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Das Salz in der Suppe, die wir Leben nennen

Freunde kommen und gehen. Manche bleiben. Schätzen dürfen und sollen wir sie alle.

21.12.22 - 16:30 Uhr
Bild Unsplash

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Wie viele Menschen würdet ihr persönlich als Freunde bezeichnen? Im Hinblick auf das Fest der Liebe habe ich mir dazu in den letzten Wochen einige Gedanken gemacht. Freunde sind das Salz und die Wärme in der Suppe, die wir Leben nennen. Freundschaften sind aber auch wichtig für unsere Gesundheit – nicht nur die mentale. Glaubt man einer amerikanischen Studie, ist der Konsum von 15 Zigaretten am Tag für Menschen ähnlich schädlich, wie wenn wir keine soziale Verbundenheit verspürten und keine Freunde hätten.

Mit dem Thema Freundschaft haben sich schon massiv weisere Geister als ich beschäftigt. In der Schrift «Nikomachische Ethik» versuchte bereits Aristoteles, sich dem Thema anzunähern. Nicht ohne Erfolg. Seine verschriftlichten Erkenntnisse gelten als eines der bedeutendsten Werke über Freundschaft.

Es gab in meinem Leben diverse Menschen, die ich zu einem bestimmten Zeitpunkt als gute Freunde bezeichnet habe. Ich bin ein relativ extrovertierter und offener Zeitgenosse und habe keine allzu grosse Mühe, auf Menschen zuzugehen. Sind sie mir gegenüber ebenfalls wohlgesinnt und offen, entsteht daraus oft etwas, dem man durchaus das Attribut «freundschaftlich» zuweisen kann.

Aristoteles unterscheidet drei Arten von Freundschaft. Die erste ist die amicitia utilis, die nützliche Freundschaft. Sie entspricht am ehestem dem, was wir als Arbeits- oder Studienkollegen bezeichnen würden. Es ist ein Kreis von Leuten, mit denen man gelegentlich auch ausserhalb der Zweckgemeinschaft etwas unternimmt. Diese Art von Freundschaft ist dann auch im entsprechenden Umfeld von Vorteil für uns, weshalb wir sie hegen und pflegen.

Es gab Zeiten, da hätte ich auf die eingangs erwähnte Frage wohl bis zu zwanzig Menschen aufgezählt. Insbesondere während des Studiums haben sich viele Freundschaften ergeben. Das war schliesslich auch relativ einfach, da ich tagtäglich mit bis zu 120 mehr oder weniger Gleichgesinnten zu tun hatte. Wir hatten gemeinsame Alltagsthemen und haben auch ausserhalb der Vorlesungssäle Zeit miteinander verbracht. Ähnlich ist es heute mit den Arbeitsgspänli.

Die zweite Art von Freundschaft in der «Nikomachischen Ethik» ist die amicitia delectabilis, die Freundschaft aus Lust – und hier ist nicht unbedingt die körperliche Lust gemeint. Bei dieser Art von Freundschaften geht es darum, Spass zu haben. Heruntergebrochen auf Studien- oder Arbeitsplatz sind das dann wohl die Menschen, mit denen man auch ausserhalb der Zweck- oder Leidensgemeinschaft – je nach Wahrnehmung – Zeit verbringen möchte. Diese Leute sucht man sich im Unterschied zur nützlichen Freundschaft bewusst aus.

Ich habe, ähnlich wie damals im Studium, heute Menschen in meinem Umfeld, mit denen ich gerne meine Freizeit verbringe – und die gerne auch ihre Freizeit mit mir verbringen. Gemeinsame Unternehmungen, Feiern und Gespräche, die sich nicht auf die Arbeit oder die Oberfläche des Privatlebens beschränken.

Die ersten beiden Freundschaftskategorien werden als Freundschaften zweiter Klasse bezeichnet. Sie sind oft zeitlich beschränkt. Irgendwann wird entweder der Kontakt weniger und die Freundschaft schläft ein, was absolut in Ordnung ist und diese Freundschaften in meinen Augen überhaupt nicht abwertet. Es müssen und können nicht alle Freundschaften zu lebenslangen Gemeinschaften werden.

Damit wären wir auch bereits bei der dritten aristotelischen Freundschaftskategorie, der amicitia honesti. Sie ist die aufrichtige oder vollkommene Freundschaft. Hier stehen nicht Nutzen oder Lust im Zentrum, sondern die persönlichen Eigenschaften – die eigenen und die des anderen Menschen. Man liebt und schätzt das Gegenüber seinetwillen und wünscht ihm entsprechend Gutes. Das sind Menschen, denen wir vertrauen und mit denen wir auch intime Geheimnisse teilen. Nutzen und Lust spielen in solchen Freundschaften sicher auch eine Rolle – sie sind aber nicht Zweck der Freundschaft. Aristoteles sagt auch, dass es eine gemeinsame Zeit des Kennenlernens braucht, um diese Stufe der Freundschaft zu erreichen.

Denke ich nun darüber nach, wie viele aufrichtige oder vollkommene Freundschaften nach Aristoteles ich pflege, lassen sich diese ausserhalb meiner Familie wohl an einer Hand abzählen. Ich zähle ein paar Menschen aus meiner Familie zu meinen besten Freunden. Klar: Freunde sucht man sich aus, die Familie ist gegeben. Diese Menschen wären aber wohl auch meine Freunde geworden, wenn wir nicht miteinander verwandt wären und sofern wir uns über den Weg gelaufen wären. Schön, wenn man Familienmitglieder auch als Freunde bezeichnen kann.

Die ausserfamiliären Freundschaften pflege ich zu einer Handvoll Menschen, mit denen ich seit Jahrzehnten eng verbunden bin. Diese Beziehungen haben irgendwann mal als Zweck- oder Lustfreundschaften begonnen. In der Schule, im Sportverein, im Studium, wo auch immer. Sie haben aber die Zeit seither überdauert und sind mir heute Refugium, Halt, Beichtstuhl und Orientierungshilfe. Und wer weiss, vielleicht landen auch die Zweck- und Lustfreundschaften von heute irgendwann in dieser dritten Kategorie.

Wie tief eine Freundschaft wird, können wir nur bedingt alleine beeinflussen. Wir verbringen in unserem Leben viel Zeit mit anderen Menschen. Manche werden zu Freunden. Einige verschwinden wieder und andere bleiben ein Leben lang an unserer Seite. Erfreuen können und sollen wir uns an allen drei Arten.

In diesem Sinne: Liebe Freunde, es ist schön, dass es euch gibt. Schön, dass ihr für Wärme und Würze sorgt in der Suppe, die ich mein Leben nenne. Ich liebe euch.

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Wieder gelesen und mich wieder erfreut daran. Herzlichen Dank! Der Autor muss viel Zeit in einer guten Bibliothek verbringen.