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Sehbehinderte Menschen greifen vermehrt aufs «Kopfkino» zurück

Das Coronavirus zwingt die Menschen, daheim zu bleiben. Die Zeit in den eigenen vier Wänden kann lang werden, gerade für Menschen mit einer Sehbehinderung. Das spürt auch die Schweizerische Bibliothek für Blinde und Sehbehinderte.

Agentur
sda
13.04.20 - 13:00 Uhr
Politik
Hörbücher bringen Abwechslung in den eingeschränkten Alltag. (Themenbild)
Hörbücher bringen Abwechslung in den eingeschränkten Alltag. (Themenbild)
Keystone/MARTIN RUETSCHI

«Wir hatten im März deutlich mehr Ausleihen bei praktisch allen bei uns erhältlichen barrierefreien Büchern», sagt Roswitha Borer Amoroso, Leiterin Bibliothek bei der Schweizerischen Bibliothek für Blinde, Seh- und Lesebehinderte (SBS).

Zu den barrierefreien Medien, die die Institution ausleiht, gehören Hörbücher, Bücher in Brailleschrift, Grossdruckbücher und E-Books. Hörbücher seien und blieben dabei mit Abstand am beliebtesten, sowohl als Online-Download als auch per Post auf CD oder SD-Karte, wie Borer Amoroso gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-sda ausführt.

Aber auch die Nachfrage nach E-Books sei fast um 50 Prozent gestiegen. Die Ausleihen von Hörfilmen hätten sich sich im März sogar mehr als verdoppelt. Hörfilme werden mit gesprochenen Erklärungen gesendet, die es den sehbehinderten Menschen ermöglichen, das Geschehen im Film besser mitverfolgen zu können.

Auch die App SBS Leser Plus, die eine Abspielsoftware für die ausgeliehenen Bücher enthält, wurde im ersten Quartal deutlich stärker nachgefragt als im letzten Jahr.

«Kopfkino» bringt Abwechslung

Die Belastung durch die aktuelle Situation ist für viele Sehbehinderte gross. «Ihre Rückmeldungen zeigen uns, dass sie gerade jetzt sehr froh sind über unser Bibliotheksangebot. Die Medien der SBS bieten etwas Ablenkung in dieser schweren Zeit, wo man zuhause bleiben muss», sagt Borer Amoroso.

Zu den Nutzerinnen und Nutzern der SBS gehören auch zahlreiche Seniorinnen und Senioren, die an altersbedingten Sehbeeinträchtigungen leiden, verursacht etwa durch Makuladegeneration.

Viele Betroffene könnten sich draussen, etwa in Begleitung, noch gut zurechtfinden. Fürs Lesen, Werkeln oder Handarbeiten fehlt ihnen jedoch die Sehkraft. Da kommt das «Kopfkino» in Form von gesprochen Büchern gerade recht.

Am anderen Ende der Altersskala sind Kinder und Jugendliche mit Dyslexie (Legasthenie), AD(H)S oder einer anderen Lesebeeinträchtigung, die die SBS über die Online-Bibliothek «Buchknacker» bedient. Seit der Schliessung der Schulen würden die Hörbücher und E-Books markant stärker heruntergeladen als bisher, heisst es bei der SBS.

Schweizer Autoren sind gefragt

Die Interessen der Leserinnen und Leser seien auch in diesen Tagen breit, weiss Borer Amoroso. «Es werden vorwiegend belletristische Titel ausgeliehen, sehr gern auch von Schweizer Autorinnen und Autoren.» Die Palette reicht dabei vom Krimi über die Mundartgeschichte bis hin zum Liebesroman.

Bei Kindern und Jugendlichen sind Reihen wie zum Beispiel «Die drei Fragezeichen» und die Antolin-Leseförderbücher beliebt.

Betrieb angepasst

Wegen der grossen Nachfrage hat die SBS in den vergangenen Wochen die Betriebsabläufe in Produktion und Vertrieb den neuen Umständen angepasst. Ziel sei es, den Ausleihservice unter den ausserordentlichen Bedingungen langfristig aufrecht zu erhalten, um Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung zu einem Stück Normalität in diesen Zeiten zu verhelfen, heisst es bei der Institution.

Die Druckerei der SBS fertigt Texte und Noten in Blindenschrift sowie Grossdruckbücher an. Zusammen mit professionellen Sprecherinnen und Sprechern entstehen in den Tonstudios ungekürzte und navigierbare Hörbücher. Zudem überträgt die SBS bestehende Texte in E-Books.

Die SBS wurde 1903 gegründet und beschäftigt heute rund 75 festangestellte Mitarbeitende und einen grossen Pool von Sprecherinnen und Sprechern.

Die Non-Profit-Organisation wird zu rund 50 Prozent von der öffentlichen Hand getragen. Die andere Hälfte wird durch Spendeneinnahmen, öffentliche und private Aufträge sowie weitere Dienstleistungen finanziert.

www.sbs.ch, www.buchknacker.ch

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Ja, ein wirklich guter Artikel. Aber, aber, aber: die Schrift ist im schmalsten,Feinstrich gehalten, so dass sie eben von sehbehinderten Menschen wie für mich mit 5 % Sehvermögen kaum gelesen werden kann. Ist das nicht absurd?.

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