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Zweimal zusagen statt zehnmal absagen

Immer schön den Mahnfinger heben. Man weiss ja schliesslich, was sich gehört.

01.02.23 - 16:30 Uhr
Immer schön den Mahnfinger heben. Man weiss ja schliesslich, was sich gehört.
Immer schön den Mahnfinger heben. Man weiss ja schliesslich, was sich gehört.
Bild Freepik

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

In den vergangenen Wochen habe ich vermehrt von Restaurants gelesen, die für No-Shows, also dem Nicht-Auftauchen trotz Reservation, eine entsprechende Stornogebühr verrechnen. Wer sich nicht rechtzeitig abmeldet, bezahlt eine Art Busse. Dass ich eine Reservation absage, wenn ich nicht kommen kann, ist für mich selbstverständlich. Das hat etwas mit Wertschätzung zu tun. Den Reiz der Unverbindlichkeit verstehe ich aber genauso gut. Unverbindlichkeit verspricht Freiheit. Sich nicht festzulegen, lässt einem mehr Optionen, die man dann auch in den Wind schiessen kann, um einmal mehr Zeit damit zu verbraten, Tiktok durchzuwischen und zwei Stunden später und etwas doofer als zuvor ins Bett zu sinken. Am Ende ist es eine Frage des Anstandes, ob und wie kurzfristig man Verabredungen absagt. Egal ob im Restaurant oder mit Bekannten.

Als Autor in seinen Vierzigern könnte man sich jetzt dazu verleiten lassen, eine Schmähschrift auf die junge Generation zu formulieren, in der man diese Unverbindlichkeit symbolisch für die Verrohung der Jugend verteufelt und einer ganzen Generation vorwirft, moralisch fragwürdig zu handeln und das Ende der Gesellschaft einzuläuten. Damit würde ich mich einreihen in eine schier unendliche Liste von Menschen, die in ihrer Wahrnehmung suboptimale gesellschaftliche Entwicklungen irgendwann einmal bei der ihr nachfolgenden Generation verortet und sich entsprechend darüber ausgelassen haben. Hach ist es schön, wenn sich alles so einfach erklären lässt.

Das war an dieser Stelle auch schon Thema. Andere Leute nicht zu verstehen – oder sie nicht verstehen zu wollen –, gehört wohl einfach dazu, wenn man das Erwachsenwerden hinter sich gelassen hat und langsam in die gelangweilte Seniorität abdriftet. Idealerweise tut man das vom hohen Gaul herab. Schliesslich hat man auf dem Weg ins eigene Alter Weisheit und Moralverständnis lange genug mit Löffeln gefressen.

Vor knapp zehn Jahren schrieb eine grosse deutsche Tageszeitung: «Die Jugendlichen von heute sind wie Zombies. Sie sind orientierungslos und ziemlich gleichgültig.» Ich war damals zwar schon nicht mehr zentraler Teil der erwähnten Jugendlichen, mit 32 Jahren aber auch nicht ganz so weit davon entfernt. Ich fühlte mich von solchen Einordnungen nicht richtig repräsentiert und bin auch heute noch der Meinung, dass Verallgemeinerungen nur bedingt zutreffen. Überhaupt habe ich Mühe damit, Menschen irgendwelche exklusiven Alters-, Geschlechts- oder Herkunftsattribute zuzuschreiben. Aber es ist nun mal sehr verlockend, komplexe Themen verallgemeinert und in der eigenen Wahrnehmung absolut darzustellen. Hach ist es schön, wenn sich alles so einfach erklären lässt.

Kommen wir wieder zurück zur Unverbindlichkeit. Sie ist einer der Zeitgeister, die wir selbst gerufen haben. Wir haben heute einfach schier unendlich viele Optionen, unseren Alltag zu verbringen. Egal in welchem Alter. Was des einen Tiktok, ist der anderen «Tatort»: eine willkommene Möglichkeit, der eigenen Kleingeistigkeit zu entfliehen. In den vergangenen Pandemiejahren haben wir zudem wieder lernen müssen, uns mit uns selbst zu beschäftigen. Das scheint recht gut geklappt zu haben. Vielleicht müssen wir auch wieder ein bisschen versuchen, uns zu unserem eigenen Glück zu zwingen. Das braucht aber – und ich kenne mich da sehr gut aus – Mut und Energie und vielleicht ein Fitzelchen mehr Verbindlichkeit. Glauben Sie mir: Zwei wahrgenommene Verabredungen sind unserem kleinen Glück viel förderlicher als zehn kurzfristig abgesagte. Ausserdem beschäftigen wir uns dann wieder direkt mit unserem Mitmenschen, und nicht indirekt mit Verfehlungen, die wir ihnen aus der Ferne zuschreiben und sie dafür doof finden.

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