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Zurechtfinden in der Mediensuppe

Früher haben Journalistinnen und Journalisten gefiltert, was uns als Nachricht serviert wurde. Die heutige Generation muss selbst ausklamüsern.

30.03.22 - 16:30 Uhr
Campbell’s Soup: ikonisiert durch den Pop-Art-Künstler Andy Warhol.
Campbell’s Soup: ikonisiert durch den Pop-Art-Künstler Andy Warhol.
Bild Unsplash

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Andy Warhol, der Godfather of Pop-Art, hat 1968 vorausgesagt, dass ein jeder für 15 Minuten weltberühmt sein werde. Warhol selbst ist so sehr daran interessiert gewesen, berühmt zu sein. Er vermutete sein eigenes Interesse am Ruhm bei jedem Menschen auf der Welt und nahm die Medien in die Pflicht, es den Menschen zu ermöglichen, ihre 15 Minuten Ruhm antreten zu können.

Nun muss man wissen, dass Warhol in einer Zeit ohne soziale Medien lebte. Damals hatte die Gatekeeper-Theorie noch ihre Daseinsberechtigung. Die Theorie geht auf den amerikanischen Journalisten, Schriftsteller und Medienkritikers Walter Lippmann zurück. In seinem grundlegenden Werk zur Journalismusforschung «Die öffentliche Meinung» von 1922 beschrieb er Journalistinnen und Journalisten als Gatekeeper – also als Pförtner zur öffentlichen Meinungsbildung. Journalistinnen und Journalisten waren diejenigen, die entschieden, welche Themen in den Medien und damit auf einer Plattform mit Öffentlichkeitswirkung aufgegriffen wurden. Wurde ein Thema von Redaktionen nicht behandelt, wurde es nicht öffentlich diskutiert und erhielt dadurch keine Aufmerksamkeit. Man hatte dann als Absender nur noch die Möglichkeit, sich in einer Fussgängerzone auf einen Sockel zu stellen und den Fussgängern seine Meinung und Nachricht entgegenzuschallmeien, in der Hoffnung, von irgendwem wahrgenommen zu werden.

Nun kann man diese Machtkonzentration einerseits natürlich verteufeln und kritisch beurteilen. Andererseits hatte man aber auch die Sicherheit, dass Nachrichten, die in den Medien besprochen wurden, einer gewissen (Über-)Prüfung unterzogen worden waren, bevor sie verbreitet wurden. Kein Medium oder Journalist konnte oder wollte es sich leisten, offensichtliche Falschmeldungen zu verbreiten und damit die eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren. Journalistische Leistung wurde überprüft, beurteilt und gegebenenfalls korrigiert. Von der Öffentlichkeit, der Konkurrenz und den Kolleginnen und Kollegen. Eine selbstregulierende und Qualitätskontrolle innerhalb des Systems sozusagen. Wer den Qualitätsstandards nicht entsprach, wurde früher oder später an den Pranger gestellt und verlor seine Glaubwürdigkeit.

Mit dem Aufkommen neuer Medien und sozialer Netzwerke Ende der 1990er verlor die Gatekeeper-Theorie zunehmend an Relevanz. Der Journalismus war nicht mehr alleiniger Herrscher darüber, was in den Medien aufgegriffen wurde, und was nicht. Je länger, je mehr konnte ein jeder seine Inhalte auf einer Plattform publik machen und auf Verbreitung hoffen. Das kann man durchaus positiv beurteilen: Man war nicht mehr der vermeintlichen Willkür der Medien ausgeliefert und ein jeder war der Schmied seiner 15 Minuten Ruhm. Andererseits fiel mit der Öffnung auch die selbstregulierende Kontrolle weg. Nachrichten mussten nicht mehr überprüft werden, bevor sie publiziert wurden.

Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als es noch keine sozialen Medien gab. Was in der Zeitung stand, am Radio oder am Fernsehen kam, konnte durchaus als Wahrheit angesehen werden, und wer Öffentlichkeit mitgestalten wollte, musste in den Medien arbeiten oder dort stattfinden. Ich schaffte es in den 90ern einmal ins Fernsehen, als ich mit meiner damaligen Schulklasse an einer Quizshow teilnahm. Ich fand Gefallen daran und wollte mehr davon. Das war mit ein Grund für meinen Entscheid, Journalismus zu studieren. Da bin ich ganz ehrlich: Ich wollte versuchen, meine warhol’schen 15 Minuten Ruhm etwas mitgestalten und verlängern zu können. Gegen Ende meines Studiums richtete ich mir mein erstes Profil auf einer Social-Media-Plattform ein. StudiVZ hiess die damals – die gesetzteren Jahrgänge erinnern sich vielleicht noch daran. Auf Facebook bin ich seit September 2007. Ich habe das Aufkommen der sozialen Medien miterlebt und gleichzeitig meine journalistische Grundausbildung abgeschlossen.

Diese Erfahrung bringt mich dazu, hin und wieder zu hinterfragen, was ich im Internet an Neuigkeiten präsentiert bekomme. Die heutige Jugend hat es da etwas schwerer. Sie ist aufgewachsen in einer Zeit ohne Gatekeeper, in der ein jeder seine 15 Minuten Ruhm erreichen kann, indem er einen Account auf Telegram, Instagram, TikTok oder Facebook eröffnen und nach Öffentlichkeit streben kann. Wünschen wir der heutigen Generation die Musse und Einsicht, links und rechts von Social Media nach der Wahrheit zu suchen, wenn sie sich eine Meinung zu Themen verschaffen will.

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