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Suchen, retten, aufräumen - Nach der Flut werden die Folgen deutlich

Während sich die Wassermassen aus vielen Flutgebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz langsam zurückziehen, wird in den Trümmern der Katastrophengebiete weiterhin nach Todesopfern gesucht.

Agentur
sda
17.07.21 - 16:12 Uhr
Ereignisse
Anwohner und Ladeninhaber in Ahrweiler versuchen, ihre Häuser vom Schlamm zu befreien und unbrauchbares Mobiliar nach draußen zu bringen. Während in vielen Flutgebieten  die Aufräumarbeiten beginnen, wird in den Trümmern der Katastrophengebiete weiterhin…
Anwohner und Ladeninhaber in Ahrweiler versuchen, ihre Häuser vom Schlamm zu befreien und unbrauchbares Mobiliar nach draußen zu bringen. Während in vielen Flutgebieten die Aufräumarbeiten beginnen, wird in den Trümmern der Katastrophengebiete weiterhin…
Keystone/dpa/Thomas Frey

Bis zum Samstagmittag stieg diese Zahl auf mehr als 130. Allein im Grossraum Ahrweiler kamen nach Angaben der Polizei über 90 Menschen ums Leben. Es sei zu befürchten, dass noch weitere hinzukämen, teilte die Polizei Koblenz mit. Hunderte Menschen wurden laut Polizei verletzt - auch diese Zahl könne noch steigen.

Für die ebenfalls besonders schwer betroffene Region um das nordrhein-westfälische Erftstadt befürchtet Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) ebenfalls Schlimmeres: «Wir gehen von mehreren Toten aus, wissen es aber nicht», hatte er am Freitag in Düsseldorf gesagt. Trotz mehrerer eingestürzter Häuser gab es bis zum Samstagmittag aber keine bestätigten Todesopfer in dem extrem unter Wasser stehenden Stadtteil Blessem.

Skeptisch äusserte sich dort jedoch ein Kreissprecher: Da die Arbeiten der Rettungskräfte noch in vollem Gange seien, könne man nicht ausschliessen, noch Todesopfer zu finden, sagte er am Samstagmorgen der Deutschen Presse-Agentur. Die Lage sei weiterhin angespannt. In Blessem südwestlich von Köln war es zu gewaltigen Erdrutschen gekommen, es bildeten sich Krater im Erdreich, drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg stürzten ein.

Mehr als zwei Tage nach dem Unglück werden in den Regionen immer noch Menschen vermisst. Tausende Rettungskräfte sind unter anderem in der Eifel im Einsatz. Auch dort hatten die Wassermassen in der Nacht zum Donnerstag ganze Orte verwüstet. In Nordrhein-Westfalen gab es nach Angaben des NRW-Innenministeriums landesweit mindestens 43 Todesopfer und viele Verletzte. Für Rheinland-Pfalz hatte Landesinnenminister Roger Lewentz (SPD) am Freitag von 362 Verletzten gesprochen.

Am Samstagmittag besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zusammen mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) die Rettungskräfte in Erftstadt und sprach unter anderem in der Feuerwehrleitzentrale mit Helfern sprechen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am Sonntag in der schwer verwüsteten Region in Rheinland-Pfalz erwartet. Dies bestätigte die Staatskanzlei in Mainz am Samstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Details würden noch geklärt. Zunächst hatte die «Bild am Sonntag» darüber berichtet.

Langsam zieht sich das Wasser aus vielen Regionen wieder zurück. In Köln erreichte das Rhein-Hochwasser in der Nacht zum Samstag seinen Höchststand mit 8,06 Metern, danach fiel laut Städtischen Entwässerungsbetrieben der Wasserstand wieder. Auch nach der Frühwarnprognose des Landesamts für Umwelt Rheinland-Pfalz hat sich die Hochwassergefahr zuletzt verringert. In vielen Ortschaften ist das Strom- und Telefonnetz weiter ausgefallen. Angehörige, Freunde oder Bekannte, die jemanden vermissen, können sich unter der Rufnummer 0800 6565651 bei der Polizei melden.

Im Ahrtal sind etliche Strassen weiterhin gesperrt oder nicht mehr befahrbar. Durch das Abfliessen der Wassermassen werden dort und an der Mosel die von den Fluten angerichteten Schäden sichtbar. Auch die Infrastruktur hat schweren Schaden genommen: In dem besonders stark betroffenen Landkreis Ahrweiler sind Brücken zerstört, der Zugverkehr ist in Rheinland-Pfalz wegen der Überflutungen weiterhin massiv beeinträchtigt.

Rettungskräfte sind weiter auf der Suche nach Toten, Verletzten und Vermissten. Allein in Nordrhein-Westfalen sind nach Angaben des Landesinnenministeriums rund 22 000 Einsatzkräfte von Feuerwehr und Hilfsorganisationen wie dem Technischen Hilfswerk (THW) an den Rettungsarbeiten beteiligt. Hinzu kämen 700 Beamte der Landespolizei und Kräfte der Bundespolizei sowie Einsatzkräfte aus Hessen, Niedersachsen und Hamburg.

Im nordrhein-westfälischen Wassenberg an der Grenze zu den Niederlanden wurde nach dem Bruch eines Damms des Flusses Rur der Stadtteil Ophoven evakuiert, rund 700 Menschen wurden in Sicherheit gebracht. Die Strassen des Stadtteils standen unter Wasser. Die Lage war am frühen Morgen laut Mitteilung der Stadt weiter angespannt. Der zuständigen Kreispolizei Heinsberg und der Bezirksregierung Köln waren am Morgen aber keine besonderen Vorkommnisse aus der Nacht bekannt. «Insgesamt stagnieren die dortigen Wasserpegel derzeit», teilte die Stadt Wassenberg mit.

NRW-Ministerpräsident und Unions-Kanzlerkandidat Laschet beklagte am Freitag eine «Flut-Katastrophe von historischem Ausmass». Seine Amtskollegin aus Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), nannte die Lage «weiterhin extrem angespannt in unserem Bundesland». Sie fügte in Trier hinzu: «Das Leid nimmt auch gar kein Ende.»

Im dortigen Stadtteil Ehrang waren die Aufräumarbeiten am Samstag in vollem Gang. «Da stapeln sich die Berge von Sperrmüll», sagte ein Stadtsprecher. Erste Anwohner gingen zurück in die Häuser. «Wer da geschlafen hat, hatte kein Wasser und keinen Strom.» Betroffen sind der Stadt zufolge 670 Häuser, bei denen im Keller und Erdgeschoss fast alles zerstört wurde.

Dreyer beklagte schwere Versäumnisse beim Klimaschutz in Deutschland. «In den vergangenen Jahren haben wir in Deutschland vieles nicht umgesetzt, was notwendig gewesen wäre», sagte die Mainzer Regierungschefin der vom Hochwasser besonders stark betroffenen Regionen den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). Der Klimawandel sei angesichts der jüngsten Dürren und Unwetter nichts Abstraktes mehr. «Wir erleben ihn hautnah und schmerzhaft.»

Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock reiste nach dem Abbruch ihres Urlaubs in die Krisengebiete. Wie eine Sprecherin am Freitagabend mitteilte, wollte sich die Parteichefin vor Ort über die Lage der Menschen informieren. Dabei verzichte sie bewusst auf Pressebegleitung oder öffentliche Auftritte. Den Angaben zufolge traf Baerbock am Freitag in Mainz ein. Auf Twitter schrieb sie dazu: «Die Gespräche gehen unter die Haut. Nach wie vor sind nicht alle Orte erreicht, Menschen weiter abgeschnitten. Zugleich gibt es eine unglaubliche Solidarität zu helfen, Betroffene zu Hause aufzunehmen und zu unterstützen.» Für Samstag sind weitere Termine Baerbocks in Nordrhein-Westfalen angesetzt.

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