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Von drauss’, vom Walde komm ich seit Jahren her

Unser Autor hat in seinen knapp 42 Jahren auf dieser Welt einige wiederkehrende Erfahrungen gemacht. Zeitweise etwas eingeschlafen und dann wiederbelebt: seine Einsätze als Samiklaus.

30.11.22 - 16:30 Uhr
Bild David Eichler

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Ich bin im Bündner Oberland aufgewachsen, und da spielen Traditionen eine nicht unwesentliche Rolle. So wurde ich zum Ende meiner obligatorischen Schulzeit auch Mitglied der «Uniun da Giuventetgna», des Jugendvereins meines Heimatorts. Eine der Aufgaben und Traditionen: Jedes Jahr um den 6. Dezember herum besuchen Mitglieder des Jugendvereins die Kinder des Dorfes als Samiklaus.

Meine erste Erfahrung damit hatte ich als Kind, als ich im Wohnzimmer auf den Samiklaus und seine Entourage wartete. Ein auswendig gelerntes Gedicht für sie bereit und mich bei ihrer Ankunft dann doch hinter dem Sofa versteckend. Irgendwann erkannte ich hinter den vom Dorfcoiffeur angeklebten Bärten bekannte Gesichter von Jugendlichen aus der Nachbarschaft.

Als meine Klassenkameraden und ich uns pubertätsbedingt zu pickelgesichtigen Miesepetern entwickelt hatten, wurden wir nicht mehr vom Samiklaus besucht, sondern machten uns einen Spass daraus, ihm auf seiner Tour aufzulauern und ihn mit Schneebällen zu bewerfen. Der Jugendverein organisierte dann zivile Eingreiftruppen aus den eigenen Reihen – nennen wir sie Samiklaus-Swat-Teams – die wiederum Jagd auf uns Krawallbrüder machten. Ich kann mich noch an einen Abend erinnern, als mir meine Eltern die Samiklaus-Jagd verboten hatten. Ich stand frustriert auf dem Balkon und hörte dann, wie auf der Skiwiese in einigen Metern Entfernung einer meiner Klassenkameraden von seinen zwei älteren Brüdern – beide im Samiklaus-Swat-Team – erwischt und mit der Rute bearbeitet wurde. Ich war nicht mehr frustriert, sondern froh um mein elterlich-auferlegtes Jagdverbot und, so muss ich gestehen, amüsierte mich etwas.

Einige Jahre später waren wir dann an der Reihe. Wir gingen verkleidet als Samiklaus, Knecht und Schmutzli von Haus zu Haus und besuchten einheimische und zweitheimische Kinder, um ihnen anhand der Inputs von Elternseite zu erläutern, wo sie, bezüglich ihres Verhaltens unter Jahr, noch Optimierungspotenzial hatten. Meist recht unspektakulär. Wir sammelten Nuggis ein, die uns von den Kindern mitgegeben wurden, horchten den Samiklausgedichten und anderen Darbietungen in unterschiedlichster Qualität, übergaben Geschenke, Mandarinen, Nüsse und Lebkuchen und schüchterten auf Verlangen der Eltern auch mal die frechsten der Kinder etwas ein. Die meisten Familien und Kinder freuten sich auf unseren Besuch. Die seltenen Reklamationen aufgrund von Verspätungen, meist in nicht-lokalem Dialekt oder Sprache formuliert, nahmen wir zur Kenntnis und dachten uns unseren Teil.

Einige Jahre später, ich war da schon nicht mehr Mitglied im Jugendverein, übernahm ich dann zum ersten Mal die Rolle als Samiklaus in meinem privaten Umfeld. Mein Mittelschullehrer hatte mich gefragt, ob ich bei seinem Jüngsten vorbeikommen könnte. Das Kostüm konnte ich mir aus dem Fundus der Schule leihen, und so machte ich mich halb verkleidet im Auto auf den Weg ins Nachbardorf. Dort angekommen zog ich mir den Gummizug des Bartes über die Ohren, stieg aus dem Auto, stapfte durch den Schnee und stand plötzlich vor drei verdutzten, fremden Kindern, dich mich mit grossen Augen anschauten. Um den Schein zu wahren, faselte ich etwas von «Esel krank, darum mit dem Auto gekommen», schenkte ihnen je eine Mandarine und sage ihnen mit fragendem Blick zur nickenden Mutter, die mittlerweile in der Tür stand, dass ich später bei ihnen vorbeikommen würde. Ich stapfte weiter. Bei der Familie meines Lehrers angekommen machte ich mich daran, mich mit dem Siebenjährigen darüber zu unterhalten, was im letzten Jahr alles gut war und wo er noch etwas zulegen könnte. Im Verlauf unseres Dialogs bemerkte ich, wie sich das Gummiband, mit dem der Bart an meinem Ohr festgemacht war, langsam löste. Ich reagierte blitzschnell und griff in meinen Bart, um ihn festzuhalten, worauf von dem kleinen Dreikäsehoch kam: «Gsundheit Samiklaus!» Hinter ihm standen seine Eltern und versuchten, mit hochroten Köpfen, nicht in lautes Gelächter auszubrechen, was es mir nicht einfacher machte, weiter ernst zu bleiben und das Gespräch mit dem Kind zu einem Samiklaus-würdigen Ende zu bringen.

Nach ein-, zwei weiteren Einsätzen bei meinem Lehrer zu Hause erfuhr meine Samiklaus-Karriere eine mehrjährige Baisse, was auch mit dem Alter der Kinder in meinem Umfeld zu tun hatte. Das änderte sich vor drei Jahren dann aber von null auf plötzlich. Mein Nachbar fragte mich, ob ich Erfahrung als Samiklaus habe, was ich bejahte, nicht ohne die eine oder andere Anekdote zum Besten zu geben. Seither werfe ich mich am 6. Dezember wieder regelmässig ins rote Kostüm – und ja, mir ist bewusst, dass das ein Weihnachtsmann-Kostüm und kein Samiklaus-Kostüm ist. Der Freude der Kinder tut das aber keinen Abbruch. Und meiner auch nicht.

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