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Früher wars noch wärmer an der WM

Unser Millennial über erste Erinnerungen an die Fussballweltmeisterschaft, Emotionen, Unvernunft, Glühwein und Menschenrechte.

17.08.22 - 16:30 Uhr
Bild Freepik

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

In 95 Tagen beginnt die Fussballweltmeisterschaft in Katar. Sie hat in vielerlei Hinsicht einen bitteren Beigeschmack. Die Vergabe an Katar – den Zuschlag erhielt der arabische Staat 2010 – wurde von Anfang an kritisiert. Neben dem Verdacht, die Vergabe mit Schmiergeldern beeinflusst zu haben, waren und sind insbesondere die Menschenrechtsverletzungen des Staates und die Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte beim Bau der Stadien immer wieder Thema. Wie sinnvoll es ist, während einer ausgeprägten Energiekrise ein Turnier in einem Wüstenstaat durchzuführen, bei dem alle Stadien bis auf eines mit Klimaanlagen gekühlt werden, ist dann nochmals ein anderes Thema. Die Liste an Kritikpunkten ist ellenlang. Wie geil es ist, im November Fussball-WM zu schauen, weiss ich auch nicht. Die Perspektive fühlt sich irgendwie komisch an.

Die erste WM, die ich mehr oder weniger aktiv mitverfolgt habe, war «Italia 90». Musikalisch umrahmt von Gianna Nanninis und Edoardo Bennatos «Un Estate Italiana».

Ich war damals neun Jahre alt. Ich kann mich noch an die Kapriolen des kolumbianischen Torhüters René Higuita erinnern. Daran, wie er es gegen Kamerun übertrieben hat und der damals 38-jährige Roger Milla deswegen ein Tor geschossen und das dann an der Eckfahne mit einem Tänzchen gefeiert hat.

Ich erinnere mich ausserdem an Namen wie Toto Schillaci, Peter Shilton und an den legendären Austausch von Körperflüssigkeiten zwischen Rudi Völler und Frank Rijkard. Da die Schweizer damals in der Qualifikation Belgien und der Tschechoslowakei den Vortritt gelassen hatten und als Sohn eines Deutschen war je länger, je klarer, dass ich der deutschen Elf unter Franz Beckenbauer die Daumen drückte. Mit Erfolg. Die Geschichtsbücher wissen, die Bundesrepublik Deutschland gewann im Finale gegen Argentinien (mit Maradona) durch ein Elfmetertor von Andy Brehme in der 85. Minute. Ich weiss noch, wie ich einige Wochen später mit meinen Eltern auf der Durchreise in die Herbstferien auf einer italienischen Autobahnraststätte mit dem Deutschland-Trikot rumrennen wollte. Sie hielten davon ab mit dem Hinweis, dass es italienische Fussballfans wohl nicht nur super fänden, dass die Deutschen einige Wochen zuvor in Italien Fussballweltmeister geworden waren und sie dies einem überdrehten 9-Jährigen wohl auch kundtun würden.

Vier Jahre später gab es ein ähnliches Szenario. Ich hatte nicht viel gelernt. Wir waren in Italien in den Sommerferien und ich mittlerweile sehr von der brasilianischen Mannschaft angetan. Zwar waren die Schweizer dabei («Es gibt nur einen Georges Bregy»), verabschiedeten sich aber im Achtelfinale gegen Spanien. Deutschland war bis zum Viertelfinale mit dabei und schied dort gegen Bulgarien aus (Torschützen: Matthäus, Stoitschkow und Letschkow). Die Italiener kamen Runde für Runde weiter und in unserem Ferienort am Lago Maggiore entstanden nach jeder überstandenen Runde spontane Autokorsos, gespickt mit Vespas, auf denen bis zu vier Menschen sassen und die Trikolore schwangen. Wie gesagt: Mein Fussballfanherz schlug mittlerweile grün-gelb-blau. Beim Autocorso der Italiener nach gewonnenem Halbfinale wusste der 13-Jährige in mir nicht besseres zu tun, als sich mit dem Brasilien-Trikot an den Strassenrand zu stellen. Ich stand da nicht lange. Mein Vater zog mich relativ energisch wieder auf den Campingplatz und hinterfragte, so vermute ich, meine Cleverness. Auch meine Mutter hielt meinen Einfall für nicht sonderlich ausgereift und überlegt. Im Finale sollte dann Roberto Baggio den letzten Penalty so in den Himmel zimmern, dass es eine Fliegerabwehrkanone nicht hätte besser machen können. Zu dem Zeitpunkt war ich schon aus den Ferien zurück wieder zu Hause im Wohnzimmer und drehte dort durch, ohne dabei Italien-Fans direkt zu provozieren.

Wie dem auch sei. Die Fussball-WM (und auch die EM) hatten seit 1990 regelmässig einen fixen Platz in meinem frühsommerlichen Terminkalender. Freude und Ärger, Begeisterung und Enttäuschung, Euphorie und Leichtsinn  – so ein internationales Fussballturnier weckt enorm viele Emotionen. Es gehört aber irgendwie auch zum Sommerstart und nicht in die Voradventszeit. Wie gesagt, bin ich mir noch nicht so sicher, wo und wie sehr ich dieses Jahr bei der WM mitfiebern werde. Public Viewing unter Heizstrahlern bei Glühwein und Weihnachtsguatzli hört sich irgendwie doof an. Wer weiss, vielleicht gibts ja auch noch den einen oder anderen Stromausfall.

Immerhin, ich werde bei kalten Temperaturen wohl nicht auf die Idee kommen, nur mit einem Trikot am Oberkörper irgendwelche gegnerische Fans zu provozieren. Auch wenn es nur weniges gibt: immer schön das Positive im Fokus behalten.

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Ich sage nur: Boykottieren! Je mehr Menschen diesen Quatsch in Katar nicht am TV schauen, desto besser. Wir haben die Macht dem Weltverband zu zeigen, dass wir so keine WM (oder Olympia) wollen. Also: Während der Zeit auf andere Kanäle schalten oder ganz ausstellen.