias noch rechtzeitig Hilfe kommt.

Währenddessen versucht auch Raphael verzweifelt, die Blutung an Matthias Hals mit einem Schal zu stillen. Doch als er merkt, dass er nicht viel ausrichten kann, nimmt er heimlich die blutige Tatwaffe an sich und schafft es, sie unbemerkt in seiner Hosentasche verschwinden zu lassen.

Die Klinge besitzt eine Länge von 8,5 Zentimetern: Mit diesem Messer wurde das Opfer erstochen.
Die Klinge besitzt eine Länge von 8,5 Zentimetern: Mit diesem Messer wurde das Opfer erstochen.
Originalkopie aus den Untersuchungsakten

Chaos und Panik

Zwanzig Minuten vor Mitternacht geht die erste Meldung in der Kommandozentrale der Kantonspolizei Glarus ein. «Eine Messerstecherei», wird aufgelöst am anderen Ende in den Hörer gerufen. Kurz darauf rückt Rolf Gubser mit seinem Team aus. Der Kriminalpolizist ist einer der Ersten, die am Tatort sind.

Als die Beamten vor Ort eintreffen, bietet sich ihnen ein chaotisches und erschreckendes Bild. Personen laufen schreiend und blutverschmiert umher, andere kauern verängstigt am Boden. Im Untergeschoss bei der Garderobe wird Nadine am Boden festgehalten. Im Zugangsbereich zur Toilette steht Raphael, sein Sweatshirt ist blutdurchtränkt. Als die Beamten ihn verhaften wollen, tritt er mit seinen Füssen nach ihnen und droht: «Ich kenne eure Visagen, ich mache euch platt.» Raphael wehrt sich so massiv gegen seine Verhaftung, dass ihm Handschellen angelegt werden müssen.

Noch heute erinnert sich der Kriminalpolizist gut an die Situation vor fast 15 Jahren in der Kellerbar. «Die Wände, der Boden, alles war voller Blut», erzählt Rolf Gubser. Das Ausmass der Tat sei unheimlich gewesen. Auch die schnell herbeigeeilten Notfallsanitäter können dem am Boden liegenden Opfer nicht mehr helfen. Matthias verstirbt noch am Tatort. Die Gerichtsmediziner stellen bei der nachfolgenden Autopsie fest, dass bei dem Messerangriff die Halsschlagader und die Luftröhre durchtrennt wurden.

Erste Vernehmungen in der Nacht 

Die Beamten führen Nadine und Raphael ab und sichern den Tatort. Augenzeugen werden in das Restaurant «Waage» über dem «Amigos del Sound» gebracht. Ein Care-Team des Kantonsspitals ist bis in den frühen Morgen vor Ort und betreut die traumatisierten Leute. Die Eltern des Opfers informiert Rolf Gubser gemeinsam mit dem Staatsanwalt gegen fünf Uhr morgens.

Ein Drogentest ergibt bei Nadine einen Blutalkoholwert von mindestens 0,8 und höchstens 1,49 Promille. Auch Methadon, das bei der Suchttherapie als Ersatzmittel für Heroin eingesetzt wird, ist in ihrem Blut nachweisbar. Allerdings in einer nicht wirksamen Dosis. Auch bei Raphael wird ein Blutalkoholwert von mindestens 1,29 und höchstens 2,1 Promille festgestellt, dazu lassen sich Spuren von Cannabis in seinem Blut finden.

Während der ersten Vernehmung um drei Uhr nachts wirkt Nadine erstaunlich ruhig und gefasst. Sie gibt zunächst an, das Messer vor der Bar gefunden zu haben, und hält an der Geschichte fest. Es ist Raphael, der relativ schnell zugibt, dass es sich bei der Tatwaffe um sein Messer handelt. «Ich glaube nicht, dass er damit gerechnet hat, dass Nadine das Messer wirklich nimmt und Matthias damit tötet», sagt Gubser im Nachhinein.

Der Gerichtsprozess 

Nadine wird im Frauengefängnis Hindelbank, im Kanton Bern, inhaftiert. Erst drei Jahre später findet der Prozess vor dem Kantonsgericht Glarus statt. Dort verurteilt sie der Richter zu zwölf Jahren Haft, Raphael zu fünf Jahren. Aufgrund guter Führung und des Abzugs der bereits abgesessenen Jahre wird Nadine bereits einige Jahre später in die Freiheit entlassen. Nadine heisst heute nicht mehr Nadine. Als Mann lebt sie heute nach einer erfolgreichen Geschlechtsumwandlung in einem Nachbarkanton des Kantons Glarus.

*Namen von der Redaktion geändert.

Zur Serie «Tatort Glarnerland»

Die neue True-Crime-Serie «Tatort Glarnerland» berichtet von wahren Kriminalfällen im Kanton Glarus. Es geht um Mord, Betrug und ungelöste Verbrechen. Die «Glarner Nachrichten» stellen mehrere Fälle vor. Manche davon liegen bereits weiter in der Vergangenheit zurück, andere wiederum ereigneten sich vor nicht allzu langer Zeit.

Während die einen fasziniert von der Welt des True Crime sind, finden andere das Genre makaber, weil es sich um die Nacherzählung von realen Verbrechen und Gewalt handelt. Diese sollen interessant gestaltet und aufbereitet sein, gleichzeitig gilt es, die Pietät in Bezug auf die Betroffenen und Hinterbliebenen zu wahren. Gerade dort liegt das Problem, in dem Balanceakt zwischen moralischer Verantwortung und Unterhaltung. Deshalb ist es vor allem wichtig, die Sachverhalte faktisch richtig darzustellen. Dafür führten die «Glarner Nachrichten» unter anderem Gespräche mit den Kriminalpolizisten, die in den jeweiligen Fällen ermittelten. Gab es noch lebende Angehörige der Opfer, so wurden diese kontaktiert und über das Vorhaben informiert.

Hier könnt ihr den ersten Teil des «Amigos»-Falls nachlesen:

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