Trump im Landsgemeindering? Wenn die Glarner Politik wie in den USA funktionieren würde
Amerika wählt am Dienstag. Wir haben den US-Politzirkus ins Glarnerland verpflanzt. Das sind unsere vier wildesten Fantasien.
Amerika wählt am Dienstag. Wir haben den US-Politzirkus ins Glarnerland verpflanzt. Das sind unsere vier wildesten Fantasien.
Weil jeder Bundesstaat ein eigenes Wahlsystem hat, weil Donald Trump in jeder Hinsicht so abgedreht ist und weil es so viele ungeschriebene Gesetze gibt: US-Wahlen sind mehr als Politik. Was viele nicht wissen: Das politische System der USA war das genaue Vorbild für die Organisation des Schweizer Bundesstaates im Jahre 1848. Mit einer Ausnahme: Anstelle des Präsidenten hat sich die junge Schweiz damals für einen Bundesrat aus sieben Personen entschieden.
Wir wagen gut 180 Jahre später trotzdem den Blick in die Glaskugel: Wie würde die Glarner Politik funktionieren, wenn sie sich gleich entwickelt hätte wie das Pendant in den USA? Das sind unsere vier Lieblingsvorstellungen:
1. Kaspar Becker tanzt auf dem Landsgemeindering zu «Glarnerland» von den Rämlers
Die reale Vorlage: Wahlveranstaltungen in den USA sind ein Happening: Es gibt Musik, Party und ganz viel Pathos. Das nimmt zum Teil auch absurde Züge an. Donald Trump etwa hat kürzlich an einer Wahlveranstaltung anstatt Fragen zu beantworten, einfach 40 Minuten lang getanzt.
Unsere Glarner Variante: Im Glarnerland verteilt man Gipfeli, um Regierungsrat zu werden. Aber dafür müssen sich unsere Politiker auf dem Landsgemeindering ganz direkt der Glarner Bevölkerung stellen. Wir stellen uns vor, dass Landammann Kaspar Becker im Frühling 2025 kritische Fragen zur Querspange beantworten muss. Und statt einer Antwort zu den Rämlers mit dem Lied «Ds Glarnerland» tanzt. Und weil Becker noch etwas rüstiger ist als Trump, trauen wir ihm das auch im Frack und mit Landesschwert zu.
2. Die Näfelser wählen ihren Landrat in Glarus Süd
Die reale Vorlage: Das US-Wahlsystem ist nicht zuletzt darum so kompliziert, weil jeder Bundesstaat seine ganz eigenen Regeln dafür hat. Briefwahl oder nicht ist dabei noch das kleinste Problem. Ein Thema ist das immer bei den Präsidentschaftswahlen. Das krasseste Beispiel zeigt sich aber bei den Parlamentswahlen: Gerrymandering. Das Wort bezeichnet die Praxis, dass Wahlbezirke so zusammengesetzt werden, dass sie für die eine (von insgesamt zwei) Parteien an der Macht vorteilhaft ist. Weil die Wahlen so funktionieren, dass der Sieger alle Sitze erhält. Das hat zur Folge, dass die Bezirke mitunter absurde Formen annehmen und überhaupt nichts mehr mit der Realität zu tun haben.
Unsere Glarner Variante: Die demografischen Unterschiede, die für Gerrymandering wichtig sind, gibt es in dieser Klarheit im Kanton Glarus nicht. Aber historisch gesehen unterscheiden wir immer noch zwischen Katholiken und Reformierten. Damit wir Reformierte auch in Glarus Nord eine Chance haben, verfrachten wir darum die katholische Hochburg Näfels in den Landratswahlkreis von Glarus Süd. Oder sollte man einfach das Kleintal nach Glarus verfrachten, um die SVP-Mehrheiten im Hinterland zu brechen?
3. Über dem Martinsloch prangen ein Heer, ein Tschudi und ein Rhyner
Die reale Vorlage: Mitten im amerikanischen Nirgendwo von South Dakota prangen die Köpfe von Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln an einem Berg. Sie sind 20 Meter hoch und aus einer riesigen Felswand gehauen. Fertiggestellt wurden sie mitten im Zweiten Weltkrieg und illustrieren, dass die junge Demokratie der USA Präsidenten hat, die Heldenstatus erreichen und einen Erinnerungsort wert sind. (Gleich nebenan bauen ein paar Unerschrockene übrigens seit Jahrzehnten an einem gleich grossen Indianerkopf, um die Einheimischen zu ehren. Sie haben aber Mühe, genug Geld dafür zu finden.)
Unsere Glarner Variante: Es war der legendäre Elmer Regierungsrat Kaspar Rhyner, der die Idee aufbrachte: Die legendärsten Glarner Politiker sollten mit riesigen Porträts das berühmte Martinsloch noch viel berühmter und zur Touristenattraktion machen. Seine Auswahl der Politiker erstaunte dann aber doch einige: Joachim Heer als erster und einziger Glarner Bundesrat, das macht ja noch Sinn. Und auch Aegidius Tschudi hat als «Erfinder» der Schweizer Geschichte ja noch irgendwie seine Berechtigung. Auch wenn er als Politiker nur Landvogt in Sargans war. Aber dass zwischen den beiden Rhyner selbst thronen sollte, war dann doch vielen zu viel. An einer legendären Landsgemeinde wurde der Bau dann trotzdem so beschlossen.
4. Daniela Bösch: «In Mühlehorn essen die Deutschen die Goldfische der Einheimischen!»
Die reale Vorlage: Es war einer der Tiefpunkte (oder Höhe-, je nach Sichtweise) der Präsidentschaftsdebatte zwischen Donald Trump und Kamala Harris: Trump behauptete vor Hunderten von Millionen Zuschauern live im TV, dass illegale Einwanderer in der Stadt Springfield die Katzen und Hunde der Einheimischen verspeisen würden. Diese Behauptung hat absolut nichts mit der Realität zu tun. Sie zeigt aber auch, wie wichtig es im US-Wahlkampf ist, die Emotionen der Wählerschaft zu bedienen. Dass das folgenlos auch mit völlig erfundenen «Tatsachen» funktioniert, ist allerdings eine neuere Entwicklung. Immerhin: Die Aussage hat zu grandioser Satire im Internet geführt.
Unsere Glarner Variante: Im zweiten Wahlgang um den Sitz von FDP-Regierungsrat Benjamin Mühlemann duellieren sich Daniela Bösch-Widmer (Die Mitte) und Thomas Tschudi (SVP). Bei einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung artet die Diskussion aus. Nachdem sich Tschudi länger darüber lustig macht, dass Bösch-Widmer mit den Zürchern unter einer Decke stecke, hat Bösch genug. Sie lästert über die deutschen Einwanderer. Und spricht von schockieren Zuständen am Walensee. In Mühlehorn seien die Deutschen so frech, dass sie die Goldfische aus den Aquarien der Einheimischen klauten und verspeisten. Trotz der sofortigen Intervention des Moderators verfängt diese Information bei den Wählerinnen und Wählern aus dem Hinterland sofort.
Sebastian Dürst ist Redaktionsleiter der «Glarner Nachrichten». Er ist in Glarus geboren und aufgewachsen. Nach Lehr- und Wanderjahren mit Stationen in Fribourg, Adelboden und Basel arbeitet er seit 2015 wieder in der Heimat. Er hat Religionswissenschaft und Geschichte studiert.
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