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Als Nadine* aus Eifersucht in der «Amigos»-Bar einen jungen Glarner abstach

Ein junger Glarner wird in einer Bar nach der Chilbi abgestochen und stirbt. Die «Glarner Nachrichten» rollen den Fall in der neuen True-Crime-Serie «Tatort Glarnerland» nochmals auf. 

23.03.24 - 04:30 Uhr
Glarus
Hier geschieht die Tat: Die Kellerbar «Amigos del Sound» unter dem Restaurant «Waage» schliesst nach dem tödlichen Vorfall im Jahr 2009 für immer.
Hier geschieht die Tat: Die Kellerbar «Amigos del Sound» unter dem Restaurant «Waage» schliesst nach dem tödlichen Vorfall im Jahr 2009 für immer.
Bild Sasi Subramaniam

Es ist ein Abend mitten im August. In der kleinen und beschaulichen Kellerbar «Amigos del Sound» im Herzen von Glarus herrscht eine ausgelassene Stimmung. Die meisten Gäste sind zuvor an der Chilbi gewesen und wollen den Tag nun mit einem Bier und dem ein oder anderen Schnaps mit Freunden ausklingen lassen. Um halb zwölf Uhr in der Nacht stürmt plötzlich eine Frau in die Bar. Sie läuft geradewegs auf einen jungen Mann zu und sticht diesem völlig unvermittelt und brutal mit einem Messer in den Hals. Das Motiv: Eifersucht. 

Wie alles begann 

Der 14. August 2009 ist kein klassischer Sommertag. Es regnet, als Matthias* an diesem Freitagmorgen seine Wohnung verlässt. Er ahnt nicht, dass es das letzte Mal sein wird. Matthias hat vor, an diesem Abend die Chilbi in Glarus zu besuchen. Autoscooter, gebrannte Mandeln und die heitere Partystimmung in den Festzelten am Abend locken jedes Jahr viele Besucherinnen und Besucher an. Der 25-Jährige ist gelernter Mechapraktiker. Sein Markenzeichen: ein Irokese und Piercings, die seine Leidenschaft zum Punk sofort zu erkennen geben. 

Seit neun Monaten führt er eine lockere Beziehung mit Anna*. Das Problem: Annas Ex-Freundin Nadine*. Nadine ist keine Unbekannte für Matthias. Denn trotz der Trennung vor einem Jahr wohnt Anna noch mit ihrer Ex-Freundin zusammen. Das ist nicht immer ganz einfach, denn Nadine ist sehr eifersüchtig. Schon mehrmals liess sie verlauten, dass sie Matthias am liebsten umbringen würde. Wirklich ernst nimmt sie damals niemand.

Eine schwierige Jugend

Vila Velha ist die älteste Stadt im brasilianischen Bundesstaat Espírito Santo und ein Paradies für Strandferien. Ein kilometerlanger Sandstrand und türkisblaues Wasser zeichnen die Stadt an der Ostküste Brasiliens aus. Hier wird Nadine im Jahr 1981 geboren. Doch die Familienverhältnisse sind instabil, die Mutter arbeitet als Prostituierte. Nadine wird zur Adoption freigegeben und kommt im Alter von acht Monaten in die Schweiz. 

Sie wächst behütet im Glarnerland auf, umgeben von hohen Bergen und grünen Wiesen. Mit Beginn der Realschulzeit geht es nicht nur schulisch bergab. Nadine experimentiert schon früh mit Drogen. Mit elf Jahren konsumiert sie zum ersten Mal Cannabis, zwei Jahre später kommt sie in Kontakt mit Ecstasy. Die Eltern sorgen sich um ihre Adoptivtochter, die immer mehr abrutscht. Weil sie nicht weiter wissen, schicken sie Nadine mit 16 Jahren in ein Mädchenheim im Kanton Basel-Landschaft, wo sie drei Jahre lang bleibt.

Zuflucht in Kokain, Heroin und Liquid Ecstasy

Für Nadine werden die Drogen immer mehr zum Problem. Sie hat das Gefühl im falschen Körper geboren zu sein, fühlt sich unwohl und betäubt sich täglich mit Liquid Ecstasy und Heroin. Ihre erste Lehre zur Malerin bricht sie ab. Nach diversen Kurzzeitjobs stiehlt sie 3000 Franken aus der Kasse des Vereins, dem ihre Eltern angehören. Drei Monate lang lebt sie von diesem Geld, während sie mit ihrem Generalabo quer durch die Schweiz fährt. Während dieser Zeit konsumiert sie an manchen Tagen so viel Kokain, bis sie nicht mehr weiss, wie sie heisst. Die Adoptiveltern erstatten Anzeige, und Nadine wird festgenommen. Das Verhältnis zu ihnen leidet immer mehr. 

Nach ihrer Verhaftung findet Nadine einen Job in einem Restaurant, wechselt einige Zeit später aber zu einer Firma in Schwanden, wo sie fünf Jahre lang in der Montage arbeitet. Als der Teamleader krankheitsbedingt ausfällt, übernimmt sie dessen Aufgaben. Aber Nadine ist wenig belastbar und hält dem Druck nicht lange stand. Beziehungen zu Arbeitskolleginnen und -kollegen zerbrechen, schliesslich gibt sie die Verantwortung wieder ab. 

Der Beginn einer toxischen Liebe

Nadine und Anna kennen sich bereits seit ihrer Jugend aus der Schule. Im März 2006 werden die beiden dann ein Paar. Sie verloben sich nur zwei Jahre später. Anna ist Nadines grosse Liebe. Von diesem Gefühl und auch der Unterstützung ihrer Adoptivmutter bestärkt, sucht Nadine sich schliesslich Hilfe bei einem Facharzt für Hormontherapien und einem Psychiater. Sie möchte endlich die langersehnte Geschlechtsangleichung vornehmen lassen.

Schon sehr früh fühlt sich Nadine in ihrem Körper unwohl. Ihren weiblichen Körper zu akzeptieren, fällt ihr immer schwerer. Im Jahr 2008 trennt Anna sich nach viereinhalb Jahren Beziehung von Nadine. Zu dieser Zeit schreibt sie auf Englisch in ihr Tagebuch: «Das Leben geht weiter, ich denke, das ist nicht das Ende.»

Das Leben geht weiter: Nadine schreibt ihre Gedanken und Sorgen in ein Tagebuch. 
Das Leben geht weiter: Nadine schreibt ihre Gedanken und Sorgen in ein Tagebuch. 
Originalkopie aus den Untersuchungsakten 

Ein verhängnisvoller Abend 

Nach einem Arzttermin am Freitagnachmittag, dem 14. August, fährt Nadine gegen 19 Uhr zum Bahnhof in Glarus. Sie kauft sich ein Bier und trinkt es noch vor Ort. Dann macht sie sich zu Fuss auf den Weg Richtung Chilbi. Dort trifft sie ihren Freund Raphael* sowie einen weiteren Kollegen und dessen Freundin.

Fast zeitgleich betritt Matthias mit seinem Freund das Chilbigelände. Auch Anna ist bereits vor Ort und begegnet dort zufällig Nadine und ihren beiden Freunden. Sie begrüssen und unterhalten sich kurz. Dabei meint Nadine zu bemerken, wie ihr Kollege Anna immer wieder auf die Brüste starrt. Sie wird wütend und stellt ihn zur Rede. Dieser ist sich keiner Schuld bewusst und beklagt sich nach der Chilbi bei Anna über Nadines Eifersucht, als sie sich zufällig im «Amigos del Sound» wieder begegnen. 

Hass und Eifersucht

Anna hat für das Verhalten ihrer Ex-Partnerin an der Chilbi kein Verständnis. Sie ruft Nadine auf dem Handy an und stellt sie zur Rede. Das Gespräch endet im Streit, doch bevor sie auflegt, teilt Anna Nadine noch mit, dass sie sich mit Matthias in der Bar «Amigos dem Sound» befindet. Wütend schickt sie Nadine noch eine SMS hinterher: «So redä chasch mit dinä kollegä, isch das klar? Chasch grad bim Raphael schlafä, dini ifersucht isch eimal zviel gsi, schönä!»

Nach dem Telefonat macht sich Nadine gemeinsam mit Raphael auf den Weg, um mit Anna über das, was zuvor passiert war, zu reden. Etwa 15 Leute sitzen zu dem Zeitpunkt in der kleinen Kellerbar, lachen, trinken und unterhalten sich. Angekommen in der Bar entwickelt sich ein Streit zwischen Nadine und Anna, der schnell eskaliert. Nadine stösst Matthias zur Seite, verhält sich aggressiv und wird kurzerhand von den Gästen der Bar herausgeworfen. Auch Raphael muss gehen, weil er seinen Hund mit in die Bar gebracht hat.

Anna folgt den beiden nach draussen. Vor der Bar gibt sie Nadine wütend eine Ohrfeige und kehrt dann wieder zurück zu Matthias in die Bar. Nadine rast vor Eifersucht. Voller Hass sagt sie zu Raphael: «Ich würde Matthias am liebsten aufschlitzen.» Dieser reicht ihr daraufhin sein Messer, das er in der Hosentasche bei sich führt, mit den Worten: «Da, mach!» 

Fortsetzung folgt.

*Namen von der Redaktion geändert.

Zur Serie «Tatort Glarnerland»

Die neue True-Crime-Serie «Tatort Glarnerland» berichtet von wahren Kriminalfällen im Kanton Glarus. Es geht um Mord, Betrug und ungelöste Verbrechen. Die «Glarner Nachrichten» stellen mehrere Fälle vor. Manche davon liegen bereits weiter in der Vergangenheit zurück, andere wiederum ereigneten sich vor nicht allzu langer Zeit.

Während die einen fasziniert von der Welt des True Crime sind, finden andere das Genre makaber, weil es sich um die Nacherzählung von realen Verbrechen und Gewalt handelt. Diese sollen interessant gestaltet und aufbereitet sein, gleichzeitig gilt es, die Pietät in Bezug auf die Betroffenen und Hinterbliebenen zu wahren. Gerade dort liegt das Problem, in dem Balanceakt zwischen moralischer Verantwortung und Unterhaltung. Deshalb ist es vor allem wichtig, die Sachverhalte faktisch richtig darzustellen. Dafür führten die «Glarner Nachrichten» unter anderem Gespräche mit den Kriminalpolizisten, die in den jeweiligen Fällen ermittelten. Gab es noch lebende Angehörige der Opfer, so wurden diese kontaktiert und über das Vorhaben informiert.

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