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260 Stunden Akku im Gepäck

Die Handys aus den 90ern waren alles andere als smart. Sie waren gross, klobig und brachten nur einen Bruchteil der heutigen Leistung. Dafür hielt der Akku über mehrere Wochen.

Nicole
Nett
14.09.22 - 16:30 Uhr
Bild Quique Garcia/EPA

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Ein Leben ohne Smartphone? Mein Gott, das wäre ja «giga-cringe», würden die Jungen jetzt sagen. Für die Älteren unter uns: «Cringe» heisst so viel wie peinlich.

Doch erst einmal direkt eine Frage an euch, liebe Leserinnen und Leser: Wer von euch war früher eine Besitzerin oder ein Besitzer eines heute fast schon nostalgischen Tastentelefons?

Hattet ihr zur Jahrtausendwende ein Tastentelefon?

Auswahlmöglichkeiten

Diejenigen, die jetzt mit Ja abgestimmt haben, wissen genau, wie es damals zu und her ging. Die Nein-Abstimmer sind vielleicht ein bisschen jünger als ich. Die Generation Alpha weiss wahrscheinlich kaum mehr, wovon ich hier schreibe. Vielleicht seid ihr die Glücklichen, welche bereits mit den coolen Smartphones aufgewachsen sind. Smartphones kannte man früher, also zur Jahrtausendwende, leider noch nicht. Die Handys anno dazumal waren klobig und viel uncooler. Dafür hielt der Akku mehrere Tage. 

In der sechsten Klasse kaufte ich also mein erstes Handy – na ja, bezahlt haben es natürlich meine Eltern. Dies hatte aber durchaus einen Grund: Damals ritt ich mit meinem Pflegepferd regelmässig alleine aus. Das gefiel meiner Mutter nicht, weil sie Angst hatte, mir könnte mit dem etwa 1,90 Meter grossen Pferd etwas passieren. Jedenfalls beschlossen wir, für Notfälle ein Telefon für mich zu kaufen. Für Notfälle. Es wurde aber anders.

Obwohl die technischen Umstände damals eher schlecht als recht waren, erinnere ich mich heute noch gerne an mein erstes Nokia-Klapphandy zurück. 20 SMS pro Monat waren gratis, danach kostete jede Nachricht um die 20 Rappen – je nach Anbieter. Telefonieren war ebenfalls teuer. Entsprechend kurz mussten die Gespräche sein, denn jede Minute mehr brachte meine Generation näher an den Ruin. Im Ausland hatte man manchmal kein Netz und war quasi von der Umwelt abgeschnitten. MMS, also ein SMS mit Bild, waren sowieso tabu. Ausser man hatte (zu) viel Geld. Von Abos, High-Speed oder Terabyte sprach man damals noch nicht.

Anfangs reichten mir die 20 SMS pro Monat völlig aus. Lange hielt dies allerdings nicht an und so lud ich meine Prepaid-Karte immer häufiger auf. Aus den Notfällen und wirklich dringenden Nachrichten wurden also nur noch Banalitäten.

Stellt euch mal vor, wie es wohl heute wäre. Im jetzigen Zeitalter wissen wir immer, wer wann wo ist und was macht. Man sieht es ja bereits in den WhatsApp- oder Instagram-Storys. Die Jüngeren machen sich auf TikTok schlau. Im Nu haben wir zig Bilder in den Familienchat oder einer Kollegin geschickt. Auch ein datenlastiges Video kann man innert weniger Sekunden um die ganze Welt schicken. Alles kein Problem. Die grenzenlose Technik macht es möglich.

Als meine Eltern mit mir und meinen beiden Schwestern zur Jahrtausendwende in den Ferien auf dem Maiensäss waren, hatten wir am Anfang noch nicht einmal ein Handy im Gepäck. Wäre also etwas mit uns passiert, wären wir ziemlich aufgeschmissen gewesen. Ja – hätte, hätte, Fahrradkette. Wir haben es genossen und zum guten Glück ist auch nichts Schlimmes passiert. Das Spannende ist: Wir hatten nie das Gefühl, dass es uns an etwas mangelt. Vergesse ich heute mein Handy zu Hause, dann kehre ich schleunigst um und hole es mir.

Ich denke, heutzutage ist fast jeder ein bisschen handysüchtig – ich eingeschlossen. Ich weiss, das klingt vorwurfsvoll. Und dennoch: Schaut euch einmal an einem Morgen im Zug, bei der Bushaltestelle oder auf einem öffentlichen Platz um. Die meisten Leute schauen auf ihr Telefon. Vor allem, wenn man die Zeit irgendwie totschlagen muss. Auch wenn ihr diesen Text liest, seid ihr an einem mobilen Gerät. Und vielleicht seid ihr sogar aus Langeweile auf diesen Artikel gestossen. Dennoch ist es schön, habt ihr bis hierhin gelesen.

Abhängig: 97,2 Prozent der Schweizer Bevölkerung besitzt ein Handy.
Abhängig: 97,2 Prozent der Schweizer Bevölkerung besitzt ein Handy.
Bild Unsplash

Dieser intensive Konsum wundert einen auch nicht. Laut «statista.com» besitzen nämlich 97,2 Prozent der Schweizer Bevölkerung ein Smartphone. Wichtig ist einfach, wie stark wir unseren Handykonsum zum Alltag machen. Ich bin überzeugt, im Hier und Jetzt passieren so viele Dinge, die wir kaum wahrnehmen, wenn wir vor einem Screen sitzen. Schaut euch mal um: Das Leben spielt sich genau hier in eurer Umgebung ab. Live. Ohne Verzögerung. Doch die Handys dominieren heute massiv unsere Gesellschaft. Und wir können dem kaum entgegenwirken. Das ist dann wohl die andere Seite der Medaille.

Dennoch sollten wir uns im Alltag mehr Auszeiten nehmen. Im Fachjargon nennt man dies auch «Digital Detox» – also bewusst einmal alle Geräte weglegen und sich auf den Offline-Alltag konzentrieren. Probiert es aus. Aus eigenen Erfahrungen kann ich sagen: Es ist wunderschön und tut von Zeit zu Zeit richtig gut.

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